... aus "Generation P" von Viktor Pelewin...
(...) "Herr-r-r, mein Gott, ich
sch-r-rie zu dir!" schmetterte, die aufgerissenen Augen rollend, ein Mann mit
gepudertem Gesicht, Fliege und perlmuttglänzender Weste unter dem Frack. Beim
Singen ruderte er seltsam mit der Hand, so als würde er von einem unsichtbaren
Strom Höhenluft hinweggetragen.
Tatarski klickte auf die
Fernbedienung, der Typ mit der Fliege erlosch. Ob ich mal bete? dachte er. Wer
weiß, vielleicht wirkt es. Er mußte an den Mann auf dem Steinrelief denken, der
die Arme gen Sternenhimmel reckte.
Er trat in die Mitte des
Zimmers, kniete mühsam nieder, faltete die Hände vor der Brust und hob den Blick
zur Decke.
"Herr, mein Gott, ich schrie zu Dir", begann er
leise, "ich bin vor Dir schuldig. Ich führe ein schlechtes, ein falsches Leben,
ich weiß. Doch im Grunde meiner Seele will ich nichts Böses, ehrlich. Und diesen
Dreck nehme ich nie wieder. Ich, ich möchte so gern glücklich sein, und es will
einfach nicht klappen. Vielleicht geschieht es mir recht. Ich kann ja nichts anderes
als schlechte Werbesprüche verzapfen. Aber Dir, mein Gott, schreibe ich einen
guten! Ehrenwort. Die positionieren Dich doch ganz falsch. Keiner von denen blickt
durch. Zum Beispiel dieser letzte Spot, mit dem Geld für diese Kirche gesammelt
werden soll. Da steht so eine Omi mit der Spendenbüchse am Straßenrand, und erst
wird ihr ein Rubel reingesteckt aus einem klapprigen Saporoshez, und dann kommt
einer mit dem Mercedes vorgefahren und steckt hundert Dollar rein. Was sie damit
ausdrücken wollen, ist klar, aber die Positionierung ist bescheuert. Einer, der
im Mercedes sitzt, stellt sich doch nicht hinter einem Saporoshez an, da lachen
ja die Hühner.
Und Zielgruppe Nummer eins sind nun mal die Mercedes-Fahrer, eine Spende von denen
bringt genauso viel wie tausend milde Saporoshez-Gaben. So geht das nicht. Warte!"
Er
kämpfte sich von den Knien in den Stand, wankte zum Tisch, ergriff den Kugelschreiber
und schrieb in hüpfenden Krakeln:
Plakat/TV-Spot:
Lange, weiße Limousine vor der Erlöserkirche. Die hintere Tür geöffnet, Lichtkegel von drinnen. In ihm erscheint eine Sandale, die knapp vor dem Asphalt haltmacht, dazu eine Hand auf dem Türgriff. Kein Gesicht zu sehen. Nur das Licht, das Auto, die Hand und der Fuß. Slogan:
JESUS CHRISTUS
Ein
solider Herr für solide Herren.
Variante: Fünfsternehotelzimmer. Carrara-Marble-Tisch mit Laptop. Auf dem Bildschirm erscheint die Meldung: Transaction confirmed. Neben dem Computer: zum Röllchen gedrehter Hundertdollarschein und Hotelzimmerbibel, dreisprachig. Slogan:
SHINING WORD FOR YOUR SHINING WORLD!
Wie im Fieber klemmte Tatarski hinter das Wort Variante eine Eins und schrieb weiter.
Variante 2, anderes Setting: Privatflugzeug, Börsenhalle, Manhattan Penthouse,
Côte d´Azur etc. Anstelle der
Bibel
sehen wir den Erlöser höchstselbst im Lichte Seiner Heiligkeit die Kamera halten.
Slogan: FIRST-CLASS LORD FOR YOUR HAPPY
LOT. Tatarski ließ den Stift fallen, richtete die verweinten
Augen zur Decke.
"Herr, mein Gott, gefällt es Dir?" fragte
er leise.
Die Liebe Gottes zu den Menschen äußert sich in dem großartigen, in Worte nicht
zu fassenden "Es geht ja doch"-Prinzip. "Es geht ja doch" kann eine Menge bedeuten:
zum Beispiel, daß dieses Prinzip, obwohl es absolut nicht zu fassen ist, doch
gefaßt und doch geäußert werden kann. Und zwar unendlich viele Male, und jedesmal
vollkommen neu, davon lebt die Poesie. So ist sie, die Liebe Gottes. Und was
hat der Mensch zu erwidern?
Tatarski erwachte schweißgebadet. Warum durch die Fenster
so viel erbarmungsloses weißes Licht auf seinen Kopf niederschlug, wußte er
nicht. Dunkel erinnerte er sich, im Schlaf geschrien zu haben, wohl auch, daß
er sich vor irgendwem zu rechtfertigen gehabt hatte - die üblichen Alpträume
während harter Landung. Und die Landung war diesmal so knochenhart und fundamental,
daß man auf die erlösenden hundert Gramm Wodka gar nicht erst zu hoffen brauchte.
An die sowieso nicht zu denken war, der bloße Gedanke an
Alkohol führte zu Würgereflexen. Er konnte von Glück reden, daß die
Liebe Gottes in jenem irrational-mystischen Erscheinungszustand, in dem sie
ihre zitternden Flügel über Rußland gebreitet hielt (also sprach und pries sie
der große
Wenedikt
Jerofejew), sich seiner leidenden Seele bereits angenommen
hatte. (...)