Gert Loschütz: "Die Bedrohung"
Loose,
der Ich-Erzähler des Romans von Gert Loschütz,
hat lange Jahre als Literaturredakteur für das Feuilleton
einer Zeitung gearbeitet. Wie so mancher seiner Kollegen schreibt er
auch zu Hause an Texten, die er irgendwann veröffentlichen
will. Doch er kann im Unterschied zu seinem Hauptberuf in der Zeitung
keinen Text wirklich zu Ende bringen. Und dort ist es auch nur der
Anruf aus dem Satz, der ihn zur Fertigstellung und zum Abschluss eines
Textes nötigt.
Seine Frau Sabine hat er bei der Zeitung kennen gelernt. Sie arbeitet
in der Deutschlandredaktion. Als Loose nach einem Streit mit seinem
Chefredakteur, der ihm unterstellt, im Café zu schreiben,
seine Festanstellung kündigt, glaubt er sich endlich am Ziel
seiner Träume. Seine zahlreichen Essays will er fertig stellen
und in einem kleinen, aber feinen Buch veröffentlichen. Sabine
hat seine Arbeit in der Kulturredaktion zwischenzeitlich
übernommen, wohl sehr zur Zufriedenheit des Chefs. Doch das
stört Loose wenig. Sabine ist geduldig mit ihm, als er aber
auch nach mehr als einem Jahr noch keinen einzigen Text, nicht einmal
eine Rohfassung, fertig stellen konnte, macht sie sich ernsthafte
Sorgen.
Da kommt eine Einladung zu einer Tagung gerade recht. Professor Maurer
lädt Loose zur Jahrestagung der Botanischen Gesellschaft ein,
um die dort Versammelten mit seinem Formulierungstalent zu
unterstützen, wie er schreibt. Sabine drängt ihren
Mann, hinzufahren, Loose zögert. Was soll er da? Loose hatte,
als er noch die Kulturseiten der Zeitung betreute, zahlreiche
unverständliche wissenschaftliche Texte Maurers so
überarbeitet, dass sie einem breiten Publikum
zugänglich wurden und so über die Zeit nicht
unwesentlich zur immer größeren Berühmtheit
und vor allem medialen Präsenz des Professors zu allen
möglichen Themen aus
dem weiten Bereich der Biologie
beigetragen.
Loose ist fest entschlossen, die Einladung nicht anzunehmen, als ihn
ein Artikel in der Rubrik "Aus aller Welt" seiner Zeitung seine Meinung
ändern lässt:
"Die Einwohner der kleinen Ortschaft Niem, nahe B., sind beunruhigt.
Seit sich ein vierzehnjähriges Mädchen und ein
gleichaltriger Junge in dem an das Dorf grenzenden Wald das Leben
genommen haben, reißt die Serie von Selbstmorden nicht mehr
ab. Von überall her kommen die Leute, um hier zu sterben,
sagte der Bürgermeister. Da es für Ortsunkundige
schwer sei, sich in dem undurchdringlichen Gehölz
zurechtzufinden, seien es immer wieder die Einwohner, die die Toten aus
dem Wald holen müssten. Sie forderten deshalb, den Wald mit
einem Zaun zu umgeben."
Er wittert wohl eine Geschichte, die ihm zu einem endlich erfolgreichen
Text und Buch verhelfen könnte, und sagt zu. Loose
fährt mit Maurer zusammen mit der Bahn zu dem kleinen
abgelegenen Landhotel. Kaum angekommen, lässt Maurer die Katze
aus dem Sack und trägt Loose die Leitung einer neuen, von der
Botanischen Gesellschaft herausgegebenen Zeitschrift an. Loose
hält sich bedeckt, allerdings geht ihm sofort auf, warum seine
über alles informierte Frau Sabine ihn so zur Annahme von
Maurers Einladung gedrängt hatte. Maurer indes interpretiert
Looses Zurückhaltung als höfliche Zusage.
In der Zwischenzeit recherchiert Loose in der nahegelegenen Stadt
über die rätselhaften Todesfälle im Wald und
stößt auf ablehnende Zurückhaltung. Mehr
und mehr beschleicht den Leser das irritierende Gefühl, dass
es Loose nicht nur um eine vielleicht interessante Handlung
für einen literarischen Versuch geht.
Als die Jahrstagung zu Ende geht, bleibt Loose im Hotel, ohne Maurer
zugesagt zu haben. Der bietet einige Tage später Looses Frau
Sabine, die sofort mit Eifer an die Arbeit geht, die Stelle an. Da er
nicht weiter für seine Unterkunft bezahlen kann, verdingt sich
Loose als Nachfolger des verschwundenen Hausmeisters. Dessen
Verschwinden flickt Loose spielerisch-paranoid in sein Ideennetz ein.
Er lässt von seiner Suche nach der Ursache der
mysteriösen Todesfälle nicht ab. Der Ort des
Geschehens zieht ihn magisch an, und am Ende weiß der Leser
auch, warum.
