(...) Ich weiß
allerdings nicht, ob der Schatz, den die Nasriden-Herrscher
über lange Zeit angehäuft hatten, immer noch in der
andalusischen Erde vergraben liegt, doch ich denke nicht, denn Boabdil
war ohne Hoffnung auf
Rückkehr in die Verbannung gegangen, und die Rum
hatten ihm gestattet, alles was er wollte mitzunehmen. Er ging also dem
Vergessen entgegen, reich, aber erbärmlich, und als er
über den letzten Paß kam, von dem aus er Granada
noch sehen konnte, blieb er eine Weile unbeweglich, mit trübem
Blick und ganz benommenem Kopf stehen; die Kastilier nannten diesen Ort
den "letzen Seufzer des Mauren",
denn der entthronte Sultan hatte dort, wie es hieß, aus Scham
und Schuldbewußtsein einige Tränen vergossen. "Wie
eine Frau beweinst du ein Königreich, das du nicht wie ein
Mann hast verteidigen können!" soll Fatima, seine Mutter, ihm
vorgeworfen haben.
"In den Augen dieser Frau", erzählte mein Vater mir
später, "war das, was gerade geschehen war, nicht nur der Sieg
der Kastilier; es war auch und vielleicht vor allem die Rache
ihrer Rivalin. Als Tochter eines Sultans, Gemahlin eines Sultans und
Mutter eines Sultans war Fatima ganz auf Staatsgeschäfte und
Ränkespiele eingestellt, weit mehr als Boabdil, der gern mit
einem Leben voller Vergnügungen ohne Ehrgeiz und Gefahren
vorlieb genommen hätte. Sie, Fatima, hatte ihren Sohn
gedrängt, die Macht zu ergreifen und ihren eigenen Ehemann
Abul Hassan zu stürzen, dessen Schuld darin bestand, sie wegen
der schönen christlichen Gefangenen Soraya
vernachlässigt zu haben. Sie, Fatima, hatte Boabdil zur Flucht
aus dem Comaresturm verholfen und jede Einzelheit seiner Erhebung gegen
den alten Monarchen geplant. Sie, Fatima, hatte so die Konkubine
verdrängt und deren Kinder auf immer von der Macht
ausgeschlossen.
Doch das Schicksal kann sich schneller ändern als die Haut
eines Chamäleons, wie ein Dichter
aus Denia gesagt hat. Und während Fatima aus der verlorenen
Stadt flüchtete, nahm Soraya umgehend ihren alten Namen Isabel
de Solis wieder an und ließ ihre beiden Söhne Saad
und Nasr taufen, die nun Don Fernando und Don Juan, Infanten von
Granada waren. (...)
(aus "Leo
Africanus" von Amin Maalouf;
suhrkamp taschenbuch)
auch Salman Rushdie hat sich mit der Thematik beschäftigt, wie man unschwer am Titel seines Romans "Des Mauren letzter Seufzer" erkennen kann