Carl Albert Loosli: "Die Schattmattbauern"
Eindrucksvoller
sozialkritischer Kriminal- und Gerichtsroman
"Die Leute wünschen sich eine Konfektionsliteratur, die ich
nicht liefern kann und nicht liefern möchte, auch wenn ich es
könnte." So kommentiert C.A. Loosli den Misserfolg der ersten
Buchausgabe seines Romans ‚"Die Schattmattbauern", der
Kernstück des vorliegenden dritten Bandes einer
siebenbändigen Werkausgabe bildet, die im Rotpunktverlag
erschienen ist. Eine Edition, die keine Wünsche offen
lässt, dies kann man zumindest ohne Einschränkung von
dem mir vorliegenden dritten Band behaupten, der Looslis Werke
enthält, die unter der Rubrik Kriminalliteratur
zusammengefasst werden können. Die anderen Bände
beinhalten folgende Themen: Band 1 Verdingkinder und Jugendrecht, Band
2 Strafrecht und Strafvollzug, Band 4 Literatur und Literaturpolitik,
Band 5 Demokratie zwischen den Fronten, Band 6 Judentum und
Antisemitismus und Band 7 Kunst und Kunstpolitik.
Neben dem Roman "Die Schattmattbauern", der circa 300 Seiten des Buches
in Anspruch nimmt, präsentiert uns der dritte Band dieser
mustergültig edierten Werkausgabe auch noch einige
kürzere Kriminalerzählungen. Die erste Geschichte ist
ganz im Stile Arthur Conan Doyles gehalten, aber mit parodistischen
Zügen durchsetzt, der Detektiv zum Beispiel wurde vom Autor
auf den Namen Harlock Shelmes getauft. Eine weitere Erzählung,
"Der verlassene Stuhl", nimmt sogar Anleihen bei der fantastischen
Literatur auf und erinnerte mich ein wenig an die Erzählungen
Joseph Sheridan Le Fanus oder an Wilkie Collins. Dann folgt eine
Erzählung in Schweizer Mundart, etwas schwierig für
alle, die dieses Idioms nicht mächtig sind, doch ein kurzes
Diktionär im Anhang mit der Erklärung der wichtigsten
Begriffe, beziehungsweise deren Übertragung ins Hochdeutsche,
erleichtert dem Leser das Verständnis. Zum Schluss folgt noch
ein Fragment, das mit dieser Ausgabe zum ersten Mal
veröffentlicht wird. Die Herausgeber haben es wohl erst
kürzlich bei ihren Recherchen zum Autor entdeckt.
Das umfangreichste und bedeutendste Werk dieses Bandes "Die
Schattmattbauern" stellt weit mehr dar als nur einen Kriminal- oder
Gerichtsroman. Es ist ein Sittengemälde der Schweizer
Landbevölkerung des zu Ende gehenden neunzehnten Jahrhunderts,
vor allem ein Plädoyer für eine umfassendere Bildung
der niederen Stände, der sogenannten "einfachen Leute", des
Weiteren ist es eine psychologische Studie und beinhaltet eine
deutliche Systemkritik, nicht nur Kritik an der Bildungspolitik,
sondern auch an der Justiz und der Strafverfolgung. Zudem ist der Roman
eine Absage an den Positivismus, sowie an den naiven Glauben, ein
Sherlock
Holmes, also eine Art Übermensch, werde es schon
wieder zu richten wissen, wenn etwas schief gelaufen ist. Carl Albert
Loosli meldet berechtigten Zweifel an am Anspruch der
Ermittlungsbehörden und der Justiz, etwas, das nun mal aus den
Fugen geraten ist, wieder ins rechte Lot bringen zu können.
Und Loosli weiß, wovon er schreibt, er selbst hat ein paar
Jahre in Erziehungs- und Jugendstrafanastalten verbringen
müssen und war später als Gerichtsberichterstatter
und Geschworener tätig, "ein alter Routinier der
Strafrechtspflege", wie er von sich selbst gesagt hat. Breiten Raum
nimmt denn auch die Schilderung der Untersuchungshaft ein, die am Ende
den Hauptprotagonisten des Romans in einen psychischen und physischen
Ruin treibt.
