(...)
Es war fast eine Woche her, seit die Flammen erloschen waren, aber über dem Grundstück hing immer noch ein schwerer Brandgeruch, und obwohl sich das Feuer auf das Haupthaus und die angrenzende Doppelgarage beschränkt hatte, war die vorherrschende Farbe in dem parkähnlichen Garten Schwarz. Das vordere Drittel des ehemals so sorgsam manikürten englischen Rasens hatte sich in eine schwarz-braune Kraterlandschaft verwandelt, in der Pfützen aus ölig schimmerndem Löschwasser wie Scherben eines in tausend Stücke zerbrochenen Spiegels schimmerten, und auf den liebevoll gestutzten Rhododendron- und Azaleensträuchern glänzte ein schmieriger Film, der je nach Sonneneinstrahlung manchmal in allen Regenbogenfarben aufleuchtete, manchmal das Licht einfach zu verschlucken schien. Der lang gestreckte Anbau war trotz des leicht entzündlichen Reetdaches vom Feuer verschont geblieben, aber sämtliche Scheiben waren unter der Hitze geborsten, und die ehemals weiße Fassade hatte sich in ein Muster aus allen erdenklichen Grau- und Schwarzschattierungen verwandelt, vor dem sich das Skelett eines verkohlten Baumes wie eine moderne Drahtskulptur erhob. Mehr als drei Dutzend Feuerwehrleute mit der entsprechenden Anzahl von Schläuchen, Feuerlöschern und anderem Löschgerät hatten ein Übergreifen der Flammen auf die angrenzenden Gebäude verhindert, und angesichts dessen, was hätte passieren können, hielt sich der Schaden sogar noch in Grenzen; aber von der einstmals prachtvollen Jugendstilvilla mit der verspielten Fassade, dem sechseckigen Türmchen und den bunten Tiffany-Fenstern war dennoch nicht viel mehr geblieben als ein verkohlter Trümmerhaufen, aus dem nur noch der – durch eine bizarre Laune des Zufalls – nahezu unversehrt gebliebene Kamin herausragte. Obwohl durch und durch ländlich, erinnerte der Anblick Will intensiv an Ground Zero, den er vor zwei Jahren besucht hatte, wenige Monate nach dem Attentat.

Will duckte sich unter dem verkohlten Rest eines heruntergebrochenen Dachbalkens hindurch, beugte die Schultern, um sich durch die schmale Lücke zwischen der Wand und der zweiten Hälfte desselben Balkens hindurchzuquetschen, der schräg dagegen gestürzt war, und verzog das Gesicht, als er das typische Geräusch zerreißenden Stoffs hörte. Den brennenden Schmerz, der an seiner Hüfte entlangfuhr und sich fast bis zu den Nieren hinaufzog, nahm er kaum noch zur Kenntnis. Gut, der Anzug war ruiniert, aber so, wie die Dinge standen, spielte das wahrscheinlich keine Rolle mehr. Wenn er innerhalb der nächsten Minuten nicht eine ganze Jahresration an Glück hatte, dann waren seine Kleiderfür die nächsten zwei Jahre oder so seine geringste Sorge.

Behutsam richtete er sich auf, sah sich mit klopfendem Herzen im schwächer werdenden Licht des Abends dort um, wo noch vor einer Woche ein kostbar eingerichtetes Kaminzimmer gewesen war, und schloss für einen Moment die Augen, um zu lauschen. Alles, was er hörte, war das Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren; und ein ununterbrochenes Knacken und Knirschen, das aus keiner bestimmten Richtung kam und ganz dazu angetan war, seine Angst noch zu schüren. Das Feuer war noch lange nicht tot. Löschwasser und Chemie hatten es geschlagen, aber nicht wirklich besiegt. Es wütete nicht mehr mit seiner ganzen, verheerenden Kraft, aber es war nicht erloschen, sondern allenfalls zurückgedrängt. Aber auch das war im Moment nicht sein Problem. Vielleicht wäre es überhaupt die einfachste Lösung, wenn einer von diesen verdammten Dachbalken nachgab und ihm auf den Kopf fiel oder er von einer Mauer zerquetscht wurde, die das Feuer gerade weit genug geschwächt hatte, um sie unter der leisen Erschütterung durch seine Schritte zusammenbrechen zu lassen. Wo war dieser verdammte Junge?

Die Stille, die über dem Trümmergrundstück lag, war keine wirkliche Stille, sondern schien mit jedem Herzschlag lauter zu werden. Wo war dieser Junge? Wo war dieser verdammte Junge?
(...)


(aus "Feuer" von Wolfgang Hohlbein)

Feuer bricht aus in der Stadt Köln. Es ist schnell, wütend, unbezwingbar.
Niemand hat weniger Interesse daran, in das Rätsel um die Brände hineingezogen zu werden, als Will Lokkens. Doch er findet ein Kind, das mit unheimlichen Mächten im Bunde ist. Eine Frau, die ihn gleichzeitig rettet und bedroht. Und er gerät in einen Kampf, der seit mythischen Zeiten tobt. Will darf nun keinen Fehler mehr machen: Das Feuer schickt sich an, die Grundfesten der Erde zu erschüttern. Wolfgang Hohlbein setzt neue Maßstäbe. FEUER ist sein zweiter Apokalypse-Thriller nach dem Bestseller FLUT. (Droemer Knaur)

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