Jean-Pierre Luminet: "Rendezvous mit Venus oder Die Liebe zur Astronomie"
Zum Tête-à-tête mit dem Teleskop
Stellen Sie sich eine Ära vor, in der
Meister Philidor mit verbundenen Augen mehrere Partien Schach zugleich besteht,
Voltaire mit schneidender Eloquenz der Freiheit eine Lanze bricht, Diderot
Wissen sammelt, wie andere Mätressen, während nicht weit entfernt Teleskope dem
Aberglauben am Firmament zuleibe rücken. Dann sind Sie bereit für das
"Rendezvous mit Venus".
Dieses Buch braucht freilich kein fein
geschliffenes Okular, schon der erste Blick lässt erahnen: C.H. Beck und
Jean-Pierre Luminet haben nach dem anspruchsvollen "Alexandria
642 - Roman des antiken Weltwissens" erneut zu einer
Qualitätskooperation zusammengefunden. Die Aufmachung des Buches ist gediegen,
die Übersetzerin sprachlich brillant und das trockene historische Thema
geschickt mit Fantasie und Anekdoten durchwirkt. Bereits der Schutzumschlag
macht neugierig. Wohin richtet der prunkvoll gekleidete Mann mit Allongeperücke
seinen sehnsüchtigen Blick? Nachtblauer Himmel, Teleskop und Untertitel lüften
das Geheimnis. Es geht um "Die Liebe zur Astronomie".
Zum Erzähler
kürt Luminet - von Berufs wegen Astrophysiker am Observatorium von Meudon -
seinen berühmten Landsmann Jérôme Lalande (1732-1807), einen der ganz großen
europäischen Naturwissenschafter aus der Zeit der Aufklärung; von einigen als
"Voltaire der Astronomie" bezeichnet. Vom ländlichen Bourg-en-Bresse zieht es
Lalande in die Metropole Paris. Zur Schule war er bei den Jesuiten gegangen, die
er aber wie "alles, was Soutane trägt" verabscheut. Auf Wunsch des Vaters
inskribiert Lalande Jus und hat mit nur 19 Jahren den Abschluss in der Tasche.
Seine geheime Leidenschaft gilt allerdings der Sternkunde. Bei Joseph-Nicolas
Delisle (1688-1768) erhält er Kost und Logis und darf dessen Observatorium
benützen. Delisle ist Professor für Astronomie am College Royale, also
königlich-französischer Hofastronom seiner Majestät Ludwig XV. 1760 sollte
Lalande seinem Mentor in dieser Position nachfolgen, zuvor aber besucht er
Berlin, wo er mit lebenden Legenden wie Euler oder Voltaire fachsimpelt. 1753
wird er als 21-Jähriger in die Akademie der Wissenschaften in Paris
aufgenommen.
Eine von Lalandes ersten Aufgaben besteht darin, die exakte
Wiederkehr
des Halleyschen Kometen zu bestimmen. Er ist davon überzeugt, dass einzig
und alleine die Schwerkraft der Sonne Einfluss auf die Bahn des Schweifsterns
hat, jedoch kein anderer Himmelskörper unseres Sonnensystems. Damit wagt der
junge Astronom sich mitten in den mathematischen Disput um das so genannte
"Dreikörperproblem". Probleme bereitet ihm der akademische Streit wenig. Lalande
ist siegesgewiss, schließlich hat er eine Gruppe ambitionierter Kollegen um sich
gesammelt, darunter Jean-Baptiste de Chappe d`Auteroche (1728-1769) oder
Guillaume Le Gentil (1725-1792), denen späterhin in Sachen Venus eine bedeutende
Rolle zukommen wird. Das Gestirn, um das sich alles dreht, ist aber die kluge
und disziplinierte Nicole-Reine Lepaute (1723-1788). Sie treibt Lalande wie
Chappe unermüdlich vorwärts, spornt die in sie verliebten Athleten der
Wissenschaften zu Höchstleistungen an, und berechnet selbst Tag und Nacht
Bahndaten des Kometen. Erotisch zeigt sich die Gattin des Hofuhrmachers vorerst
zugeknöpft. Lalande bleibt nur die Schwärmerei für ihre schmalen, zerbrechlichen
und zugleich kräftigen Hände, die "schönsten der Welt".