C.A. Looslis Kriminalerzählung "Die Schattmattbauern" war zur
Zeit ihres Entstehens zweifellos ein Kriminalroman, der seiner Zeit
voraus war, einer der ersten, wenn nicht gar der erste
überhaupt, der mit dem Schablonenhaften der Detektivgeschichte
bricht, ein Werk, von dem vermutlich auch
Friedrich Glauser
beeinflusst
wurde; ein mehr auf psychologischer Auslotung des Menschen
fußender Roman, ein sozialkritischer Roman auch, obwohl eine
sozialkritische Komponente ja von vornherein schon in jedem Krimi, und
sei es im trivialsten seiner Art, angelegt ist. Und obschon es der
Erzählung an reißerischen Szenen mangelt - was ich
keinesfalls als Mangel im negativen Sinne empfunden habe - gebricht es
ihm nicht an Spannung. Er ist es in jedem Fall wert, von denen, die ihn
noch nicht kennen sollten, entdeckt und gelesen zu werden. Sicher, um
"Konfektionsliteratur", wie beim Gros dessen, was heute die
Krimi-Bestsellerlisten anführt, handelt es sich hierbei nicht,
um auf den Beginn meiner Besprechung zurückzukommen.
Die Herausgeber Fredi Lerch (Redaktor und freier Publizist, Bern) und
Erwin Marti (Historiker, Lehrer und Publizist, Basel) haben eine
hervorragende editorische Arbeit geleistet. Einzig und allein die
Tatsache, dass in der Einführung bereits die ganze Handlung
des Romans preisgegeben wird, hat mich ein wenig gestört. Aber
ich habe es mir sowieso zur Regel gemacht, immer zuerst den
eigentlichen literarischen Text zu lesen, um unvoreingenommen an den
Stoff herangehen zu können. Auf die ansonsten sehr gelungene
Einführung folgt dann noch ein editorischer Bericht, der
Looslis Roman vorausgeht. Im umfangreichen Anhang des Buches findet der
Leser Anmerkungen und Worterklärungen, einen skizzierten
Lageplan des Tatortes, das bereits erwähnte kleine
Diktionär in Schweizer Mundart, eine ausführliche
Publikationsgeschichte sowie noch ein Personenverzeichnis. Eine
überaus gelungene Publikation des Rotpunktverlages.
(Werner Fletcher; 11/2006)
Carl
Albert Loosli: "Die Schattmattbauern"
Fredi Lerch, Erwin Marti (Hrsg.)
Werkausgabe Band 3, Kriminalliteratur.
Rotpunktverlag, 2006. 424 Seiten.
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Carl
Albert Loosli, geboren am 5. April 1877, wächst in
prekären Verhältnissen bei einer Pflegemutter, dann
in einer Erziehungsanstalt auf. Zwei Jahre in der Jugendstrafanstalt
Trachselwald. Reisen, Arbeit als Korrespondent und Redaktor bei
verschiedenen Zeitungen. Lässt sich 1903 mit seiner Familie in
Bümpliz nieder. Zahlreiche Buchveröffentlichungen.
Loosli stirbt 1959 in Bümpliz; er hinterlässt ein
reiches schriftstellerisches und publizistisches Werk.
Die weiteren Bände der Werkausgabe:
Band 1: "Anstaltsleben. Verdingkinder und Jugendrecht"
Anstaltsleben;
Spielzeug; Hausaufgaben; Wie soll man Kinder strafen?;
Kinderausbeutung; Schülerselbstmorde; Heil dir Helvetia!;
Meine Pestalozzi-Feier; Unsere
Volksschule; Le bagne de Trachselwald;
Verdingkinder I-VIII; Schweizerische Kinder- und Jugendnot; Caligula
Minor.
Sein Schicksal als elternloses und bevormundetes Kind und die
Erlebnisse in den Anstalten haben Loosli das ganze Leben lang
beschäftigt. Seine Schriften, die sich für eine
bessere gesellschaftliche Integration unterprivilegierter Kinder und
Jugendlicher stark machen, ergeben eine schweizerische Sozialgeschichte
der besonderen Art. (Rotpunktverlag)
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Band 2: "Administrativjustiz. Strafrecht und
Strafvollzug"
Administrativjustiz und schweizerische Konzentrationslager; Entlassene
Zuchthäusler; Unser Strafvollzug; Gegen Willkür im
Vormundschaftswesen; Vom Recht; Für eine saubere Trennung der
Gewalten; Verfassungsschutz gegen administrative Willkür;
Asylrecht; Zur Frauenemanzipation.
