Leseprobe aus "Mitteleuropa - Handbuch zur Geschichte" von Günter Lehmann



1991

UdSSR (Russland Gorbatschows Rücktritt)

Volksdeputierte wählten Gorbatschow in das neue Amt des Präsidenten. Die führende Rolle der KPdSU wurde gestrichen.

 

In Tadschikistan bekämpften sich Einheimische, Russen und Ukrainer.

 

            In Kirgisien bekämpften sich Kirgisen und Usbeken.

 

            Eine Volksbefragung in der UdSSR ergab 76 % für Gorbatschows Vorschlag, die SU als Föderation zu erhalten.

 

Im Kaukasus ging der Konflikt zwischen christlichen Armeniern und moslemischen Aserbaidschanern weiter.

 

            Präsident Gorbatschow besuchte Japan, das die Kurileninseln zurückforderte.

 

In Moldawien forderten die Gagaisen und die Russen mehr Rechte.

 

            In 120 von 600 Kohlegruben wurde gestreikt für höhere Löhne und gegen die Politik Gorbatschows. Jelzin übernahm die Vermittlerrolle. Der Streik breitete sich aus.

 

Die UdSSR und USA feierten zusammen den 250. Jahrestag der Entdeckung Alaskas von Russland aus (1741). 1867 verkaufte Russland Alaska an die USA.

 

            Die UdSSR räumte 594 AIDS-Fälle ein. In der BRD waren es 40.000 Fälle.

 

Die Industrieproduktion nahm vom Januar bis Mai um 5,4 % ab.

 

            Die muslimische Republik Tschetschenien erklärte unter Präsident Dschochar Dudajew († 1996) einseitig ihre Unabhängigkeit von Russland.

 

            Am 1. April wurde der Warschauer Pakt als militärisches Bündnis aufgelöst. Die Staatschefs der UdSSR, Rumäniens, Bulgariens, Polens, der ČSFR und Ungarns unterzeichneten in Moskau das Protokoll.

 

            Am 2. April ratifizierte der Oberste Sowjet die Verträge über den Abzug der Sowjetarmee aus Ostdeutschland (bis 1994).

 

            In Georgien sprachen sich 99 % der Bevölkerung für die Unabhängigkeit aus.

 

            Die Sowjetunion zog 50.000 Soldaten aus Polen ab.

 

            Bei den Präsidentenwahlen in Georgien am 26. Mai erhielt Amtsinhaber Swiael Gamsachurdia 87 % der Stimmen.

 

            Jelzin unterzeichnete am 3. Juni 1991 die Verfügung über den wirtschaftlichen Status der freien Wirtschaftszone im Gebiet Kaliningrad,

 

nachdem am 14. Juli 1990 das Gebiet offiziell zur Zone des freien Unternehmertums erklärt wurde.

 

            Am 12. Juni 1991 erreichte Jelzin bei der Präsidentenwahl für Russland 57,3 % der Stimmen. 75 % betrug die Wahlbeteiligung.

 

            Am 28. Juni beschlossen die COMECON-Mitglieder die Auflösung des Wirtschaftsbündnisses (RGW).

 

            Am 1. Juli verabschiedete der Oberste Sowjet das Gesetz über die Privatisierung von Staatsbetrieben.

 

            Am 19. Juli wurde Jelzin in Moskau vereidigt. Er erklärte, die Bürger Russlands hätten sich für die Wiedergeburt der Würde des Menschen und für den Weg zur Demokratie entschieden. Er, Jelzin, wollte Russland zu einem demokratischen, friedliebenden und souveränen Rechtsstaat entwickeln.

 

            Am 31. Juli unterzeichneten Bush und Gorbatschow den START-Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen, die weiter als 55.000 km reichen, nach 10 Jahren Verhandlung.

 

            Am 18. August begann der Putsch der Reformgegner. Gorbatschow wurde während seines Urlaubs festgenommen (im Kaukasus). Jelzin entging der geplanten und vorbereiteten Verhaftung.

 

Während die Panzer der Putschisten auf die Innenstadt von Moskau (Weißes Haus) vorrückten, rief Jelzin von einem Panzer her die Bevölkerung zum Widerstand auf. Gorbatschow wurde befreit. Jelzin war sein Befreier. Jelzin erreichte den Höhepunkt seiner Beliebtheit. Am 21. August war der Putschversuch der orthodoxen Kommunisten beendet.

 

            Am 19. August entmachtete ein Notstandskomitee unter dem sowjetischen Vizepräsident Gennadij Janaew und dem Verteidigungsminister Dimitri Jasow den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow. Der Staatsstreich erfolgte einen Tag vor der Unterzeichnung des gebilligten Unionsvertrages trotz der Autonomiebestrebungen.

 

            Am 20. August riefen Jelzin und der ehemalige Außenminister Schewardnadse zum Widerstand gegen die neuen Machthaber auf.

