Emilio Lussu: "Marsch auf Rom und Umgebung"

Ein Bericht


Wie funktioniert der Faschismus?

Faschisten provozieren Krisen und Misstrauen in die Demokratie; eigene Siege - auch undemokratische - werden glorifiziert, ausgekostet und skrupellos ausgenutzt, Niederlagen ebenso unverschämt verleugnet. Immer wird suggeriert, die überwältigende Mehrheit des Volkes zu vertreten. Daraus entsteht ein Regime der Gewalt, eine Macht der Lüge.

In zweiundzwanzig kurzen, aber prägnanten und informativen Kapiteln erzählt Emilio Lussu (1890-1975), was er als führender Politiker einer autonomistischen sardischen Partei und als Abgeordneter zwischen 1919 und 1929 erlebte, bis ihm schließlich die Flucht von der Insel Lipari, seinem Verbannungsort, nach Frankreich gelang. Dennoch ist Marsch auf Rom und Umgebung keine Geschichte des Faschismus, sondern ein literarischer Augenzeugenbericht, der in präzisen Momentaufnahmen Ereignisse aus der Frühzeit des italienischen Faschismus miterleben lässt.

Der Leser nimmt teil an der Enttäuschung italienischer Kriegsteilnehmer über die als ungerecht empfundenen Friedensverträge, erlebt die öffentliche Demütigung von politischen Gegnern - man trichtert ihnen Rhizinusöl ein, fürchtet mit Lussu faschistische Schlägerbanden, die Wahlversammlungen anderer Parteien nachdrücklich zu verhindern wissen, bedauert Entscheidungen des zögerlichen Ministerpräsidenten Luigi Facta und des Königs Vittorio Emanuele III., der den Faschismus anfangs willfährig mittrug und Italien faktisch zum Einparteienstaat machte, und wundert sich über die Massen an Mitläufern und Wendehälsen.

Emilio Lussu berichtet in einem trockenen und sarkastischen Ton; in kurzen Szenarien eröffnet er Zeitfenster und bezieht die Leser in seine Augen- und Ohrenzeugenschaft ein. Doch überlässt er es dem Leser, sich selbst ein Urteil zu bilden:

Die Faschisten lebten in permanenter Mobilmachung, sie gönnten sich auch an Feiertagen keine Ruhe. Verließ der sozialistische Abgeordnete sein Haus nicht, dann demonstrierten sie - wütend über das vergebliche Warten - unter seinen Fenstern. [...]
Gelegentlich rückte auch die Polizei aus; dann applaudierten die Faschisten und schrieen: "Es lebe die Polizei!"
Nichts schmeichelt Polizisten mehr als Applaus. Sie sind nicht daran gewöhnt, bei der Ausübung ihres Amtes Beifall zu bekommen. Die Folge davon war, dass ein Polizeikommissar eines Tages - angetan mit der Trikoloreschärpe, dem Zeichen seiner Autorität - während einer Demonstration empört zu Corsis Fenstern hinaufrief: "Herr Abgeordneter, hören Sie endlich auf, die Nation zu provozieren!"
(Seite 33)

Der aus Südtirol stammende Journalist Claus Gatterer (1924-1984) gibt in seinem engagierten Nachwort einen detaillierten Überblick über Emilio Lussus Leben und seinen politischen Einsatz für seine sardische Heimat und für soziale Gerechtigkeit "Emilio Lussu ist ein Ewig-Morgiger, überzeigt von der Güte des Menschen wie von der Verbesserungsfähigkeit der Welt." (Seite 211)

(Wolfgang Moser; 04/2007)


Emilio Lussu: "Marsch auf Rom und Umgebung. Ein Bericht"
Aus dem Italienischen und mit einem Nachwort versehen von Claus Gatterer.
Folio Verlag, 2007. 224 Seiten.
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Emilio Lussu, geboren 1890 auf Sardinien, 1915-18 hochdekorierter Offizier, 1919 Mitbegründer der autonomistischen Sardischen Aktionspartei, 1921-25 Abgeordneter im italienischen Parlament. 1927 auf die Insel Lipari verbannt. 1929 spektakuläre Flucht nach Frankreich. Mitbegründer der antifaschistischen Bewegung "Giustizia e Libertà". 1943 Rückkehr nach Italien; führender Politiker der "Resistenza". 1945-48 Minister, bis 1968 Senator. Gestorben 1975 in Rom.

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Schauplatz ist das Hochplateau von Asiago, wo Emilio Lussu als junger Offizier von Juni 1916 bis Juli 1917 in Stellung lag. Lussu notiert höchst literarisch persönliche Erinnerungen, frei von Pathos und Sentimentalität. Er schildert episodenhaft ein Kriegsjahr mit den duldenden, kämpfenden, sterbenden "unbekannten" Soldaten als den eigentlichen Protagonisten. Der Roman ist kein antimilitaristisches Pamphlet, vielmehr liegt die Aussage im Geschehen: Der Militarismus nimmt Fleisch und Blut an, etwa in der Gestalt des Generals Leone, der den Krieg um des Krieges willen liebt und einer Laune wegen Soldaten in den Tod hetzt, oder in jener des Generals Piccolomini, dessen Unfähigkeit nur von der patriotischprofessoralen Geschwätzigkeit überboten wird. Jenseits der tragischen oder komischen Begebenheiten, jenseits von Heldentum, Hölle und Tod beschwört Lussu immer wieder das staunende, das glückliche und verzweifelte Gesicht des Menschen, der, ob armer gutmütiger Bauer oder verpfuschter Offizier, auf jeden Fall Verlierer in einer sinnlosen Tragödie ist.. (Folio Verlag)
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