Loosli trat für unbedingte Rechtsgleichheit ein, auch
für die Gleichstellung der Frau, und verlangte konsequente
Rechtsstaatlichkeit. Er brandmarkte die "Administrativjustiz" als
dauernden Verfassungsbruch und willkürliche
Freiheitsberaubung. Ohne Gerichtsurteil in Anstalten und
Gefängnisse abgeschobene Menschen, Opfer von Sterilisationen,
Folteropfer und Strafgefangene aus der ganzen Schweiz wandten sich
Hilfe suchend nach Bümpliz. (Rotpunktverlag)
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Band 4: "Gotthelfhandel. Literatur und
Literaturpolitik"
Bitzius oder Geissbühler, die Gotthelfaffäre und die
Folgen; Über die Mundart und ihre schriftliche Anwendung;
Erinnerungen an Carl Spitteler; Wie lernt man
Sprachen?;
Industrieliteratur; Poesie des Aberglaubens; Literarischer
Lausbubenstreich; Die blasierten Moralstabstrompeter.
Der Fall Gotthelf war Teil einer Auseinandersetzung, die sich um die
Stellung der Intellektuellen und Künstler im Staat drehte und
nicht zuletzt um den Kurs des Schriftstellerverbands. Wir lernen Loosli
aber auch als Meister der kleinen literarischen Formen kennen, der
Kurzgeschichte, der Novelle, der Anekdote - und vor allem auch als
virtuosen Satiriker. (Rotpunktverlag)
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Band 5: "Bümpliz und die Welt. Demokratie
zwischen den Fronten"
Bümpliz und die Welt; Der tote Liberalismus; Die Lüge
des Geschichtsunterrichts; Ist die Schweiz
regenerationsbedürftig?; E Muschterbürger; Hinter der
Front. Erinnerungen eines Staatskrüppels; Die "Geheimen
Gesellschaften" und die schweizerische Demokratie; Umschalten oder
Gleichschalten; Aus Zeit und Leid; Diktatur und kein Ende; Den
Bösen sind wir los, das Böse ist geblieben.
Looslis Kampf für die Demokratie und die Selbstbehauptung der
Schweiz machte ihn im Ersten Weltkrieg zum engagierten
Parteigänger der Entente und in den 30er- und 40er-Jahren zum
entschiedenen Gegner von Faschismus und Nationalsozialismus sowie zum
ungeliebten Kritiker des helvetischen Anpasser- und
Duckmäusertums. Im
Kalten Krieg, der in den 50er-Jahren
begann, behauptete er seine geistige Unabhängigkeit zwischen
Ost und West. (Rotpunktverlag)
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Band 6: "Judenhetze. Judentum und Antisemitismus"
Die schlimmen Juden!; Die Judenhetze in der Schweiz; Antisemitismus und
Menschenrechte; Gutachten zu den "Protokollen der Weisen von Zion";
Judentum und Zionismus; Flüchtlingspolitik - keine Besinnung
nach allem, was passiert ist; New Deal?
In seiner Schrift "Die schlimmen Juden!" warnte Loosli bereits 1927 vor
dem Antisemitismus als einem gefährlichen Herrschaftsmittel
der reaktionärsten Kreise in der Welt. Es ist die erste
große Kampfschrift gegen Antisemitismus aus
nichtjüdischer, schweizerischer Sicht. Während des
Krieges setzte sich Loosli für Flüchtlinge ein und
beteiligte sich an den entstehenden christlich-jüdischen
Arbeitsgemeinschaften. (Rotpunktverlag)
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Band 7: "Hodlers Welt. Kunst und Kunstpolitik"
Ferdinand Hodler. Leben, Werk und Nachlass; Sehen lernen; Die Formel
der Ästhetik; Über Wettbewerbe und Konkurrenzen;
Meine Arbeit als GSMBA-Sekretär; Kunst und Brot; Staatliche
Kulturpolitik?; Geistige Landesverdürftigung; Des Malers Rache.
Loosli war ein exzellenter Kenner der zeitgenössischen
Schweizer Kunst und mit vielen bildenden Künstlern
persönlich befreundet, so mit Ferdinand Hodler, Cuno Amiet,
Emil Cardinaux und Rodo de Niederhäusern. Mit
Künstlerrechts- und Wettbewerbsfragen beschäftigte er
sich als Sekretär der GSMBA und als Redaktor der
Schweizer-Kunst. Als Fachmann in Urheberrechtsfragen vertrat er die
Künstlerinteressen auf Bundesebene. Vor allem den Werdegang
Hodlers verfolgte er intensiv. (Rotpunktverlag)
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