(...) Alles war so unwirklich,
so vollständig absurd, dass er damit selbst nicht zu Rande kam, das ist bestimmt,
sagte er sich selbst, Erinnerung, ein Traum, nein Trance. Und dabei war er vollkommen
in sich, ja, ruhte ganz in seinem Körper, als er mit dem Tapezierermesser die
Oberhaut aufschnitt, den Fleischwolf auf den Klodeckel montierte und portionenweise
seine Frau ins WC faschierte. Er passte auf, dass das Gelee des nicht mehr frischen
Blutes nicht auf Stoffe fiel. Sah sich selber, wie er nach und nach Teile aus
ihr schabte, Knochen freilegte, Organe. Nach zwei Stunden Ewigkeit hatte er sich
Krämpfe und einen Muskelkater
zugetragen. Dafür waren nur noch Teile seiner Frau erkennbar, sah sie aus wie
ein Bild aus einem Anatomieatlas.
Da schnitt er ihr die
Haare
ab, spülte auch diese portionsweise hinunter und hatte nun ein wahres Monsterbild
von Mensch vor sich. Die Wangen ausgeschabt, die Augäpfel hingen heraus, der Bauch
geleert, die Glieder nur noch Knorpel, Knochen, vermittelte sie ungefähr die Stimmung,
die einen bei den jahrhundertealten luftgetrockneten Leichen
in
Sizilien befiel. Wurznbacher aber, mit dem Wahnsinn schon per du, spürte
plötzlich ein Verlangen und einen festen Willen in sich stehen, der ihn in das
kalte Geschlecht der Anna fahren ließ. Leichenschwitz lag in der Falte toter
Haut,
roch nach nichts. Er aber näherte sich dem inmitten der Zerklüftung unversehrten
Mund, der leicht geöffnet war, sich kalt anfühlte, salzig schmeckte, fast wies
Meer. Er zögerte, dann setzte er in diese Mundhöhle seine Zunge, berührte das
kalte Moos darin - als wäre er in eine Gruft gestiegen, kühl und säuerlich. Dann
packte er sich aus, schob zwischen die Zähne sich, fuhr ein paarmal hin und her,
begann zu keuchen - so also war es, wenn man den Verstand verlor - und erlebte
gleich ein Feuerwerk, ein Ganz-Gefühl, das alle Welt, ja alle Universen in sich
zusammenfasste. Ganz wunderbar. Er spritzte mitten in die Grotte. Derart gestählt
fuhr er nun fort.
Nach weiteren zwei Stunden war bloß noch
ein Gerippe da, vereinzelte Knochen, Müdigkeit. Zergatschtes Mark wie
Marzipan.
Der tote Mensch nur noch als Möglichkeit zu ahnen. Hugo hatte schreckliche Krämpfe,
Schüttelfrost. Die Gebeine zerteilte er, so gut es ging, mit einem wassergekühlten,
elektrischen Fliesenschneider, drückte einige durch den Entsafter, ruinierte eine
Kaffeemühle und einen Küchenmixer, zerschlug die in ein feuchtes Tuch gewickelten
Knochenstücke mit einem Hammer, und warf die so produzierten Bröckchen ins WC.
Den Schädel aber trocknete er mit einem Föhn und bemalte ihn dann mit Heizkörperfarbe,
damit er aussah wie eine Theaterrequisite. Auf diesen letzten Annarest masturbierte
er zweimal. (...)
Aus dem Roman "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt" von Franzobel.