Nagib Machfus: "Echnaton"
Der in Wahrheit lebt
Viel Licht und viel Schatten
Die Suche nach der
Wahrheit im Überlappungsbereich von Religion und Politik
Im vorliegenden Buch, erstmals 1985 in Kairo erschienen, versucht Nagib Machfus, aus
fiktiven Erinnerungssplittern von Zeitgenossen Echnatons ein Bild dieses
Pharaos und der Besonderheiten seiner Regierungsphase entstehen zu lassen, wobei gleich
vorweg festzustellen ist, dass solcherart kein opulenter historischer Roman,
sondern eine auf mancherlei Fakten aufbauende Sammlung erfundener Monologe
zustandekommt.
Doch das vielstimmige Gebilde wirkt reichlich konstruiert und absichtsbeladen, allzu
sichtbar wird des Autors
erhobener Zeigefinger ("Religiöser Fanatismus! Obacht,
Gegenwartsbezüge!"), spröde erscheinen die Kettfäden des
Erzählgeflechts. Auch vermag der Einsatz eines betulichen Icherzählers nicht
für Schwung zu sorgen.
Der wissensdurstige Geschichtensammler Merimun sucht, ausgestattet mit Empfehlungsschreiben seines Vaters, Gegner Echnatons
ebenso wie dessen einstige
Weggefährten Jahrzehnte nach dem Tod des Pharaos auf, um deren jeweilige Handlungsmotive sowie subjektive Sicht der Ereignisse,
soweit sie diese preiszugeben gewillt sind, aufzuzeichnen.
"Schließlich war es
eines der Hauptmerkmale der Amarna-Religion, sich ganz auf die
wärmende, in der Sonnenscheibe des Aton verborgene lebensspendende
Kraft zu verlassen und dadurch dem nachtseitigen Aspekt des Lebens, wie
er im Osirisglauben verkörpert wurde, eine Absage zu erteilen. Und
letztlich war es auch das Vakuum, das der vom König
Echnaton
außerkraftgesetzte Osirisglauben hinterließ, das als Achillesferse des
Aton-Glaubens dessen baldiges Ende beschleunigen half." |
Amenophis der Vierte, der sich später Echnaton nannte, brach mit grundlegenden Gepflogenheiten innerhalb des ägyptischen Wertesystems, indem er, dem ein Offenbarungserlebnis des einen Gottes zuteil geworden sein mochte, sich kompromisslos vom Vielgötterglauben ab- und dem Eingottglauben zuwandte. Echnaton, als "Ketzerkönig" in die Geschichte eingegangen, brachte zunächst die Amonpriester gegen sich auf, kapselte sich von der weltlichen Tatverantwortung des Regierens ab, verließ Theben, ließ eine ganz dem neuen Glauben gewidmete Stadt erbauen und manövrierte innerhalb seiner kurzen Regentschaft das Reich an den Rand des Chaos. |
War Echnaton ein Prophet, seiner Zeit
weit voraus
oder wahnsinnig - oder beides?
Der historische Verlauf ist in
groben Zügen bekannt, bezüglich der Einzelschicksale der Beteiligten ist die
Faktenlage nicht allzu ergiebig. Manches liegt wohl für immer unter den Sandschichten
vieler Jahrhunderte begraben.
Also ist schriftstellerisches Einfühlungsvermögen gefragt, will man
unterschiedliche Perspektiven zu einem möglichst schlüssigen Gesamtbild fügen,
vorzugsweise ohne den Leser indirekt zu bevormunden.
Wer würde auch ernsthaft bezweifeln, dass Machtmenschen aller Epochen buchstäblich über Leichen gehen,
Mitläufer stets ihre Fähnchen nach dem Wind richten und Werte wie Redlichkeit und
Loyalität in der Hitze des Gefechts zu leicht verderblichen Gütern verkommen.
