Sabine Appel: "Madame de Staël"
Biografie einer großen Europäerin
Politikerin, Schriftstellerin und
Gegenspielerin Napoléons
Sabine Appel ist Germanistin und promovierte mit einer Arbeit über Thomas Mann.
Sie verfasste u. a. eine Biografie über
Elisabeth
I. von England.
Das gegenständlich besprochene Buch beinhaltet ein
Literaturverzeichnis, einen Abbildungsnachweis und ein Personenregister, das
interessanterweise recht unvollständig ist. Es erweckt in seiner
Unvollständigkeit und der kleinen Schrift den Eindruck, als habe man mit Gewalt
auf Seite 360 enden wollen, um einen neuen Bogen einzusparen. Es sind keine
Anmerkungen vorhanden und keine Zeittafel.
Napoléon Bonaparte hatte viele Gegner: Wellington, Blücher, Zar Alexander, den
Österreicher Franz II. oder den Preußen Friedrich Wilhelm III. Er hatte auch
Feinde, aber Anne Louise Germaine de Staël, geborene Necker, dürfte wohl die
Hartnäckigste gewesen sein. Sie agitierte gegen ihn mit allem, was sie zu bieten
hatte, und er, der in seinen Feldzügen mehr als eine Million Menschen auf dem
nicht vorhandenen Gewissen hatte, wagte den politischen Mord nicht und versuchte
Madame de Staël vielmehr einzuschüchtern, zu exilieren und zu isolieren. Als
sie in einem kleinen Dorf bei Genf ohne Reisegenehmigungen praktisch isoliert
war, reiste sie heimlich - aber mit Entourage - über Wien, Moskau und St. Petersburg
nach London. Und als Napoléon später auf Elba weilte und Gerüchte über seine
anstehende Ermordung die Runde machten, ließ sie ihn warnen. Eigentlich hätte
sie ihn hassen müssen, denn er hielt sie jahrelang von ihrem geliebten Paris
fern und zwang sie zu einer zweijährigen Reise quer durch Europa. Aber sie konnte
wohl nicht anders.
Dabei hätte sie es sich in Coppet am Genfer See gut gehen lassen
können, denn sie war recht vermögend. Ihr Vater war Jacques Necker, Bankier aus
Genf, zeitweise Finanzverwalter Louis' XVI.. Germaines Mutter entstammte einem
streng-calvinistischen Genfer Pastorenhaushalt und litt ihr Leben lang unter dem
diesseitigen Erfolgsdruck im Hinblick auf eine jenseitige Freude. Doch die
kleine Germaine entschied sich vernünftigerweise bereits früh für einen
diesseitigen Anteil an Freude.
Die Neckers hatten Geld, aber keine
adäquate gesellschaftliche Position, und so strebten sie für ihre Tochter eine
reine Zweckheirat an: Wohlstand gegen Ansehen und Titel. Sie sollte ihren Gatten
nicht lieben und tat es auch nicht. Am 14. Januar 1786 wurden Anne Louise
Germaine Necker und Eric-Magnus de Staël-Holstein in der Kapelle der
schwedischen Botschaft in Paris miteinander vermählt.
In Paris unterhielt
sie einen Salon, der natürlich schnell politisch wurde. Und so spottet man:
"Morgens empfange sie die Royalisten, mittags die Girondisten, abends die
Jakobiner, und nachts stünden ihre Türen allen offen." Sie selbst favorisiert
eine parlamentarische Monarchie britischen Zuschnitts, wandelt sich später
jedoch zur liberalen Republikanerin. Als die Sitten rauer wurden in Paris, zog
sie sich auf den Familiensitz Coppet bei Genf zurück, von wo aus sie mit
gefälschten Papieren die Rettung einiger Adeliger organisierte.
Robespierre,
"der Erfinder des politischen Terrors", schickte in zwei Jahren rund 50.000
Menschen unter die Guillotine. Man schilderte ihn als asketischen, hageren,
ziemlich freudlosen und irgendwie auch geschlechtslosen Mann, der so dem Genfer
Vertreter des religiösen Terrors Jean Calvin
auch äußerlich geähnelt haben
muss.
Friedrich
Schiller schrieb einst an seinen Freund Körner: "Mein Stück [Wilhelm Tell]
nimmt mir den ganzen Kopf, und nun führt mir der Dämon noch die
französische Philosophin hierher, die unter allen lebendigen Wesen, die mir noch
vorgekommen, das beweglichste, streitfertigste und redseligste ist. Sie ist aber
auch das gebildetste und geistreichste weibliche Wesen, und wenn sie nicht
wirklich interessant wäre, so sollte sie mir auch ganz ruhig hier sitzen. Du
kannst dir aber denken, wie eine solche ganz entgegengesetzte, auf dem Gipfel
der französischen Kultur stehende, aus einer ganz anderen Welt hergeschleuderte
Erscheinung mit unserem deutschen und vollends mit meinem Wesen kontrastieren
muss." Goethe drückte sich in Jena ein wenig vor dem Kontakt mit ihr, kam aber
Weihnachten 1803 nach Hause. Dort erwartete ihn sehnsüchtig die Reisende, um mit
ihm seine Werke zu diskutieren. Man kann sich die Verwunderung des
Dichterfürsten vorstellen, als er von ihr herangenommen wurde wie ein
Erstsemestler, indem sie mit ihm seine Werke besprach und deren Vorzüge und
Schwächen diskutierte. Doch ihr Verhältnis entspannte sich schnell. Des
Philosophen Schellings Gattin charakterisierte sie so: "Sie ist ein Phänomen von
Lebenskraft, Egoismus und unaufhörlicher geistiger Regsamkeit."
