"Ginger,
You're Barmy" ist erstmals 1962 erschienen, direkt nach Mr. Lodges eigener Zeit
im National Service, einer Einrichtung, vergleichbar mit der Bundeswehr,
die allerdings heute in Großbritannien nicht mehr existiert.
Jonathan
Browne - der Icherzähler dieses Romans - hat gerade seinen BA gemacht und begibt
sich nun auf die Reise zu seinem Regiment, in dem er die nächsten zwei Jahre seinem
Land dienen soll. Wie bei den meisten Wehrpflichtigen wird diese Zeit für ihn
mit allerlei überflüssiger Routine angefüllt sein, ein Faktum, das diesen Roman
vom Anfang bis zum Ende durchzieht und den Leserinnen und Lesern, die es nicht
bemerkt haben sollten, im Anhang durch den Autoren selbst noch einmal verdeutlicht
wird. Die Erzählung selbst ist ein Wechsel zwischen der ersten und der letzten
Dienst-Woche des Erzählers, der vom Kennenlernen der Kameraden, der Grundausbildung,
den Schikanen der Ausbilder und dem teilweise gehirnerweichenden Traditionsgemisch
der einzelnen Regimenter erzählt. Dies wird kontrastiert durch die Erzählung der
Abenteuer von Mike "Ginger" Brady, einem jungen Iren, der sich immer wieder aktiv
gegen die Befehlsstrukturen auflehnt, schließlich desertiert und im Zuge einer
RAF-Attacke auf das Waffendepot, das der Erzähler am Ende der Geschichte zu bewachen
hat, wieder auftaucht. Dieser Mike ist zu Beginn der Erzählung mit einer jungen
Dame namens Pauline zusammen, die sich allerdings nach einiger Zeit mehr auf den
Erzähler konzentriert, den sie schließlich auch heiratet.
Mike und Jonathan
sind zwei Seiten einer Medaille, d.h. sie stehen beide für Aspekte des Autors
selbst, der sich gerade mit der Person des Erzählers professionell vor dem
Werk
von Graham Greene verneigt.
Das
Leben ist selten erfüllt von wirklichem Drama, und für die meisten Wehrpflichtigen
ist die Dienstzeit eine mehr oder weniger verlorene Zeit in ihrem Leben, bzw.
eine willkommene Warteschleife, in der sie entscheiden können, was sie mit ihrem
weiteren Leben machen wollen. Dieses Faktum ist in diesem Roman erstklassig wiedergegeben,
und jeder, der darüber nachdenkt, ob er diesen Dienst leisten oder seine Zeit
lieber produktiveren Dingen zuwenden möchte, sollte ihn dringend lesen. Außer
in Kriegszeiten sind die Männerfreundschaften beim Militär doch eher hehre Augenauswischereien,
die eine eigentlich nutzlos vertane Zeit mit einer Form von moralischem Sinn füllen
sollen und darum auch meist am Ende dieser Zeit weitestgehend inhaltslos. Wer
mal auf einem Kameradschaftstreffen war, weiß, wovon ich rede.
Guter
Realismus ist aber nicht notwendigerweise gutes Drama und macht darum auch nicht
notwendigerweise einen interessanten Roman. Wer also Spannung und "Action" auf
diesen Buchseiten sucht, der wird bitter enttäuscht sein. Wer hingegen die bittere
Wahrheit über das Leben eines Wehrpflichtigen ohne Ziel kennen lernen möchte -
Personen, die aus Gründen der Berufsvorbereitung und -planung daran teilnehmen,
seien hier bewusst ausgenommen - der wird hier genau das bekommen, was er bestellt
hat. Wobei ich nicht versprechen kann, dass es ihm dann auch schmeckt.
"Out of
the Shelter"
Für
uns Deutsche ist die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit
in der Regel mit der Rolle Deutschlands, dem Wiederaufbau und dem Holocaust verknüpft.
Wenn wir uns andere Länder in diesem Zusammenhang anschauen - so weit wir dazu
nach der Schulzeit noch Lust verspüren - dann richtet sich unser Blick meist in
den Osten Europas, was vor dem Hintergrund der Geschichte auch einen gewissen
Sinn macht. Wie aber hat ein junger Mensch in London diese Zeit erlebt?
Timothy
ist zu Beginn dieses Romans noch sehr jung und lebt in London. Sein Vater arbeitet
als Luftschutzwart, und bei jedem deutschen Bomberangriff begibt sich die Familie
in den Luftschutzbunker ihrer Nachbarn, wo Timothy mit Jill, der Tochter der Familie,
erste zarte Bande der Liebe knüpft. Jills Vater ist Pilot der Royal Air Force.
