Que Du Luu: "Totalschaden"
Wüsste man es nicht besser,
könnte man auf den abwegigen Gedanken verfallen, Que Du Luu habe den
Namen ihres Protagonisten der us-amerikanischen Kult-Serie "Spongebob
Schwammkopf" entnommen. Patrick heißt hier wie dort der Protagonist, und
dies ist beileibe nicht die einzige Gemeinsamkeit. Zwar ist der Patrick
der Autorin kein Seestern, aber beiden gemeinsam sind der hintergründige
Humor, die Sensibilität, die Scheu vor Veränderung und doch die Suche
nach Geborgenheit, Freundschaft und Liebe.
Patrick, Anfang 20, Student, unterscheidet sich durch nichts von vielen
seiner Altersgenossen. In seiner Freizeit, von der er reichlich hat,
liest er viel und kocht noch mehr. Doch weniger aus Leidenschaft denn
aus Langeweile. Er ist nämlich ein Einzelgänger. Doch nicht aus Passion
sondern aus Unvermögen, soziale Kontakte zu knüpfen. Sein einziger
Freund heißt Tomate und ist auf dem besten Weg, ein erfolgreicher Anwalt
zu werden. Das Band, das diese lange Freundschaft zusammen hielt, war
das beiderseitige Außenseitertum, denn "das Elend liebt Gesellschaft".
Patricks gewohnt langweiliges Leben, in dem er es sich bequem gemacht
hat wie in einem daunengefütterten Kokon, droht auseinander zu brechen,
als zwei einschneidende Ereignisse gleichzeitig eintreten. Und das sind
zwei mehr, als Patrick gewöhnt ist.
Verliebtes junges Gemüse
Wie nebenbei und selbstverständlich erzählt Tomate Patrick am Telefon,
dass er und seine Freundin Birgit Weihnachten und Silvester in Paris,
der Stadt der Liebe, verbringen werden. Dies ist ein völliger Schock für
Patrick: "Wenn man keine abbekommt, fühlt man sich besser, wenn es
anderen auch so ergeht ... Das Elend hatte keine Gesellschaft mehr."
Doch auch in sein Leben tritt die Liebe. So hofft er zumindest, als es
eines Tages an seine Tür klopft und ein bildhübsches Mädchen, eine
Nachbarin im Wohnheim, ihn darum bittet, ihr seinen Staubsauger zu
leihen. Doch als er die Wohnung des Mädchens betritt, prangt dort ein
Riesenposter mit dem Konterfei Einsteins
an der Wand, der ihm voller Häme die Zunge rausstreckt. Patrick dreht
(aufgrund eines Kindheitstraumas) durch: "Instinktiv spuckte ich aus ...
Ich stieg aufs Bett, riss das verdammte Poster herunter und knüllte es
zusammen." Diese Aktion beschert ihm am Abend den Besuch Davids, des
Freundes der Nachbarin. Aus anfänglichem Misstrauen entsteht schnell
eine Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Männern. Und David
macht Patrick mit Barbara, seiner Schwester bekannt - einer jungen Frau,
die so gar nicht seinem Wunschbild einer Freundin entspricht.
Herrlich unkorrekt
Ob auch Patrick am Ende des Buches in den Hafen der verliebten
Zweisamkeit einläuft, sei hier nicht verraten und spielt auch im Roman
eine eher untergeordnete Rolle. Denn "Totalschaden" ist keine
Liebesgeschichte im herkömmlichen Sinn, keine dröge Sinnsuche, sondern
ein urkomischer, herrlich politisch unkorrekter Roman über einen leicht
verklemmten jungen Mann voller Wünsche,
Sehnsüchte
und Hoffnungen, der sich mit seiner undiplomatischen und tollpatschigen
Art meist selbst im Weg steht.
Barbara öffnet ihm die Augen, und dies auch in Bereichen seines Lebens,
die er lieber nicht ansprechen möchte. Denn Barbara arbeitet in jener
psychiatrischen Abteilung, in der Davids Mutter schon seit Jahren lebt
und zu der er seit 15 Jahren keinerlei Kontakt mehr hat.
Die kleineren und größeren Seitenhiebe der Autorin treffen zielsicher
ins Schwarze, und sie macht auch vor Bereichen keinen Halt, vor denen
andere Autoren zurückschrecken. Hier erinnert ihr Wortwitz an die
Attacken von Harald
Schmidt, ohne allerdings dessen manchmal überzogene Härte und Häme
zu übernehmen. Geschickt hält Que Du Luu bei ihrem Porträt die Waage
zwischen Komik, Tragik und Emotionen, driftet nie ins Kitschige, bemüht
keine wackligen Metaphern, sondern verknüpft erstaunlich stilsicher und
konsequent mit leichter Hand diese drei Elemente zu einer flüssigen und
schlüssigen Geschichte, die zur Abwechslung einmal nicht tiefsinnig oder
rosarot ist, sondern bemerkenswert nah an eine denkbare Realität heran
kommt: "Nur wenn man allein ist, erinnert man sich an schöne
Augenblicke."
(Wolfgang Haan; 03/2006)
Que
Du Luu: "Totalschaden"
Reclam Leipzig, 2006. 238 Seiten.
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Que Du Luu, geboren 1973 in Cholon/Vietnam, chinesischer Abstammung, lebt seit 1976 in Deutschland. Die Studentin der Germanistik und Philosophie veröffentlichte bisher Erzählungen in verschiedenen Anthologien. "Totalschaden" ist ihr erster Roman.