"Lötz. Böhmisches Glas 1880 bis 1940"
Zerbrechliche
Kostbarkeiten aus Böhmen
Die Glasmanufaktur Lötz von 1880 bis 1940
"Im Jahre 1836
errichtete H. Johann Bapt. Eisner am königl. Fiskalfreyhofe Klostermühl eine
Glashütte, welche am 3. Oktober in Betrieb gesetzt wurde." Dieser trockene
Eintrag im Memorialbuch der Pfarre Unterreichenstein in Südböhmen bezeichnet den
Beginn der Firma Johann Lötz Witwe, die sich in den künstlerisch so fruchtbaren
Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jahrhundert zur bedeutendsten
Kunstglasmanufaktur im deutschsprachigen Raum entwickeln und mit ihren
Jugendstilgläsern Weltgeltung erlangen sollte.
Im letzten Viertel des 19.
Jahrhunderts war die Manufaktur Lötz Teil des wichtigsten
Glasproduktionsgebietes der Welt. Technisch und unternehmerisch auf dem neuesten
Stand, begann in den 1880er Jahren unter der Führung des jungen Besitzers Max
von Spaun ihr Aufstieg zu weltweiter Beachtung. Die Arbeiten der Hütte in
Klostermühle wurden in eleganten Präsentationsräumen dem gut situierten Publikum
der großen Städte Europas angeboten, waren auf internationalen Ausstellungen
vertreten und errangen zahlreiche Auszeichnungen. Ganz im Einklang mit dem
historistischen Zeitgeschmack stehend, tat sich Lötz erfolgreich mit Gläsern
hervor, die durch Äderungen oder Marmorierungen die Struktur polierter
Halbedelsteine nachzuahmen suchten.
Doch den entscheidenden Impuls für
die endgültige Berühmtheit der böhmischen Hütte bildeten nicht eigene
gestalterische Leistungen, sondern die kommerzielle Verwertung der Ideen eines
anderen Herstellers. Der Amerikaner Louis Comfort Tiffany hatte als einer der
ersten Entwerfer das Material Glas als Medium für eigenständige künstlerische
Aussagen genutzt und dabei bewusst die hohen Preise seiner weltweit bewunderten
Jugendstilobjekte zur Verdeutlichung seines Anspruchs eingesetzt, keine bloßen
handwerklichen Produkte, sondern autonome Kunstwerke zu schaffen.
1897/98
begann der gestandene Geschäftsmann von Spaun die Ideen Tiffanys aufzugreifen
und nach den Gesetzen des Marktes auszuwerten. Auf Grundlage von in Böhmen
teilweise schon seit Jahren gebräuchlichen technischen Verfahren wie dem Prozess
des Irisierens gelang es seiner Firma ohne Probleme, den ausdrucksvoll
schillernden Metalleffekten der Gläser des Amerikaners vergleichbare Oberflächen
und Dekore zu produzieren. 1898 ließ die Manufaktur Lötz das von ihr entwickelte
Verfahren für das so genannte Phänomen-Glas patentierten, welches auf der
Verwendung von vornehmlich silber- und zinnhaltiger Glassorten für die
Umspinnungen und Einlagen der Gläser und einem Reduktionsvorgang vor dem
eigentlichen Irisieren beruhte. Ihre in Technik und Entwurf anspruchsvollen,
aber zu ungleich günstigeren Konditionen als das Vorbild angebotenen Objekte des
Genres Tiffany fanden bei den Kunden und den heimischen Fachblättern rasch
enormen Anklang.
Dem unausweichlichen Vorwurf des künstlerischen Plagiats
trat Lötz bald mit einer unabhängigen Linie von Gläsern mit Irisdekor entgegen,
die zu den Höhepunkten der Glaskunst des Jugendstils bzw. Art Nouveau zählen und
auf einer Stufe mit den Erzeugnissen von Tiffany, Gallé oder Daum stehen. Ein
wichtiger Schritt auf diesem eigenen gestalterischen Weg war die größtenteils
vom Münchner Maler und Bildhauer Franz Hofstötter entworfene Kollektion für die
überaus erfolgreiche Teilnahme an der Pariser Weltausstellung von 1900. Der
Hütte wurde der Grand Prix zuerkannt, von Spauns Verdienste um die Glaskunst
Österreich-Ungarns wurden von offizieller Seite mit Orden und einem
Adelsprädikat gewürdigt.