Mit der Zeit hat sich in den Schrecken der Bombenangriffe eine gewisse Routine
eingeschlichen, und die Mütter der beiden Familien stricken und unterhalten sich,
während ihre Kinder in ihren Notbetten miteinander kuscheln. Doch dann, bei einem
Beinahtreffer des Bunkers, werden Jill und ihr Vater getötet und Timothys Mutter
beschließt, ihn auf dem Land in Sicherheit zu bringen. Hier - in einer Konventschule
- ist er allerdings sehr unglücklich, und beim ersten Besuch seiner Mutter gelingt
es ihm sie zu überreden, ihn wieder mit nach London zu nehmen. Bald beginnt für
ihn die Schulzeit, und er zeichnet sich in verschiedenen Bereichen aus, während
der Krieg um ihn herum langsam zu Ende geht und die Zeit der Rationierung in England
beginnt. Seine ältere Schwester, Kath, die bereits vor einigen Jahren angefangen
hat, für die Amerikaner zu arbeiten, hat Großbritannien verlassen und ist seit
Jahren nicht mehr wiedergekehrt. So ist Timothy relativ überrascht, als er eines
Tages von ihr nach Heidelberg eingeladen wird um dort nach dem Abschluss seiner
schulischen Laufbahn und vor dem Erhalt seiner Prüfungsergebnisse einige Wochen
Urlaub zu machen.
Voller
Nervosität begibt er sich in das Land, das in seiner Kindheit das Land des Bösen
gewesen ist um dort seine mittlerweile sehr veränderte Schwester wieder zu treffen.
Sehr schnell bemerkt er, dass der durchschnittliche Deutsche gar nicht das Monster
ist, das er sich immer vorgestellt hat, und vor allen Dingen, dass der Wiederaufbau
Deutschlands wesentlich schneller vorangegangen ist, als der von England, in dem
die Zerstörungen durch den Krieg doch um einiges geringer gewesen waren als in
Deutschland. Doch bleibt sein Kontakt mit den Deutschen relativ begrenzt, da er
durch seine Schwester vorwiegend in den Kreis der amerikanischen Besatzer gezogen
wird, die in Deutschland ein sehr gutes und sehr schnelles Leben führen, was ihn
überrascht und nach einiger Zeit auch irritiert.
Wie
in einem Lodge-Roman nicht anders zu erwarten, geht es auch in diesem Buch - das
sehr starke autobiografische Züge hat - wieder um das Entdecken der eigenen Sexualität
und den englischen Katholizismus, der in Timothys Familie eine sehr große Rolle
spielt. Für den Lodge-Neuling ist dies sicherlich ziemlich amüsant, wer allerdings
schon mehrere Romane von ihm gelesen hat, wird diese Bereiche des Romans allerdings
etwas repetitiv finden.
Die
Kontrastierung der deutschen und englischen Nachkriegserfahrung macht diesen Roman
allerdings zu einem überaus interessanten Werk der Literatur, vor allen Dingen,
weil hier auch - durch die Brille des englischen Jugendlichen - die amerikanische
Besatzung mal von einem ganz anderen Standpunkt aus betrachtet wird, als man dies
als Deutscher normalerweise gewohnt ist. Insofern ist dieser Roman eine gute Möglichkeit
- auch für Historiker - ihr Bild vom Zweiten Weltkrieg und von der Nachkriegszeit
durch eine etwas andere Perspektive zu ergänzen.
"Small World"
"Small World" ist die Fortsetzung von
"Changing Places" und spielt etwa zehn Jahre nach dem Roman, in dem Philip Swallow
und Morris Zapp die Plätze getauscht hatten um an der Universität des jeweils
anderen ungeahnte Abenteuer des akademischen Lebens und der Liebe zu erleben.
Mittlerweile ist die Welt verändert und zu einem einzigen großen Konferenzzentrum
für Akademiker geworden, die sich in aller Herren Länder treffen um sich mehr
oder weniger originelle Vorträge ihrer Kolleginnen und Kollegen anzuhören oder
selbst zu halten, gut zu essen und - so sich die Situation ergibt - sexuelle Abenteuer
miteinander zu erleben.
Die
erste Konferenz um die es hier geht spielt auf dem Rummidge Campus, und ihr Initiator
ist Philip Swallow selbst, der sich auch zu einem regelmäßigen Reisenden in Sachen
academia gemausert hat. Die Unterbringung der Gäste im College und das
Essen in der Mensa kann die durch Mehr-Sterne-Hotels und -Restaurants verwöhnten
Akademiker aber nicht wirklich begeistern, die sowieso nur in sehr geringer Zahl
erschienen sind. Unter ihnen ist auch Morris Zapp, der sich freut, seinen alten
Bekannten wieder zu treffen und gleichzeitig sein Redemanuskript für die laufende
Saison auszuprobieren. Denn wozu sollte man für jede Konferenz einen eigenen Vortrag
schreiben?
