Marianne Gronemeyer: "Die Macht der Bedürfnisse"
Überfluss und Knappheit
"Es
gibt eine Geschichte: Es war einmal ein Mann, der lebte in Armut. Nach
vielen Abenteuern und einer langen Reise durch die ökonomische
Wissenschaft traf er die Überflussgesellschaft. Sie
heirateten, und sie hatten viele Bedürfnisse."
(J. Baudrillard, 1970)
Dieses Buch beschäftigt sich mit der Problematik unserer
modernen Überflussgesellschaft und mit dem damit verbundenen
Phänomen der Knappheit. Diese Knappheit ist nach Gronemeyer
die Macht, die das Leben vieler Menschen beherrscht. Indem die Macht
Knappheit schafft, erzeugt sie Bedürfnisse nach eben diesen
knappen Gütern. Durch die menschliche Rivalität
bekommt die Knappheit zusätzlich Bedeutung, da gerade die
knappen Güter am meisten begehrt werden. Demzufolge entsteht
die Knappheit aus dem Gefühl des Neids, der früher
als Laster verdammt wurde, heute aber als wichtiger Motor der
Wirtschaft gilt. Interessant erscheint, dass viele klassische
Kulturkreise dieses Problem nicht kannten, obwohl sie keineswegs
über diese Auswahl an Gütern, wie unsere heutige
Gesellschaft sie kennt, verfügten. In den Jäger- und
Sammlergesellschaften war das in der gegenseitigen Rivalität
wurzelnde Problem der Knappheit nicht vorhanden, da Mängel
durch Solidarität und Hilfe auf Gegenseitigkeit ausgeglichen
wurden.
Marianne Gronemeyer stellt in diesem Buch auch die Fragen "Hat Macht
ein Gesicht?" und "Wie kommt Macht über uns?". Hier zeigt sich
ganz klar ein Nord-Süd-Gefälle.
Im
Süden der Welt zeigt sich die Macht immer noch
offensichtlich als Diktatur und Ausbeutung der
Entwicklungsländer. Im Norden hingegen, quasi als Privileg der
westlichen Länder, ist die Macht elegant geworden,
allgegenwärtig, verborgen und unauffällig. Perfekt
ist Macht dann, wenn die Untertanen sagen "Ich bin frei".
Dafür ist die Demokratie wunderbar geeignet - alle glauben,
was sie sollen, und fühlen sich dabei noch frei. Die Macht
rechtfertigt sich als Dienerin der Bedürfnisse ihrer
Untertanen, doch sind diese Bedürfnisse die eigenen und somit
Garant einer Selbstbestimmung? Oder sind die Bedürfnisse wie
das
trojanische Pferd - werden
von
der Wirtschaft vorgegaukelt und wir glauben, es
wären unsere ureigensten Bedürfnisse? Viele Fragen,
die in diesem Buch aufgeworfen werden und die dem kritischen Leser
sicher zu denken geben müssen.
Gronemeyer beschreibt zwei zentrale Formen der Macht. Einerseits die
Besitzmacht, deren Ursprung in der Einzäunung und
Privatisierung des Landes liegt und die gemeinsame Nutzung beendet.
Hier fand eine Beraubung der Allgemeinheit und ein Entzug der
Lebensgrundlage statt. Wer sich nicht selbst erhalten kann, muss sich
verdingen. Die Landbesitzer nahmen mit dem Land auch die Leute in
Besitz. Diese wurden ihrer Selbsterhaltungskunst beraubt, konnten sich
nicht mehr nehmen, was die Natur gewährt. Rivalität
tritt ein. Menschen, die, um ihr Leben zu fristen, etwas kriegen
müssen - sind auch Krieger. Auf der anderen Seite die
diagnostische Macht. Diese Macht geht vom Expertentum aus, sie
befähigt sogenannte Experten, über
Normalitätsfragen zu entscheiden. Dadurch bleibt Bildung an
Schule und Universität gekettet wie Gesundheit an
Ärzte
und Krankenhäuser.