In Berlin
durchschaute sie das auf
Friedrich den II.
zurückgehende höfische Gehabe als
peinlichen Versuch, das Französische zu imitieren, ohne von dem französischen
Geist durchdrungen zu sein. Ein König, der die Kultur seines Landes verleugne,
verleugne sein Land, stellte sie fest. Die angebliche friderizianische Toleranz
setzte sie mit Zynismus gleich, denn sie sei unecht gewesen.
In Berlin
fesselte sie August Wilhelm Schlegel an sich, der als eine Art intellektueller
Sparringspartner und wandelndes Lexikon für sie und als Hauslehrer für ihre
Kinder diente. Er ordnete sich ihr völlig unter, ohne dabei eine glückliche
Figur abzugeben, und blieb bis zu ihrem Tod bei ihr.
Sie war Politikerin,
denn sie betrieb Politik, indem sie stets die politische Führung in ihren Salons
empfing. Daneben wirkte sie Schriftstellerin, sogar recht erfolgreich. 1805
bereiste sie Italien, mit Entourage und Schlegel. Die Eindrücke verarbeitete sie
in dem Roman "Corinna oder Italien", in deren Heldin natürlich viel Germaine
steckt, oder besser deren Apotheose.
Ihr Hauptwerk "Über Deutschland"
wirft einen vergleichenden Blick auf die deutsche und französische Kultur mit
einem Fokus auf Philosophie und Literatur. Es ging der Autorin sicherlich auch
um den Zustand des deutschen Geisteswesens, aber die Mischung aus Philosophie
und Literatur steht auch für politische Literatur. Im Übrigen stecken in vielen
kulturellen Aspekten vielfach auch Anspielungen auf das politische Verhalten der
Franzosen und Deutschen. So gesehen dürfte dieses Buch einen außergewöhnlichen
Einblick in das politische, literarische und philosophische Frankreich und
Deutschland bieten und als solches des Lesens durchaus wert sein. Zudem scheint
es derzeit das einzige im Handel erhältliche deutschsprachige Werk der Germaine
de Staël zu sein. Allein schon der Umstand, dass es Napoléon nicht gelungen war,
dieses Buch zu vernichten, dürfte die Lektüre lohnen. Denn er ließ die komplette
erste Auflage mit
Fazit
Gelegentlich fällt die zeitliche Einordnung
etwas schwer, wenn bei Zeitangaben das Jahr allzu großzügig weggelassen wird,
und das auch bei Kapitelanfängen. Im Textfluss stellt dies kein Problem dar,
doch bei Lektüreunterbrechungen - die ja vorkommen können - wirkt dies
gelegentlich störend. Gerade hier macht sich auch das Fehlen der Zeittafel
bemerkbar. Doch das schmälert den Gesamteindruck dieses ganz hervorragenden
Buches keineswegs. Der kritische Blick der Autorin auf Napoléon ist auch völlig
gerechtfertigt, insbesondere weil es in Frankreich und Deutschland noch viele
Menschen gibt, die Napoléon für
einen politischen Reformer halten.
Kleinigkeiten geben den Blick frei auf
eine breite literarische Kenntnis der Autorin, deren Tiefe in der französischen
und deutschen Literatur der Epoche der Germaine de Staël und davor
liegen.
Dass die Biografin, übrigens ebenso wie die Biografierte und - in
aller Bescheidenheit: der Rezensent - Rousseau für einen der wirkungsmächtigsten
Autoren der Epoche halten, wertet das Buch auf. Wenngleich Staël und Rousseau
wohl in vielen Aspekten gegensätzlicher nicht sein konnten, scheinen sie doch
gelegentlich auch wesensähnlich zu sein. Hinsichtlich Rousseau sei noch eine
kleine Anmerkung erlaubt. Die Aussage ist leicht missverständlich,
Rousseau habe
sich mit seiner Geliebten nach Montmorency zurückgezogen (S. 53), denn es
handelte sich vielmehr um Thérèse Levasseur, seine langjährige Partnerin, Mutter
seiner fünf Kinder und auch spätere Ehefrau - seine Geliebte im herkömmlichen
Sinne war sie sicherlich nicht.
(Klaus Prinz; 02/2006)
Sabine Appel: "Madame de Staël"
Artemis & Winkler, 2006. 360 Seiten.
