Luo Lingyuan: "Die chinesische Delegation"
Vor
mittlerweile 17 Jahren kam die 1963 in der Volksrepublik China geborene
Luo Lingyuan nach Berlin, wo sie seit 1992 publizierend tätig
ist. Mit Hilfe diverser Stipendien gelang es ihr, in der Berliner
Literaturszene Fuß zu fassen und Artikel um und über
China zu publizieren. Dies führte unter anderem zur
Veröffentlichung einiger ihrer Kurzgeschichten in der Sammlung
"Du
fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock!",
für die sie den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis
erhielt. In dieser Kurzgeschichtesammlung setzt sie sich in erster
Linie mit dem Leben der Chinesen in ihrer Heimat auseinander, wobei
Stadt-Land-, Generationen- und Bildungsdifferenzen eine große
Rolle spielen. Diese Geschichten sind erhellend bis erschreckend in
Bezug auf die chinesische Mentalität und die chinesischen
Lebensumstände in den beschriebenen Bereichen des doch sehr
großen Landes mit seinen vielen verschiedenen Ethnien.
Der vorliegende Roman, der genau wie die Kurzgeschichtensammlung, als
dtv-premium-Ausgabe vorliegt, betrachtet diese Aspekte nun aus einigen
anderen Perspektiven.
Die junge Song Sanya, die bereits vor einigen Jahren nach Deutschland
gekommen ist, bekommt den Auftrag, die Reiseleitung für eine
chinesische Delegation zu übernehmen, die
vordergründig zunächst einmal für eine
19-tägige Europatour nach Rom kommt. Unter der
Führung des Vizebürgermeisters Wang Jian begeben sich
die Industriellen, Bauunternehmer und Akademiker auf eine Rundreise
durch den fremden Kontinent, wobei sie in Rom beginnen. Dort
besichtigen sie verschiedene Bauwerke und Galerien, und von ihren
Beobachtungen und Kommentaren bekommt man nicht nur einen guten
Eindruck von ihren Einstellungen, sondern hat auch die
Möglichkeit, althergebrachte Kulturschätze unter
einem gänzlich ungewohnten Blickwinkel zu betrachten.
Diese flexible Sichtweise, die immer wieder durch die Sicht Sanyas und
des Lesers selbst hinterfragt wird, zeigt sich in der Folge auch in
Venedig, Wien und schließlich in Berlin, Amsterdam und
Brüssel. Speziell in Berlin wird aber auch das eigentliche
Ziel der Delegation klar, die auf der "Jagd" nach Architekten aus
Deutschland ist, um diese für Projekte in China anzuwerben.
Doch dies wird durch verschiedene Dinge erschwert. Das
Architekturstudium schließt ebensowenig ein Training im
Umgang mit kommunistischen Funktionären ein, wie die
Ausbildung der erwähnten Funktionäre den Umgang mit
kapitalistischen Akademikern.
Überhaupt rüttelt die Begegnung mit dem
Kapitalismus
an vielen fest gefügt geglaubten kommunistischen Vorstellungen
und Instinkten, was innerhalb der Delegation zu immer
stärkeren Spannungen führt, während Sanya
sich wieder daran erinnert sieht, wie sie diesen "Versuchungen"
erstmals gegenüber stand und warum sie eigentlich China
überhaupt verlassen hat.
Wie zahlreiche vergleichbare Bücher zeigt auch dieser Roman
sowohl die Hauptdarsteller, wie auch das von ihnen Beobachtete in einem
eher ungewohnten Licht, wobei in diesem Fall den meisten Lesern - genau
wie bei "Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem
fünften Stock!" - klar werden dürfte, wie fremd ihnen
die hier beschriebenen Chinesen sind. Ein in vielerlei Hinsicht
erhellendes Buch, das daneben auch noch handwerklich ansprechend
verfasst ist. Sicherlich eine angenehme Leseerfahrung.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 04/2007)
Luo
Lingyuan: "Die chinesische Delegation"
dtv premium, 2007. 258 Seiten.
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