Vielleicht noch ein berührender Gedanke, der der Reflexion
wert erscheint: "Überflüssige Güter machen
das Leben überflüssig". Überfluss hat immer
den Beigeschmack von Ungenießbarem, Verschwendung,
Verschleiß und Nutzlosigkeit. Gerade diese Erkenntnis sollte
zu denken und Anstoß geben, die eigenen Bedürfnisse
zu hinterfragen und zu erkennen: Wo sind meine ureigenen
Bedürfnisse und wo diejenigen, die aufgrund der
gesellschaftlichen Verhältnisse entstanden sind, die
installiert wurden, um Machtverhältnisse
zu schaffen? Aus diesem Grund sollten die Konsumenten bereit sein, die
entstandene Struktur zu überdenken und das
Vergrößern der Macht der Produzenten zu verhindern,
denn das Teuflische an diesen kreierten Bedürfnissen ist, dass
sie unstillbar sind in ihrer Begierde nach immer mehr Produkten und
Dienstleistungen.
Doch gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Marianne Gronemeyer
bietet uns einiges an. Jedenfalls eine kategorische Absage an den
Versuch, die Macht mittels Gegenmacht in die Knie zu zwingen, sie
propagiert die Ohnmacht und das "Nichtbegehren" und bietet in ihrem
Buch zwei Arten der Vermeidung von Knappheit an, die jedenfalls
überlegenswert, wenn nicht sogar erstrebenswert erscheinen und
zur Auseinandersetzung unbedingt empfohlen werden können.
Dieses Werk der Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer ist ein
Muss für jeden kritisch denkenden Menschen, ein Aufruf zu mehr
Selbstreflexion, ein Aufschrei, die versteckter denn je gewordene Macht
der Knappheit zu entlarven und wieder selbstbestimmt zu leben.
(Margarete Wais)
Marianne
Gronemeyer: "Die Macht der Bedürfnisse. Überfluss und
Knappheit"
Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Buch
bei amazon.de bestellen
Noch
zwei Buchtipps:
Wolfgang
Schivelbusch: "Das verzehrende Leben der Dinge"
Versuch über
die Konsumtion
Wolfgang Schivelbusch über Konsumtion: ein neuer Blick auf das
wechselseitige Verhältnis des Menschen zu den Dingen.
Ist er ein gutes Stück mit ihm gelaufen, dann hat der
Fuß den Schuh zerbeult. Doch auch der Schuh kann dem
Fuß zusetzen und ihm Blasen aufdrücken. Wolfgang
Schivelbuschs Buch handelt vom wechselseitigen Verhältnis des
Menschen zu den Dingen, das man als endlose Wiederholung von
Schöpfung, Gebrauch,
Konsum
und Zerstörung verstehen kann.
Schivelbusch verfolgt die Symbiose von Mensch und Ding in der
Geschichte der Ideen und der Wissenschaft. Dabei gelangt er zu so
überraschenden wie elementaren Einsichten über die
Grundlagen unserer Zivilisation und die daraus entstandenen
Volkswirtschaften.
Wolfgang Schivelbusch, geboren 1941 in Berlin, Kulturhistoriker, lebt
nach vier Jahrzehnten
in
New York wieder in
Berlin. (Hanser)
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch bei amazon.de bestellen
Wolfgang
Schmidbauer: "Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust
der Gefühle"
In der Konsumgesellschaft leidet die
Seele
des Menschen. Die moderne Geldwirtschaft erlaubt keine
Gefühle. Der
Kapitalismus
zerstört unser Mitgefühl. Die Gier nach
Geld
macht menschliche Beziehungen wertlos. Anhand von
Hauffs
Märchens "Das kalte Herz" gibt uns Wolfgang Schmidbauer in
seiner luziden Analyse mit zahlreichen Beispielen aus Familien- und
Liebesbeziehungen überzeugend Auskunft darüber, wie
wir die Wärme und den Reichtum unserer inneren Welt
wiederentdecken können. (Goldmann)
Buch
bei amazon.de bestellen