Ein
weiterer wichtiger Gast auf dieser Konferenz ist Perrse McGarrigle, der Cousin
der jungen Bernadette, die zur Zeit von Morris' Aufenthalt in England als eine
Art Haussklavin im Hause ihres Onkels gearbeitet hatte, in dem Morris selbst einige
Zeit gewohnt hatte. Zusammen mit dem jungen Persse - dessen Namensgleichheit mit
Percival mehr als zufällig ist - sucht der gute Morris die ehemalige Stätte seines
Wirkens auf, von der aus Persse auf eine weiter reichende Wanderschaft gehen muss.
Ebenfalls auf
dieser Konferenz trifft er eine junge Dame namens Angelica Pabst, die ihn
zunächst in ein Schlafgemach führt, (wo sie ihn dann allerdings in einer peinlichen
Situation zurücklässt), und der er dann
um
den gesamten Erdball folgt, wobei seine mageren finanziellen Mittel schneller
und schneller aufgebraucht werden und er schließlich gezwungen ist, per Anhalter
weiterzufliegen. Auf dieser Jagd erlebt er verschiedene Abenteuer, muss zahlreichen
Versuchen widerstehen und Rätsel lösen, bis er schließlich die Gesuchte im
Rahmen einer Konferenz auf der der vielgeachtete und seit einiger Zeit psychisch
bedingt impotente Professor Kingfisher von ihm eine entscheidende Frage gestellt
bekommt. Jede Ähnlichkeit mit Wolfram von Eschenbachs "Parzival" ist hierbei
vollständig beabsichtigt, was durch die Unschuld des Helden und durch die
ständigen Zitate aus romantisch-ritterlicher Literatur noch unterstrichen
wird.
Auf
der anderen Seite muss es dann natürlich einen Gawain geben, und dieser wird sowohl
von Philip als auch von Morris dargestellt. Beide erleben auf ihren Reisen sexuelle
Abenteuer, aber auch Entführungen, Gewalttaten und ungeahnte Konkurrenz, die den
stillen, unauffälligen Philip Swallow beinahe in die höchstmögliche akademische
Position der Welt katapultiert. Diese Handlungsstränge parallel zu der Handlung
um Persse zu lesen, bereitet großes Vergnügen. Außerdem hören der Leser und die
Leserin noch von den Erlebnissen des Professors Dempsey, der durch Morris' Betreiben
zu dessen Zeit in Rummidge bei der Vergabe eines Lehrstuhls hinter Philip zurück
treten musste und der sich nun mit computergestützter Textanalyse beschäftigt,
einer Arbeit, deren Ergebnis bereits einigen Autoren eine massive Schreibblockade
beschert hat. Diese Computerarbeit bringt ihn in den Dunstkreis von ELIZA, einem
mehr oder weniger interaktiven Computerprogramm, das er schließlich wie ein Orakel
benutzt um die Probleme seines Lebens zu lösen.
Daneben lernt
man hier noch einiges über new criticism, Linguistik, Probleme der
Übersetzung englischsprachiger Literatur ins Japanische (die Übertragung von
Shakespeare-Titeln ins Japanische ist schon fast den Kaufpreis wert; z.B.
"Der Kaufmann von Venedig"
= "Die seltsame Affäre von dem Fleisch und dem Busen") und natürlich über
das Leben der globalen academia an sich. Dabei wird es stellenweise
etwas belehrend, denn Mr. Lodge kann seinen eigenen akademischen Hintergrund
nur schwerlich verleugnen, aber wer diese kurzen erzählerischen Durststrecken
überwindet, wird mit einem durch und durch unterhaltsamen und intellektuell
stimulierenden Werk belohnt. Man sollte allerdings beachten, dass die Möglichkeit
besteht, dass dieses Amüsement in erster Linie bei anderen Literaturwissenschaftlern
geweckt wird, die sich dann auf die Schulter klopfen können dafür, so schlau
zu sein, dass sie all diese Anspielungen in diesem Buch verstanden und durchschaut
haben. Aber auch davon abgesehen dürfte "Small World" Leserinnen und Lesern
einiges an Lesevergnügen bereiten.
(K.-G. Beck;
08/2002)
Bücher
(in englischer Sprache) bestellen:
David Lodge: "Ginger, you're barmy"
Penguin
Books,1984. 217 Seiten.
ISBN 0-14-006640-3.
ca. EUR 11,92.
Buch bestellen
"Out
of the Shelter"
Penguin Books, 1986. 282
Seiten.
ISBN 0-14-008375-8.
ca. EUR 11,92.
Buch bestellen
"Small World"
Penguin Books, 1985. 339
Seiten.
ISBN 0-14-007265-9.
ca. EUR 11,92.
Buch bestellen
hier
die Rezension eines weiteren Lodge-Romans