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Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Caroline Schlegel-Schelling. Das Wagnis der Freiheit"
Sie war der weibliche Mittelpunkt
des frühromantischen Kreises in Jena: Caroline
Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling, in zweiter Ehe mit August Wilhelm Schlegel
verheiratet, dem Mitbegründer der Frühromantik, in dritter Ehe mit dem
Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling. Ihr Leben war gelebte Literatur,
Freiheit mit Nebenwirkungen. Schon ihre Vorgeschichte ist außergewöhnlich genug.
Als Professorentochter verbringt sie die ersten Jahre im Umfeld der Göttinger
Universität, umgeben von illustren Vertretern der deutschen Aufklärung. Früh
verwitwet nach einer Konventionsehe, stürzt sie sich in das Abenteuer der
Mainzer Republik. Sie nimmt die Freiheitsparolen wörtlich und bezieht sie auch
auf das eigene Leben - mit allen Folgen, die sie, wie sie sagt, "nie bejammert".
In einer Zeit, die vieles zur Disposition stellt, folgt eine Frau ihrem eigenen
Lebensgesetz. Die "jungen Wilden" der Literatur, die um 1800 eine neue Dichtung
und eine neue Philosophie, neue Lebensmodelle und eine neue Welthaltung
propagieren, suchen danach, nach dem schöpferischen Gesetz. Doch diese Frau,
deren Leben ihr Werk ist, scheint es zu kennen, und zwar von jeher. Als die
anfängliche Euphorie und die revolutionäre Begeisterung einer Generation in
Ernüchterung umschlagen, geht die Sehnsucht, und zwar hier wie dort, zu einer
Rückkehr ins Bergende, Elementare, wo zumindest die Freiheit der Fantasie und
des Geistes gewahrt bleiben.
Sabine Appel erzählt
die Biografie einer Frau von faszinierendem Geist, die tradierte weibliche
Rollenbilder hinter sich lässt und ihr eigenes Leben führt - frei, unzeitgemäß,
intensiv. (C.H. Beck)
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"Madame de Staël. Kaiserin des Geistes"
"Kaiserin des Geistes" nannte der Schriftsteller Sainte-Beuve die
vehemente Gegnerin
Napoleons, und Madame de Chastenay notierte in ihren
Memoiren, drei Großmächte hätten gegen Napoleon gekämpft: "England, Russland
und Madame de Staël". Diese Frau ging ihren Weg. Anne Louise Germaine de
Staël (1766-1817) führte ein bewegtes Leben in historisch ereignisreicher Zeit.
Ihre Lebensgeschichte führt sie mitten in die Turbulenzen der Französischen
Revolution, und von Napoleon wird sie 1802 aus Paris verbannt. Zweimal bereist
sie in diesen Jahren Deutschland und lernt
Wieland, Schiller und
Goethe kennen.
Mit ihrem Buch "Über Deutschland" begründete sie den Mythos von Deutschland als
"Land der Dichter und Denker". Souverän entwirft Sabine Appel das Lebensbild
einer engagierten und selbstbewussten Frau und zeichnet ein eindrucksvolles
Porträt von Deutschland um 1800. (C.H. Beck)
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Weitere Buchtipps:
Madame de Staël: "Über
Deutschland"
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Udo Schöning, Frank Seemann (Hrsg.):
"Madame de Staël und die Internationalität der europäischen Romantik.
Fallstudien zur interkulturellen Vernetzung"
Der Band macht die
internationale Präsenz der Mme de Staël im Zusammenhang mit der romantischen
Literatur deutlich.
Mme de Staël und die Romantik sind untrennbar miteinander
verbunden, und beide verdienen die Charakterisierung "international". Die
gegebene Internationalität der Romantik und die Ausbreitung einer dafür
begrifflich notwendigen Idee von Nationalität, wie sie für die
Literaturwissenschaft so wichtig geworden ist, hängen aufs Engste mit Mme de
Staëls Wirken zusammen; sehr früh hat sie sowohl eine Nationalität als auch eine
Internationalität der Literatur nicht nur gesehen, sondern auch gefordert und
gefördert. Die Romantik wiederum kann zwar nicht in dem Sinn als international
bezeichnet werden, dass die romantisch zu nennende Literatur in verschiedenen
Ländern von gleicher Art wäre. Doch zumindest ist sie insofern international,
als etwa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und stets unter der
Bezeichnung Romantik in zahlreichen Ländern ein neues literarisches
Selbstverständnis artikuliert wird. Dieses Phänomen der ungefähren
Gleichzeitigkeit und der gleichen Benennung einer literarischen Strömung in
verschiedenen Literaturen ist literaturgeschichtlich ohne Vorläufer und stellt
das Ergebnis ebenjener internationalen Vernetzung dar, in deren Zentrum Mme de
Staël stand.
Mit Beiträgen von Axel Blaeschke, Maria Manuela Gouveia Delille,
Ulrike Jekutsch, Kurt Mueller-Vollmer, Horst Nitschak, Julia von Rosen, Udo
Schöning und Brigitte Schultze. (Wallstein Verlag)
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