In der
Nacht des 21. Januar 1759 werden diese Hände den erglühten Astronomen an den
Körper seiner irdischen Venus ziehen. Es ist die Nacht der Nächte schlechthin.
Nicht nur die Liaison zwischen Madame Lepaute und Monsieur Lalande nimmt ihren
Anfang, sondern auch Halleys Komet findet sich - wie von den beiden berechnet -
pünktlich über Frankreich ein. Die Bourbonenlilie erblüht im Nationalstolz, der
König ist zufrieden, die weiteren Forschungsgelder sind gesichert. Nun kann ein
noch größeres Projekt in Angriff genommen werden: der Venus-Transit. In mehr als
hundert Jahren schiebt sich der Planet der Liebe direkt vor die Sonne, ist dann
durch Teleskope als kleiner schwarzer Fleck zu erkennen. Bestimmen Beobachter an
verschiedenen Punkten des Globus die Parallaxe während des Venusdurchgangs, kann
so die Entfernung der Sonne zur Erde relativ genau gemessen werden. Stichtag ist
der 6. Juni 1761. Lalande schickt seine kongenialen Partner in die entlegensten
Winkel aus.
Chappe reist ins sibirische Tobolsk, wo er das
Himmelsereignis beobachten und akribisch dokumentieren wird. Wie in einem Kanon
lässt Jean-Pierre Luminet neben dem wissenschaftlichen ein sozialkritisches
Motiv mit anklingen: Der aufgeklärte französische Astronom wird Zeuge von Elend,
Unterdrückung und blutdurstigem Aberglauben. Im zaristischen Russland leben die
Bauern in bitterer Armut, von der Obrigkeit drangsaliert, von den Popen bewusst
dumm gehalten. Nach der Schneeschmelze jährlich wiederkehrende Hochwasser werden
als "Gottesstrafe" indoktriniert; Fremde, mit Teleskopen und anderen technischen
Gerätschaften ausgestattet, als Dämonen gefürchtet. Chappe lernt die Großfürstin
Katharina, in ihrer späteren Regentschaft als "die Große" verherrlicht, kennen
und bewundern. In ihr sieht der Astronom die Garantin für ein neues Zeitalter
der Wissenschaft und Menschenwürde - zumindest in Punkt zwei eine
Fehleinschätzung, wie sich zeigen wird.
Le Gentil beschließt zu den
französischen Inselbesitztümern im Indischen Ozean zu reisen. Von dort soll die
Schiffspassage weitergehen in die Enklave Pondichéry, gelegen an Indiens
Ostküste, wo ein Observatorium für die Venusbeobachtung der Errichtung wartet.
Doch der Siebenjährige Krieg (1757-1763) macht ihm einen Strich durch die
Rechnung. Frankreichs ineffiziente Marine erleidet eine Niederlage nach der
anderen, und Pondichéry fällt in die Hände der Engländer. Die Umstände wollen
es, dass Le Gentil den 6. Juni 1761 an Bord eines wackligen Seglers verbringt,
was mathematisch genaue Messungen unmöglich macht. Doch eine Chance gibt es für
den abenteuerlustigen Astronomen noch. Venusdurchläufe sind stets
Zwillingsereignisse im Abstand von acht Jahren. 1769 ist das nächste angepeilte
Datum. Bis dahin verdingt sich Le Gentil als Forscher auf Madagaskar und auf den
Philippinen, wo er in Manila unliebsame Bekanntschaft mit einem korrupten
Statthalter und dem Heiligen Offizium, sprich der Inquisition
schließt.
