(...) Der faulige Geruch,
unzweifelhaft mit dem Öffnen seines Mundes zusammenhängend, stieß in die Nase
Pfarrer Hutwelkers hinein. Offenbar war sein Zahnfleisch wieder welk. Bald würde
er wieder die Nadeln der Betäubungsspritzen in sich spüren müssen, das Sägen unter
seiner Schädeldecke, das aufgequollene Gesicht. Die dummen Kommentare. Zahnärzte,
so war es Hutwelkers Erfahrung, nützten die Gelegenheit zur widerspruchslosen
Kommunikation unbarmherzig aus. Während der andere Schmerzen leidet und sich nur
unzureichend mit leichten Modulationen seiner Schreie verständigen kann, nötigen
sie ihm Kommentare zu intimsten Themen ab. Zahnärzte, so Hutwelkers Überzeugung,
sind die Spießgesellen des Teufels. Nie hätte er sich mit ihnen eingelassen, wenn
es nicht unbedingt erforderlich geworden wäre. Mehrmals. Viel zu oft. Und schuld
war einzig seine Köchin Klementine Zitzelfeigler mit ihren dauernden Rindfleischvariationen.
Rindfleisch mit Tomatensoße, Tafelspitz mit Erdäpfelschmarren und Spinat, Madambre,
Steak, Rindfleisch mit Fisolen oder sonst einem Gemüse, Rostbraten, Kalbsbraten,
Rindfleisch mit Semmelkren, Rindfleisch in der
Suppe, Rindsschnitzel.
Und
immer blieben Fasern in den Zwischenräumen seiner Zähne, wurden faulig und Nahrung
der Karies. Und alles bloß, weil er einmal, ein einziges Mal gesagt hatte, dass
Schweine keine
reinen Tiere seien. Schweine, hatte er gesagt, sind nahe an der Sünde. Schweine
versperren dem Geist den Weg zu Gott. Rinder dagegen sind sauber, näher dran am
Allerhöchsten. Rinder sind katholisch, Schweine der Islam, die Andersgläubigen.
Aber natürlich wusste auch Klementine Zitzelfeigler, dass Hochwürden nichts so
sehr erotisierte wie Rindfleisch auf dem Teller. Und wenn sie sich dann noch Schnupftabak
in ihre breiten Nasenflügel zog, verlor er völlig den Verstand, so sehr war er
seiner Köchin hinterher. Erwischen freilich ließ sie sich nie. Genausowenig wie
sie ihrem Pfarrer merken ließ, dass sie selbst, aus Angst vor der Materie, eine
Vorliebe für Rindfleisch hatte. Sie fürchtete die Rache der Lebewesen. Wer nämlich,
war Klementine Zitzelfeigler überzeugt, viel Geflügel isst, darf sich nicht wundern,
wenn er eines Tages mit dem
Flugzeug abstürzt. Logisch. Das war auch der Grund,
warum sie Insekten nicht erschlug. Nicht einmal
Motten
oder Mücken. So etwas rächt sich. Auch aß sie keine Fische,
Muscheln oder Krabben.
Sollte sie nämlich, die bisher noch nie geflogen war, doch einmal, weil die Zahl
der geflügelessenden Passagiere überwiegt, mit einem Flugzeug mitabstürzen, und
bekanntlich stürzen die meisten Flugzeuge ins Meer, würde sie, gesetzt, sie überlebte,
zumindest von den Meeresbewohnern nicht gefressen werden. Einzig Rinder und
Schafe
konnte man bedenkenlos verzehren. Das waren gutmütige, knopfäugige Viecher, die
verziehen. Also ihrer Meinung nach lagen da die Inder komplett falsch. Ganz verkehrt.
Aber davon wusste Pfarrer Hutwelker, wie er so in den Zwischenräumen seiner Zähne
kramte, natürlich nichts. (...)
Aus dem Roman "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt" von Franzobel.