Jeder der vom ehrfürchtig lauschenden Merimun besuchten Zeitzeugen bringt seine
Version der Geschehnisse zu Gehör. Bekanntlich ist das Gedächtnis der Diener der
Interessen, und so zeigt sich Altbekanntes: In manchen Punkten decken sich die
Aussagen der Zeugen, in anderen sind sie widersprüchlichen Inhalts. Irgendwo im
Schnittpunkt all dieser Erinnerungen voller Schuldgefühle, Gewissensbisse, Gerüchte,
Verrat, Verleumdungen und
Verschwörungen mag vielleicht die Wahrheit zu finden sein - oder auch
nicht.
Ein Erzähler, der aus Höflichkeit kaum Fragen stellt, sondern jeden Gesprächspartner nach
dessen Gutdünken reden lässt, erweist sich hierbei als wenig hilfreich.
Solcherart erhalten bestenfalls die in ihren Erinnerungen Kramenden Vorrang
gegenüber der angeblich von Merimun gesuchten Wahrheit; immerhin entstehen leidlich
interessante psychologische Porträts der Sprecher, doch als Journalist würde
Machfus' Merimun heutzutage denkbar schlecht abschneiden. Gesteigerte Höflichkeit
ist zweifellos eine Tugend, doch manchmal ist sie gänzlich fehl am Platz. Höflichkeit
als Vorwand für unterlassene oder auch unmögliche Klarstellungen zu missbrauchen ist - zumal
keine Zensurbehörde droht - ein wenig eleganter schriftstellerischer Kunstgriff.
Im ersten Abschnitt des monotonen Erzählreigens kommt ein Hoher Priester Amons zu
Wort, der selbstverständlich kein gutes Haar an Echnaton lässt, ihn als weibisch und von
unbekümmertem Wahnsinn getrieben darstellt und die Anhängerschar des
"Ketzerkönigs" als Heuchler bezeichnet, sah sich Echnaton doch selbst
als Mittler zwischen dem einen Gott Aton und der Menschheit und bedurfte darob
nicht länger der Amon-Priesterkaste.
Als Zweiter tritt der gleichermaßen schlaue wie machtbewusste Eje, einstmals
Erzieher und Berater Echnatons, Vater der betörend schönen Nofretete,
ihres Zeichens Gemahlin des "Ketzerkönigs", auf. Eje, die "graue
Eminenz", streicht sowohl die
schwächliche Körperlichkeit als auch den starken Willen Echnatons, den er als früh
verhaltensauffälliges Wunderkind bezeichnet, hervor und gewährt ebenso Einblicke in das
Kräftespiel von religiöser und weltlicher Macht wie in das bedeutsame
Beziehungsgeflecht bei Hof.
Haremhab, der praktisch veranlagte Tatmensch, liefert als Nächster seine
Schilderung der Ereignisse, ausgehend von seiner wechselvollen Jugendfreundschaft mit
Echnaton, dem er "weibische Art" attestiert. Er berichtet von der
Rolle der Frauen in Echnatons Umfeld, darunter Teje, die Königsmutter und
Nofretete, die Frau des Pharaos.
Der Zusammenschluss von Priesterschaft und Militär sollte allerdings
schließlich zur Rückkehr in altbewährte Bahnen führen; Echnaton blieb, von
allen verlassen, allein zurück und starb unter ungeklärten Umständen, die
Stoff für allerlei Gerüchte lieferten.
Der Bildhauer Bek, dessen Lebenswerk die einst prächtige, nun
verfallende Stadt Achetaton war, nennt
Echnaton nach wie vor seinen Gebieter, erzählt u.a. von der
wohlbekannten Büste der Nofretete und deutet eine Verschwörung, die zur
Ermordung
Echnatons führte, an.