Chappe, aus Russland zurückgekehrt, muss zwei Niederlagen
zugleich einstecken. Einerseits erfährt er von der Beziehung seiner
angehimmelten Reine zu Lalande, andererseits lässt die nunmehrige Zarin
Katharina aus politischem Kalkül gegenüber Frankreich seinen Ruf als
Wissenschafter unterminieren. Dabei bedient sie sich sogar der scharfen Zunge
des vielseitig begabten Denis Diderot
(1713-1784), der Chappe öffentlichen einen "Narren" heißt. Diderot wird dies
später bereuen, doch hat er zum gegebenen Zeitpunkt wenig Wahl, da Russlands
Zarin zugleich seine finanzkräftigste Gönnerin ist. Katharina kauft dem in der
monetären Bredouille sitzenden Diderot seine Bibliothek ab, wobei er zu den
geliebten Büchern großzügigerweise Zutritt auf Lebenszeit behalten darf - und
sie überweist jährlich ein fürstliches Salär. Nicht nur Le Gentil spielt die
Politik der Mächtigen arg mit, auch Chappe. Der irdischen Venus Reine und
Katharina verlustig, bricht der Enttäuschte gen Mexiko auf. Auf der Halbinsel
Baja California möchte er zumindest am Firmament am Weg der strahlenden
Liebesgöttin teilhaben.
3. Juni 1769: Chappe hat es bis Mexiko geschafft,
das Teleskop ist fixiert, der Transit kann beginnen. Beflissen wie schon in
Sibirien notiert er alle Daten. Kurz danach schließt Frankreichs Himmelsvoyeur
Nummer eins für immer die Augen. Eine Seuche, vomito negro, das Schwarze
Erbrechen, ist ursächlich. Sein Mitarbeiter wird die astronomisch wertvollen
Notizen einige Monate später in Paris der Akademie überreichen. Le Gentil
befällt synchron Unglück anderer Art. Pondichéry steht zwar wieder unter der
Herrschaft der Bourbonen, das Observatorium steht ebenfalls, und der Himmel ist
klar. Doch Letzteres hält nur solange, bis eine Wolke die Sicht trübt, just
während jener wenigen Minuten des Venusdurchlaufs. Erneut kann Le Gentil keine
Berechnungen anstellen. Niedergeschlagen verlässt er Indien in Richtung Amerika.
Das Ende des Romans wird ab nun gar nicht mehr so bedeutsam.
Jean-Pierre
Luminet hat es meisterhaft verstanden, eine Himmel-Erde-Analogie herzustellen.
Lalande, Chappe, Le Gentil treibt die Liebe zur Astronomie voran. Sie wollen der
Venus ihre Geheimnisse entreißen, gleichzeitig erliegen sie der Gravitation
irdischer Liebe. Hier zieht Aphrodite in Gestalt von Reine ihre Bahnen. Lalande,
der Göttin örtlich am nächsten, erliegt der Anziehungskraft am stärksten.
Chappe, in einem entfernteren Orbit kreisend, kann seine Bahn gerade halten. Le
Gentil schließlich reist an der Gravitationsgrenze, dort, wo bereits andere
Göttinnen an Strahlkraft gewinnen.
Strukturelle Parallelen zu
"Alexandria 642" sind unübersehbar. Es geht hie wie da um Aufklärung, um
die Befreiung von religiösem Obskurantismus und Fundamentalismus, um die Hingabe
zur Wissenschaft und um die Liebe zu einer faszinierenden weiblichen Gestalt,
heißt sie nun Hypatia oder Reine. Jean-Pierre Luminet tritt diesen Emanationen
der Göttin mit großer Achtung entgegen, als Apologet des weiblichen Intellekts.
Natürlich fließt das naturwissenschaftliche Faible des literarisch wie
rhetorisch begabten Himmelsbetrachters in seine Bücher mit ein. Luminet ist
nicht nur von einer Muse geküsst: Klio, Kalliope und Urania scheinen
gleichermaßen talentschenkend die Lippen zu schürzen.