Anders als Tiffany, der am Anfang des 20.
Jahrhunderts das plötzliche Erlöschen des Publikumsinteresses an den modischen
Irisgläsern mit dem Rückzug aus Europa quittieren musste, gelang es der Hütte in
Königsmühle, den Anschluss an neue Trends zu finden. Nicht eigene Entwürfe,
sondern handwerklich auf höchstem Niveau stehende Auftragsarbeiten für das
Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, die Wiener Firma E. Bakalowits
Söhne, den Österreichischen Werkbund oder die Wiener Werkstätte und den von all
diesen herangezogenen Künstlern standen in den nächsten Jahren im Vordergrund.
Trotz der nach dem Tod von Max von Spaun im Jahre 1909 immer größeren
finanziellen Probleme der Hütte realisierte Lötz in den ersten zwei Dekaden des
neuen Jahrhunderts u.a. Formen und Dekors von Josef Hoffmann, Koloman Moser und
seinen Schülern, den Architekten Leopold Bauer und Otto Prutscher, Dagobert
Peche oder Michael Powolny. Für einen breiten zeitgenössischen Kundenkreis des
Öfteren noch zu anspruchsvoll, gehören viele der in der Manufaktur Lötz
entstandenen Glasobjekte heute zu den Ikonen des Wiener Jugendstils.
Nach dem
Ersten Weltkrieg konnte die
Hütte nicht an die Tendenzen der avantgardistischen Glasgestaltung der zwanziger
Jahre anknüpfen. Weder die richtungsweisenden Neuansätze im Kunstglasbereich
oder die Erfolge von Firmen wie René Lalique auf dem Gebiet der teilmechanisierten
Großserienfertigung noch die reiche Szene der Atelierglaskunst des Art Déco
in Paris oder die neuen Glaszentren in den Niederlanden und Schweden hatten
erkennbaren Einfluss auf das Produktionsprogramm der Firma. Das einst so zukunftsorientierte,
fortschrittliche Unternehmen zehrte von der Substanz seiner Vergangenheit. Dem
Rückgriff auf ältere Dekortypen, technische Verfahren und Formen kam Mitte der
zwanziger Jahre eine Renaissance des irisierenden Dekors im Stile Tiffanys entgegen,
der Lötz mit vor allem für den Export nach Übersee bestimmten Objekten entsprach.
Für die USA und andere außereuropäische Märkte entstanden auch Vasen und Jardinièren
in Form von Tieren, venezianisierende Modelle mit plastischen Details wie Blumen
oder Früchten und geschliffenes Überfangglas in traditionellen Mustern.
Mit den zum Teil von Otto Prutscher und Marey
Beckert-Schider stammenden Entwürfen, die Lötz auf der als Weltausstellung des
Kunsthandwerks und Kunstgewerbes konzipierten "Exposition Internationale des
Arts Décoratifs et Industriels Modernes", die einem ganzen Kunststil ihren Namen
gab, 1925 in Paris präsentierte, versuchte die Manufaktur noch einmal, an
frühere Erfolge bei Großausstellungen anzuschließen. Trotz der durchaus hohen
Qualität der Exponate und mehrfacher lobender Erwähnungen reichte es diesmal
jedoch zu keinem großen Preis mehr. Die Zeit der Führungsrolle war für Lötz
vorbei, die Weltwirtschaftskrise und die damit verbundenen anhaltenden
finanziellen Schwierigkeiten und auch ein Brand im Jahre 1930 forderten ihren
Tribut. Nach Jahren der eingeschränkten Produktion wurde 1939 ein
Konkursverfahren eröffnet, und mit der Auflösung des Betriebes 1947 ging ein
bedeutendes Kapitel europäischer Glaskunst endgültig zu Ende.