 

            Am 21. August brach der Staatsstreich gegen Gorbatschow zusammen, nachdem die Panzer aus Moskau abzogen und das Notstandskomitee floh. Wie erst 1992 bekannt wurde, spielte der KGB die führende Rolle beim Putsch.

 

            Am 22. August kehrte Gorbatschow unversehrt von der Krim zurück nach Moskau.

 

            Das Gipfeltreffen Bush/Gorbatschow wurde wegen des Irakkrieges vertagt. Die Positionen zwischen beiden stimmten überein.

 

            Am 23. August, einige Tage nach der Niederlage der Putschisten, kam es auf einer Sitzung des russischen Parlaments zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen Jelzin und Gorbatschow. Gorbatschow musste auf Jelzins Druck hin als

 

Generalsekretär zurücktreten. Alle Aktivitäten der Kommunistischen Partei wurden am 29. August verboten. Jelzin feierte selbstbewusst seinen Sieg über den zögernden Gorbatschow. Jelzin schadete sich dadurch sehr und verlor viel Ansehen. Er stellte sich nicht entschlossen auf die Seite der Demokraten. Jelzin ging völlig in der Kabinettspolitik auf.

 

            Die Arbeitslosenzahl wurde auf 10 Mio. geschätzt.

 

            Die Talfahrt der russischen Wirtschaft begann intensiv auf Grund der gesellschaftlichen Veränderungen.

 

Ende 1991 gab es rund 900 Unternehmen mit ausländischer Beteiligung.

 

Jelzin hob Anfang 1995 mit dem Dekret (Ukas) Nr. 244 alle Zollvergünstigungen Kaliningrads auf. Das Militär wurde für die Grenzen der Sperrzone, die zivile Verwaltung für die übrigen Zollwege zuständig.

 

Kaliningrad war eine der am stärksten militärisierten Regionen Europas mit 100.000 bis 250.000 Soldaten.

 

            Nachdem Jelzin und die Präsidenten der anderen Republiken ihre Machtfülle steigern konnten, verweigerten sie alle am 25. November Gorbatschow die Unterschrift auf den konzipierten Unionsvertrag für eine Umwandlung der Sowjetunion.

 

            In der Zeit von 1918 bis 1991 kamen wohl gut 39.000.000 Menschen im GULAG um (nach Rummel 1996). Es gibt aber auch die Zahlen 57.000.000 bis 69.500.000.  Panin hatte sie 1976 für in den Lagern Umgekommene in den Jahren 1917 bis 1953 geschätzt. Andere schätzten nach Solschenizyn, dass 1918 bis 1956 40.000.000 in GULAGs sich zu Tode arbeiten mussten.

 

            In der Hauptstadt Kasachstans, Alma Ata, schlossen sich am 21. Dezember elf von fünfzehn ehemaligen Sowjetrepubliken zur Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) zusammen. Das Sowjetimperium fiel damit nach 69 Jahren auseinander, so dass Gorbatschow seine Präsidentschaft am 25. Dezember aufgeben musste. Gorbatschows Experiment, Staat und Partei von innen heraus zu regieren, war gescheitert.

 

            Am 14. Dezember gelang es dem amtierenden Präsidenten Jelzin nicht, auf dem 7. Volksdeputiertenkongress den Reformpolitiker Jegor Gaidar als Ministerpräsidenten durchzusetzen. Regierungschef wurde der ehemalige sowjetische Energieminister Viktor Stepanowitsch Tschernomyrdin.


Günter Lehmann: "Mitteleuropa. Handbuch zur Geschichte"
Mecklenburger Buchverlag, 2009. 1300 Seiten, 65 Abbildungen.

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Allzu leicht gerät aus dem Blick, dass der politisch motivierte Begriff "Osteuropa" Staaten meint, die in der Mitte des Kontinents liegen. Das Nachschlagewerk "Mitteleuropa - Handbuch zur Geschichte" bezieht sich ganz bewusst auf Gebiete, die im politischen Sinn osteuropäische sind, und auf deren Umgebung, da die Europäische Union in den vergangenen Jahren hauptsächlich in Richtung Osten erweitert wurde: auf die Gebiete vom heutigen Frankreich bis Russland und bis zur Ukraine, von Skandinavien bis Bulgarien.

Eine Vielzahl der neuen Mitgliedsstaaten gehörte während des 20. Jahrhunderts zur kommunistischen Einflusssphäre, in der eine ideologiefreie Geschichtsforschung und eine ebensolche Aneignung von Wissen zur Geschichte kaum möglich gewesen waren. Die jahrzehntelange Trennung der Welt in West und Ost führte auf beiden Seiten zu ungenauen Einschätzungen und Bewertungen und zu Vorurteilen. Das Handbuch zur Geschichte Mitteleuropas ermöglicht ein vorurteilsfreies Studium der gemeinsamen Geschichte der europäischen Völker, um die Kulturen und Befindlichkeiten der Nachbarn besser verstehen zu können, Voreingenommenheiten, Hemmschwellen, Berührungsängste abzubauen und Gemeinsames zu betonen.