Wem die Leselust
nach leichterer, wenngleich nicht blasserer Muse steht, dem sei "Der Fluch der
Sterne" (Elizabeth Redfern) empfohlen. Wessen Sinn mehr nach der spitzen
Feder des Gottes Merkur gelüstet, dem soll "Voltaires
Kalligraph" (Pablo de Santis) nahegelegt sein. In beiden Büchern
begegnet der Leser bekannten Personen jener goldenen Epoche französischer
Geisteskunst wieder. Zuhauf kommen sie allerdings nur zum "Rendezvous mit
Venus".
(lostlobo; 03/2005)
Jean-Pierre Luminet: "Rendezvous mit Venus oder
Die Liebe zur Astronomie"
(Originaltitel
"Le rendez-vous de Vénus")
Aus dem Französischen von Annette
Lallemand.
C.H. Beck, 2005. 380 Seiten.
ISBN 3-406-52895-3.
ca. EUR
23,60.
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Leseprobe:
Clairauts Mitteilung
Anfang November 1758 löste in der Versammlung Tumult aus: „Der von Jupiter und
Saturn um etwa zweihundert Tage aufgehaltene Komet wird Mitte Januar 1759 über
Paris auftauchen und am 13. April sein Perihel erreichen, mit einer maximalen
Abweichung von drei Wochen. Diese Unsicherheit beruht auf unserer noch
mangelhaften Kenntnis von den Massen dieser Störungsplaneten.“ Viele
unterbrachen ihn mit Bravo- und Jubelrufen. Andere, die nichts begriffen hatten,
protestierten lautstark. Clairaut beglückwünschte ausdrücklich und herzlich
Reine Lepaute und mich.
Die Würfel waren gefallen. Aber von diesem Moment an
und bis zum Schluß quälten mich nun Zweifel. Und wenn Clairaut sich geirrt
hätte? Und unsere Monatsberechnung nicht stimmte? ... Niemandem wagte ich davon
zu erzählen, nicht einmal Pingré, Le Gentil oder Chappe, bei denen ich doch
ähnliche Zweifel spürte. Nur Reine Lepaute stand wie ein Fels in der Brandung,
sie war sich ihrer Sache sicher. Clairaut war gleich nach seiner fulminanten
Mitteilung nach Berlin abgereist: Im Himmel über Preußen würde man den Kometen
zuerst sehen können.
War diese übereilte
Abreise nicht vielleicht gar Flucht? Der Komet war zum einzigen Gesprächsthema
geworden. An jeder Straßenecke kündeten die unvermeidlichen Spinner das Ende der
Zeiten, das Reich des Antichristen und so manch andere eschatologische Eselei
an. Und wie zur Untermauerung ihrer Hirngespinste war erneut Krieg ausgebrochen
in Europa. Er sollte sieben Jahre dauern.
Ich habe wirklich eine kuriose
Zeitspanne erlebt. Wir, die verschwindende Minderheit, glaubten, unsere Epoche
sei nun endgültig auf Fortschritt und Vernunft hin orientiert, auf das eiserne
Zeitalter, wie Voltaire sagte. Aber wir täuschten uns, denn die anderen, alle
anderen, gefielen sich in abergläubischen Verrenkungen. Was hatte man nicht
schon an Prophezeiungen gehört in all den Jahren des Wartens auf den Halleyschen
Kometen! Epidemien würden sich ausbreiten, Regierungen würden stürzen, Fürsten
sterben, Teutonenhorden erneut über das gute alte Frankreich herfallen. Doch es
kam anders. Der Große Uhrmacher hatte vergessen, Seine Uhr aufzuziehen, und die
vier Reiter der Apokalypse mußten ihre Pferde zurück in die göttlichen
Stallungen bringen und sie noch zweihundert Tage lang striegeln. Die von
Clairaut und uns errechneten zweihundert Tage. Diese magische Zahl! Fiebrig
suchten die einen in Bibel und
Kabbala
nach der tieferen Bedeutung. Die ergötzlichste war die mit gelehrten Worten
untermauerte These eines Exzentrikers, der erklärte, Gott habe die Welt nicht in
sechs, sondern in zweihundert Tagen erschaffen, woraufhin Chappe blasphemisch
jubilierte, dies sei ja auch „wahrscheinlicher in Anbetracht des gewaltigen
vollendeten Werks“. Das alles erscheint komisch und lächerlich. Aber noch vor
knapp vierzig Jahren glaubten viele Menschen daran. Sogar und vor allem in
Versailles, die Minister, die Herzöge, die Fürsten – und auch der König.