Ein locker-leicht geschriebener Roman, ganze Teile in abgehackter
Tagebuchnotizsprache mit genialen Beobachtungen zur medialen
Expertensucht. Ein Roman, der den Leser ganz langsam und unmerklich
hineinzieht in die Gedankenwelt des Ich-Erzählers, die sich
von Seite zu Seite mehr von der Realität entfernt.
Dennoch kommt der Schluss überraschend und trifft den Leser
wie ein Keulenschlag.
(Winfried Stanzick; 09/2006)
Gert Loschütz: "Die Bedrohung"
Frankfurter Verlagsanstalt, 2006. 191 Seiten.
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Gert
Loschütz, 1946 in Genthin (Sachsen-Anhalt) geboren und 1957
nach Dillenburg übergesiedelt, ist seit 1970 freier
Schriftsteller u.a. für Theater und Hörfunk. 2000
erhielt er die Ehrengabe der Deutschen Schillergesellschaft.
Veröffentlichungen u.a.: "Eine wahnsinnige Liebe" (Novelle);
"Das Pfennig-Mal" (Erzählung); "Flucht" (Roman); "Unterwegs zu
den Geschichten" (Erzählungen).
2005 erschien der Episodenroman "Dunkle Gesellschaft. Roman in zehn
Regennächten", für den Gert Loschütz den
Rheingau-Literaturpreis erhielt und Finalist des 1. Deutschen
Buchpreises wurde:
"Dunkle Gesellschaft. Roman in zehn Regennächten"
Thomas, den Binnenschiffer, hat es von den Flüssen weg in die
niedersächsische Provinz verschlagen, wo das Land weit ist und
der Himmel tief hängt und ihn nachts die Unruhe aus dem Haus
treibt. In zehn Regennächten erinnert er sich an fantastische
Begebenheiten, an Stationen seiner Reise, auf die ihn das Leben
geschickt hat. Immer wieder ist er dabei einer Gruppe von
schwarzgekleideten Leuten begegnet, deren Auftauchen Unheil und
Katastrophen ankündigt, eben jener dunklen Gesellschaft, vor
der ihn schon sein Großvater gewarnt hatte.
In zehn geheimnisvollen Kapiteln entfaltet sich eine magische Spannung
und apokalyptische Suggestivkraft, entsteht eine beklemmend dichte,
immer wieder ins Magisch-Surreale hinübergleitende Welt. Jede
Geschichte spielt zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort -
Berlin,
London,
New
York, Rom,
Wien,
in einer brandenburgischen Kleinstadt, an
der östlichen Spree -, und überall ist die Bedrohung
allgegenwärtig, die von dieser starren und dunklen
Gesellschaft ausgeht, auch da noch, wo sie gar nicht selbst auftritt,
sondern nur wie ein Menetekel auf einem Bild erscheint. Bis Thomas,
nach einer letzten Begegnung mit den Dunklen, die in einem
sintflutartigen Regen untergegangene Gegend wieder verlassen darf.
(Frankfurter Verlagsanstalt)
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Weitere Bücher des Autors:
"Das erleuchtete Fenster. Erzählungen"
Unheimlich und leise rollt eine der Perlen
dieses Buches heran: bleierne Zeit, Mai 1970, Berlin kurz nach der gewaltsamen
Befreiung
Andreas
Baaders aus der Haft. Der Erzähler und seine Freundin bekommen
unerwarteten Besuch von drei Frauen, die Unterschlupf suchen. Mit wenigen
Strichen zeichnet Gert Loschütz hier die
paranoide Situation, in der die RAF bis zu ihrer Auflösung existieren wird.
Denn unschwer ist zu erkennen, es handelt sich bei den Frauen um Terroristinnen,
die abtauchen müssen, um
Gudrun Ensslin und
Ulrike Meinhof.
Gert Loschütz ist, der vorliegende Band mit seinen gesammelten Erzählungen
beweist es, ein großartiger Erzähler. Ein
Vergleich mit seinen Lebensdaten legt es nahe, die eigene Biografie ist
Ausgangsbasis der Geschichten; und doch geht das literarische Ergebnis weit
darüber hinaus. Mit wenigen Strichen
skizziert er überraschende Begebenheiten, fängt meisterhaft scheinbar
alltägliche Momente und grotesk-humorvolle
Situationen ein und erzeugt dabei durch unerwartete Wendepunkte
Spannung. Loschütz schafft in seinem Werk einen Raum des Unheimlichen,
Unerwarteten und rätselhaft Dunklen. Nicht
die lauten und offensichtlichen Gefahren lauern seinen Protagonisten
auf, sondern vielmehr jene des Alltags: Geschichten mit unerwartetem Ausgang. (Frankfurter Verlagsanstalt)
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"Ein schönes Paar" zur Rezension ...
"Auf der Birnbaumwiese"
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Mit
farbigen Zeichnungen von Philip Waechter