Leseprobe:
Das Brathuhn
Es war einmal ein Brathuhn, das
wurde auf einen Tisch gestellt, um den vier hungrige Männer saßen. Just in dem
Moment aber, als einer der vier seine Gabel in das knusprige Tier stecken wollte,
hörten sie es sagen: " Verschont
mich! Wenn ihr mich nicht esst, so will ich es euch wohl vergelten." Erschrockenes
Schweigen war die erste Antwort am Tisch, bis schließlich der Jüngste meinte:
"Und wie sollte das sein?" - "Ihr werdet sehen." Die vier blickten einander an,
nickten dann einer nach dem anderen, immer noch sichtlich verwirrt, und siehe
da, das kopf- und federlose Vieh erhob sich und flatterte mühsam, aber doch aus
dem zum Glück offenstehenden Fenster davon. Man aß die
Kartoffeln.
Am nächsten
Tag, kaum dass die vier wieder um den Tisch saßen, stand mit einem Mal eine ganze
gebratene Sau vor ihnen. Das also war der Lohn ihrer Zurückhaltung! Kaum aber,
dass einer die Gabel erhob, hörten sie das gleiche wie am Tag zuvor. Sie nickten,
öffneten die Tür, und die Sau wankte hinaus. Kartoffeln.
Am folgenden Tag -
sie warteten bereits mit Spannung - war´s ein vollständiger
Ochse,
der auf dem Tisch kaum Platz fand. Gleiche Rede, gleiches Spiel. Kaum aber, dass
der Ochse draußen war, da hörte man den Ältesten der Runde in das schon fast gewohnheitsmäßige
Staunen der anderen hinein protestieren, dass ihnen bei dieser Fopperei außer
Kartoffeln und ein paar Fettflecken nichts bleibe, und als am vierten Tag vor
den weit aufgerissenen Augen eine gebratene
Fliege
auf dem Tisch landete, da zögerte er nicht lange, stach hinein, zerlegte sie in
vier gleiche Teile und gab mit einem "Nimm, was du kriegen kannst!" jedem das
seine.
Und das Wunder geschah:mit Ausnahme dieses Abends ist nie wieder einer
der vier hungrig von einem Tisch aufgestanden.
Aus:
"Ein dunkelblauer Schuhkarton" von Jochen Jung.
Haymon-Verlag, 2000.
ISBN
3-85218-332-4.
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