Im
Panier Fleuri schwang Diderot das große Wort. Um seinen Kopf schwebte die
Aureole des Erfolgs seines Hausvaters. Er war ein unverbesserlicher
Schwätzer, daran war jeder hier gewöhnt. Aber war das
bloßes Geschwätz? Doch
wohl eher ein Vulkanausbruch, häufig mit glutsprühendem Ideenfluß, manchmal auch
mit Aschewolken. Diesmal schleuderte er mir entgegen: „Na, Lalande, was haben
Sie sich denn da wieder einfallen lassen mit diesem Gefecht um einen Kometen?
Seit Bayle sind die Kometen doch bedeutungslos.“
„Verzeihen Sie, cher maître,
aber Sie scheinen Astrologie
und Wissenschaft zu verwechseln! Die Abergläubischen halten in der Tat noch
immer daran fest, daß die Kometen die Erde erschrecken sollen. Und wenn wir uns
ansehen, wie astrologische Hirngespinste das Schicksal von Nationen beeinflußt
haben, dann müssen wir den Philosophen Dank sagen, daß sie keine Mühe gescheut
haben, um die Menschheit von derartigen Geisteskrankheiten zu heilen.“
„
Ich
hätte es nicht besser ausdrücken können. Aber heutzutage, da die Gesellschaft
doch dank unserer Hilfe den Kinderschuhen entwachsen ist, kann ich mir nur
schwer vorstellen, welchen Einfluß Ihre streng rationale
Astronomie haben
könnte.“
„Und wenn ich Ihnen wissenschaftlich beweisen würde, daß einer
dieser Kometen aufgrund des Gesetzes der universellen Anziehungskraft unseren
Planeten durchaus rammen und jedes Leben auf ihm zerstören könnte?“
Diderot
wirkte beleidigt, sprach aber gutmütig weiter. Er verwies auf Pantagruel,
den ich nicht gelesen hatte, und beteuerte, wenn ich solche Berechnungen
anstellte und publizierte, wenn ich die Möglichkeit einer solchen Katastrophe
beweisen könnte, dann wäre das ein echtes Verbrechen gegenüber dem Fortschritt,
der Aufklärung und der Vernunft. Damit machte ich mich zum Komplizen der
Apokalypsenbeschwörer des Mittelalters, die das Volk zu passiver und abwartender
Haltung aufgerufen hatten. Er nahm also einen moralischen Standpunkt ein, dem
ich damals in meinem Feuereifer noch keinen Vorrang eingeräumt hatte. Und
während ich ihn seinem Redefluß überließ, keimte in mir ein eher amüsanter
Gedanke, der ein paar Jahrzehnte später in Paris für Aufsehen sorgen sollte: die
brutale Begegnung unseres Planeten mit einer Schwester von Halleys
Kometen.
Ich beschloß also,
nach Béziers aufzubrechen, um dort den Vorübergang des Kometen zu beobachten.
Der Himmel dürfte klarer sein als über Paris, meine neuen katalanischen Freunde
flehten mich in geradezu schmeichelhafter Weise an, doch ihre Sternwarte mit
meiner Person zu beehren, aber der wirkliche Grund war, daß meine Ängste und
Zweifel wuchsen. je näher der Termin kam. Da wäre es doch besser, so weit wie
möglich von Paris entfernt zu sein, falls ... Ich teilte den Lepautes meinen
Entschluß mit. Der Uhrmacher war begeistert: „Nicole und ich kommen mit!“ Der
Unglückswurm nannte seine Frau noch immer hartnäckig Nicole.