Danach leiht Merimun Taduchipa, einer Haremsdame von königlichem Geblüt, sein
Ohr. Die einstige Schönheit gibt sich als Rivalin Nofretetes zu erkennen,
verleiht ihrer unerschütterlichen Verachtung für die "impotente,
erbärmliche Kreatur" (gemeint ist Echnaton) Ausdruck, deutet ein
inzestuöses Verhältnis zwischen Teje und Echnaton an und berichtet höhnisch
von lasterhaften Auswüchsen infolge des Machtvakuums in Achetaton.
Toto, ein Informant der Gegenseite am Hof Echnatons, charakterisiert den Pharao
als krankhaft ehrgeizig, spricht Echnaton jegliche Spiritualität ab,
unterstellt ihm weibische Arglist und lässt eine Affäre Nofretetes mit
Haremhab sowie zahlreichen anderen Männern anklingen.
Daraufhin findet sich Merimun bei Tij, der Gattin Ejes ein, die immer noch
voller Sympathie vom gnadenreichen, guten König und seiner Gemahlin Nofretete,
ihrer Stieftochter, spricht.
Anschließend begibt er sich zu Mutnadjmet, Nofretetes eifersüchtiger Halbschwester,
die Echnaton abstoßend, hässlich
und lächerlich fand, und Nofretete schamlos, lüstern, unaufrichtig und listig.
Auch sie erzählt Merimun vom Inzestgerücht und berichtet von allerlei Ränken bei Hof.
Als Neunter kommt Merire zu Wort, der ehemalige Hohe Priester Atons, der von
Spannungen zwischen Echnaton und dessen Vater zu erzählen weiß, Echnatons Botschaft von
Liebe, Friede und Freude die Treue hält und Merimun eine Papyrusrolle mit
Echnatons Hymnen aushändigt.
In Maj, dem Führer der Grenztruppen, Merimuns
nächstem Gesprächspartner, lodert unauslöschlicher Zorn, während Maho, der
ehemalige Polizeichef von Achetaton, Echnaton als gütig und sanftmütig und
Nofretete als anständig beschreibt.
Nachet, unter Echnaton Minister, wie Haremhab und Bek ein Gefährte aus der
Jugendzeit Echnatons, blickt auf den frühen Tod des Thutmosis, Echnatons
älteren Bruders, zurück, der den empfindsamen Knaben seiner Meinung nach tief
getroffen und entscheidend geprägt hat. Auch erwähnt Nachet, wie sehr der
Pharao imstande war, mit seiner Botschaft der Liebe das Volk zu
begeistern.
Im dreizehnten Kapitel liefert Banto, Echnatons ehemaliger Leibarzt, seine
Version der Ereignisse, bevor Merimun schlussendlich zu Nofretete
höchstpersönlich vorgelassen wird. Die verwitwete Schöne fristet ihr
Dasein einsam im goldenen Käfig, der verfallenden, verlassenen Stadt Achetaton
und vergegenwärtigt sich noch einmal den wechselvollen Verlauf ihrer Liebe zu
Echnaton und dessen unerschütterliche Hingabe an "seinen" Gott.
Resümee:
In Nagib Machfus' "Echnaton",
einem Werk, das man vermutlich am treffsichersten als in seiner substanziellen
Beschaffenheit zeitloses Meinungsmosaik bezeichnet, finden sich keine tosenden Szenen
von Gelagen oder Schlachten. Wer sich für historische Details der
Amarna-Zeit interessiert, wird wohl mit einem Sachbuch zum Thema besser bedient
sein.
Nagib Machfus ist eben ein Geschichtenerzähler mit viel
Fingerspitzengefühl für menschliche Abgründe, und Doris Kilias' geschmeidige
Übersetzung aus dem Arabischen trägt das Ihre zu einem beschaulichen
Lektüreerlebnis bei.
(Felix; 09/2005)
Nagib Machfus:
"Echnaton"
(Originaltitel "Al-A'isch fi l-Haqiqa")
Aus dem Arabischen von Doris Kilias.
Unionsverlag, 2001. 192 Seiten.
ISBN 3-293-20200-4.
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