Yan Lianke: "Dem Volke dienen"


Der Rezensent ist betrübt. Den Umschlag des Buchs ziert eine blau-rote Unterhose, in deren Mitte ein Porträt Maos prangt: Hätte dies nicht Warnung genug sein sollen?

Der Gestalter des Buchs jedenfalls wusste, was er tat, wird doch der Leser auf diese Weise bestens vorbereitet auf das, was ihn im Roman "Dem Volke dienen" von Yan Lianke erwartet. Es ist die Geschichte von Wu Dawang, einem einfachen Soldaten beim chinesischen Militär zur Zeit Mao Tse Tungs, und Liu Lian, der Frau des Divisionskommandeurs. Wu wird als Ordonnanz dem Haushalt des Kommandeurs zugeteilt und trifft dort auf Lian, die - gar nicht schüchtern - von Dawang verschiedenste Dienste im Haushalt und im Bett erwartet. Dieser hat jedoch Skrupel, denn welcher Soldat kann es sich leisten, seinen Kommandeur zu hintergehen? Dank des titelgebenden argumentativen Konzepts - der Frau des Kommandeurs zu dienen, heißt, dem Volke zu dienen! - wird jedoch die Moral der Lust zum Untertan. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, verbunden mit Wonne, Angst, Sehnsucht und allen sonstigen, mit einer heimlichen Liaison zusammenhängenden Gefühlen. Spannend wird diese Affäre durch die Einbettung in eine totalitäre Gesellschaft, die der Autor lustvoll mit ihren skurrilen Machtverhältnissen, der Günstlingswirtschaft und absurden, aber bei Missachtung lebensgefährlichen Prinzipien darstellt.

Gerade dieser gesellschaftliche Aspekt ist natürlich eine Steilvorlage für eine überzeugende Geschichte, und dem Autor ist damit ein wunderbares Ausgangsszenario gelungen, das im Lichte der gegenwärtigen chinesischen politischen Struktur besonders pikant ist. Der Roman ist dennoch ein Reinfall. Die Geschichte plätschert vor sich hin und entwickelt keine Spannung. Die Fokussierung auf Dawang und Lian mag zwar stilistisch reizvoll sein aufgrund der Spiegelung der eingeengten Wahrnehmung der beiden Hauptcharaktere, aber wenn diese sich nur körperlich, aber nicht verbal etwas zu sagen haben, wird es für den Leser schnell langweilig. Auch das überraschende Ende kann die Geschichte nicht herausreißen. Tatsächlich ist das Ende so überraschend, als ob sich der Autor selbst zum deus ex machina erheben wollte.

Der Roman leidet zusätzlich unter einer mittelmäßigen Übersetzung. Es gelingt dem Übersetzer leider nicht, den leichten Ton der Vorlage umzusetzen. Stattdessen stolpert der Leser gelegentlich über eine unpassende Wortwahl.

Das Buch mag im Original viele wunderbare Qualitäten haben - in dieser Ausgabe muss man sie mit der Lupe suchen. Der Roman ging jedenfalls auf diese Weise wohl eher in die (Unter-)hose.

(Daniel Stengel; 10/2007)


Yan Lianke: "Dem Volke dienen"
(Originaltitel "Wei Renmin Fuwu")
Aus dem Chinesischen von Ulrich Kautz.
Ullstein, 2007. 208 Seiten.
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Yan Lianke, geboren 1958 in der ostchinesischen Provinz Henan, zählt zu den bedeutendsten chinesischen Gegenwartsautoren. Seine zahlreichen Romane und Kurzgeschichten wurden vielfach ausgezeichnet, darunter mit den beiden bedeutendsten Literaturpreisen Chinas, dem "Lao-She-Preis" sowie dem "Lu-Xun-Preis". Der vorliegende Roman wurde wegen Beleidigung Mao Tse Tungs und sexueller Zügellosigkeit in China für die Veröffentlichung verboten, eine Zeitschrift, die bereits einen Auszug gedruckt hatte, wurde vom Markt genommen. Seitdem zirkuliert der chinesische Originaltext im Internet und gilt als Kult unter chinesischen Internetnutzern. Als Buch erschien "Dem Volke dienen" zuerst in Frankreich.