Es wurde
beschlossen, bereits Weihnachten im Süden zu verbringen. Doch am Tag vor der
Abreise wurde Lepaute an den Hof beordert, wo es mit irgendeiner Uhr Probleme
gab. Er war betrübt, uns im Stich zu lassen, aber eigentlich, so erklärte er,
benötigten wir ihn ja nicht. Und so verfrachtete er uns eigenhändig in den
Postwagen – Reine und mich.
Genau am Tag unserer Abreise zeigte sich der
Komet über Berlin. Ein Landmann bemerkte als erster dieses gespenstische
Leuchten und rannte ganz aufgeregt los, um seine Herrschaft zu informieren.
Clairaut war in Ekstase und schrieb mir einen Jubelbrief. Doch dieser erreichte
mich erst einen Monat später, nach Umrundung etlicher Schlachtfelder. Wir waren
ja mitten im Krieg. Wir? Stimmt das? Die Wissenschaftler jedenfalls nicht, wir
beharrten darauf, einander unsere dem Wohle der Menschheit dienenden
Entdeckungen mitzuteilen, die Schlachten schlugen Könige, Tyrannen, die
Soldateska.
Béziers war vom Krieg weit entfernt und dem Kometen nahe. Die
ehemalige Katharer-Hochburg hatte in ihrer Geschichte so viel Leid erlebt, daß
sie besser als jede andere um die Prinzipien der Toleranz wußte. In dieser
bescheidenen Akademie ging man liebenswürdig miteinander um: Da gab es
Katholiken, Protestanten, Juden, Philosophen, Agnostiker – ja sogar Frauen, denn
bald schon wurde Reine aufgenommen. Der Respekt. den man uns entgegenbrachte,
beruhte keineswegs auf einem unbestimmbaren Minderwertigkeitsgefühl von
Provinzlern gegenüber uns Parisern, sondern auf der Anerkennung unserer Talente
und Leistungen. Der Sekretär, ein reizender alter Herr, stellte uns seine
Sternwarte und die angrenzenden Wohnräume zur Verfügung und verhielt sich
während unseres ganzen Aufenthalts äußerst diskret.
Endlich war sie da, die
schöne Nacht des 21. Januar 1759. Der Komet kam pünktlich. Strahlend war er, der
geschweifte Stern, der triumphierend auf sein Perihel zuging, das wir errechnet
hatten. Noch nie hatte ich bei all meinen Himmelsbeobachtungen eine solche
Erschütterung verspürt. Nicht, weil damit unser Erfolg besiegelt war, mich
überkam ein Gefühl von etwas Heiligem oder, besser gesagt, von Kunst, was ja
irgendwie ähnlich ist. Reine befand sich mit mir und dem Kometen in völligem
Einklang. Eng aneinandergedrängt, standen wir am Fernrohr. Ihre Brust preßte
sich an meinen Rücken, unser Atem vermischte sich, unsere Haare ebenfalls. Fast
bis Tagesanbruch, als der Himmel allmählich verblaßte, standen wir so. Dann aber
streckte sie sich mir entgegen, weitete die Arme, drückte mich an sich und
preßte heftig ihren Mund auf den meinen. Wie eine Liane ringelte sie sich um
meinen Körper und zog mich mit in ihr Zimmer. Unsere Vereinigung war vollkommen.
Es war schon später Vormittag, als wir endlich zur Ruhe kamen. Als ich
aufwachte, erblickte ich direkt über mir ihr leicht gealtertes Gesicht mit einem
völlig neuen Blick. Anstatt mir Liebesworte ins Ohr zu murmeln, erklärte sie mit
dem unmißverständlichen und knappen Ton, auf den sie sich ja leider gut
verstand:
„Und jetzt müssen wir uns mit Venus befassen.“