Christian Linker: "RaumZeit"
"Ich will mit dir für immer leben, wenigstens in dieser einen Nacht. Mit dir habe ich das Gefühl, dass wir heut Nacht unsterblich sind." (Tote Hosen)
Tim hat zwanzig Monate Jugendstrafe zu verbüßen. Auf eindrucksvolle Weise
schildert der Autor die Haftbedingungen, die Trostlosigkeit der Umgebung und die
Probleme, mit den Mitgefangenen auszukommen. Die Frustration, die durch das eingesperrt
Sein hochkommt, nimmt zu, lässt unter den Gefangenen Aggressionen aufkommen. Die
Kontakte mit der Außenwelt sind auf ein Minimum beschränkt, Beziehungen gehen
in die Brüche. Hoffnung bedeutet in dieser Situation nur ein Wort ohne Inhalt.
Im Gefängnis herrschen eigene Gesetze; Unterstützung bei den Wärtern zu suchen,
ist verpönt. Hier drinnen lebt man noch nach dem Motto
"Auge
um Auge, Zahn um Zahn". Trotz dieser Ausweglosigkeit lässt sich Tim von
einer Sozialarbeiterin überzeugen, wenigstens die Schule im Gefängnis zu besuchen.
Doch auch die Schule drinnen empfindet Tim genauso öde wie draußen, da es wieder
nur darum geht, möglichst keine eigenen Ideen zu haben, sondern das zu sagen
oder zu lernen, was die Lehrer geplant haben. Trotzdem bedeutet es für Tim ein
wenig Abwechslung: Sport um die Aggressionen loszuwerden, zusätzliche Möglichkeiten
zu duschen und finanzielle Vorteile. Doch das Bedeutendste an dieser Schulform
ist, dass für den Gegenstand Kunstunterricht eine Lehrerin von einem Gymnasium
mit einigen Schülern ins Gefängnis kommen wird.
Tim freut sich wie verrückt auf diesen Unterricht,
da es das erste Mal nach langer Zeit sein wird, dass er mit Gleichaltrigen, die
keine Gefängnisinsassen sind, zusammentreffen wird. Bei diesem Kunstunterricht
lernt er Martha kennen und verliebt sich in sie. Sie tauschen Briefe aus, Hoffnung
keimt auf, er fiebert seinem ersten Ausgang entgegen und schließlich dem ersten
Wochenendurlaub, den er bei seiner Mutter verbringt. Als er Martha anruft und
um ein Treffen bittet, sagt diese zu. Die Liebe nimmt ihren Lauf, die Beiden scheinen
alles um sich herum zu vergessen, kurze Interventionen der Realität werden ignoriert
und ein Ausspruch aus einem Lied der Toten Hosen, "Mit dir habe ich das Gefühl,
dass wir heut Nacht unsterblich sind", wird zum Leitspruch erhoben.
Ein Buch, das die traurige Realität des Gefängnisalltages sehr intensiv
erzählt und damit den Strafvollzug bei Jugendlichen in Frage stellt. Kann es zielführend
sein, junge Menschen über Monate wegzusperren, einer unmenschlichen Behandlung
auszusetzen, dem Prinzip des Stärkeren auszuliefern, ohne Unterstützung? Tim hat
das große Glück, Martha zu treffen und dadurch Hoffnung zu schöpfen, aber auch
gleichzeitig permanent mit der Angst zu leben: was wird bei seiner Entlassung
sein? Wird Martha auf ihn warten, wird er sich von seiner Mutter noch weiter entfernen,
werden soziale Kontakte außerhalb des Gefängnisses noch vorhanden sein?
Ein berührendes Buch, welches sicherlich eine Reihe von Denkanstößen in
Bezug auf Strafvollzug und die triste Situation der Gefangenen geben kann.
Der Autor Christian Linker wurde 1975 geboren, studierte
Theologie und
arbeitete als Bildungsreferent mit Jugendlichen aller Schulformen in Seminaren
zu verschiedenen Lebensfragen. Heute leitet er eine Dachorganisation von Jugendverbänden
in Köln.
(margarete; 09/2002)
Christian
Linker: "RaumZeit"
dtv, 2002. 155 Seiten.
ISBN 3-423-20565-2.
ca.
EUR 7,50.
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