Kaum eine
andere Glashütte der Jahrhundertwende wurde wissenschaftlich ähnlich intensiv
durchleuchtet wie die Firma Johann Lötz Witwe. Vor allem das durch glückliche
Umstände erhalten gebliebene Archiv der Musterschnitte, der mit schriftlichen
Informationen versehenen, originalgroßen Papiervorlagen für die Glasmacher, war
Grundlage für zahlreiche Forschungsprojekte. Ihre Ergebnisse flossen 1989 in
eine zweibändige, anlässlich der Ausstellung "Lötz. Böhmisches Glas 1880-1940"
in Düsseldorf erschienene Publikation ein, die schnell zum begehrten Handbuch
wurde und bald darauf vergriffen war.
Dem Wunsch nach einer Neuauflage
und einer zusätzlichen englischen Version wurde nun vom Hatje Cantz Verlag mit
einer Parallelpublikation beider Ausgaben Rechnung getragen. Die vorliegende
großformatige Werkmonografie bietet zusätzlich zu den aktualisierten
Informationen ihres Vorgängers eine neue Auswahl der nun durchgehend farbig
abgebildeten vorgestellten Gläser sowie einen erweiterten Dekorkatalog mit mehr
als dreihundert von Lötz entwickelten Mustern und ihrer Varianten, der mit
seinen Informationen und Farbfotos dem Interessierten die Zuordnung und
Datierung erleichtert.
Ebenfalls neu ist eine beigelegte CD-Rom, die den
1989 in einem Zusatzband veröffentlichen Katalog der Musterschnitte mit den
Vorteilen digitaler Suchsysteme zugänglich macht. Geleitet von einem einfachen
Navigationssystem und der Suchmöglichkeit nach Entwerfern und Objektnummern
erschließt sich die Produktionsvielfalt der Hütte in rund 5000 Modellschnitten.
Vor allem für den Sammler interessant sind die Reproduktionen der verschiedenen
Signaturen und Marken, mit denen die Manufaktur Lötz ihre Produkte
gekennzeichnet hat. Den Laien unterstützen ein glastechnisches Glossar, eine
schrittweise, durch Zeichnungen veranschaulichte Erklärung der Entstehung eines
irisierten Glases und einführende Aufsätze zur Geschichte der Manufaktur und
ihrem internationalen Kontext.
Ein wahrer Augenschmaus ist der umfangreiche, den Zeitraum von 1880 bis 1940
abdeckende Katalogteil mit seinen hervorragenden Farbabbildungen der variantenreichen
Erzeugnisse der Firma Lötz. Von den prunkvollen Vasen des Historismus über die
irisierenden Oberflächen des Phänomenglases und den schwarz-weißen Entwürfen
eines Kolo Moser oder
Josef Hoffmann bis
zu den geätzten Dekors und kräftigen Farben der zwanziger Jahre spannt sich
der prächtige Bogen. Zu jedem Objekt finden sich detaillierte Angaben zu Form,
Dekor, Auftraggeber, Maßen und Erwähnungen in der Fachliteratur; die Epochen
der Produktionsgeschichte werden von anerkannten Experten wie Jan Mergl oder
Ernst Ploil in kunsthistorischen Zusammenhang gesetzt. Meilensteinen der Firmengeschichte
sowie der Kooperation mit bedeutenden Auftraggebern wie etwa der Firma Bakalowits
oder der Wiener Werkstätte und den - im Anhang ebenfalls nochmals kurz behandelten
- bedeutenden Entwerferpersönlichkeiten sind eigene Zwischenkapitel gewidmet.
Die Qualität der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Lötz`schen Produkte als
auch ihrer fotografischen Dokumentation machen den Band zu einem Muss für jeden
Sammler und jeden Liebhaber der Glaskunst.
(sb; 11/2003)
"Lötz.
Böhmisches Glas 1880 bis 1940"
Hrsg. Museum kunst palast, Düsseldorf,
Neue Galerie of German and Austrian Art, New York.
Auswahl und Bearbeitung Jan Mergl, Ernst Ploil, Helmut Ricke,
Alena Adlerova, Wolfgang Hennig, Dunja Panenková.
Hatje Cantz, 2003. ca. 336 Seiten, ca. 455 Abbildungen.
Mit 1 CD-ROM.
ISBN 3-7757-1321-2.
ca. EUR 78,-.
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vom böhmischen zum römischen Glas