Leseprobe:

Einen Trauermarsch höre ich besonders gern. Er ist untrennbar mit Valmonts Küssen verbunden, denn er lief im Schlafwagen. Pawlowscher Reflex.
    Ich werde melancholisch, wenn ich ihn höre. Und ich höre ihn ununterbrochen, während Bärbel Schäfer nonverbal fast noch sympathischer wird. Thema heute: "Au pair - träge Schlaftrine oder ausgenutzte Putze?" Die Treme Brass Band spielt: "The Old Rugged Cross". Den Text dazu habe ich schon tausendmal gelesen:

    Die Krönung! Der Orgasmus! Die Pforte zum Himmelreich! Eros! Und Thanatos! So erschütternd wie sexy. Ein Leichenzug durch die Gänge eines Bordells. Ein Requiem, zu dem sich strippen lässt. Existenzieller und geiler geht´s nimmer.

Ich sehe wirkliche Leichen strippen. Tote, Untote, wie in Carnival of Souls und Night of the Living Dead. Mit eckigen Bewegungen und leeren Gesichtern, die Augen in weite Ferne gerichtet, die Lippen blutleer. Wie fremd gesteuert tanzen sie hinter einem Sarg her, verzückt lächelnd. Und im Sarg liegen wir, Valmont und Eugénie, tot und ineinander gekrallt wie der Glöckner von Notre-Dame und Esmeralda ...
    Wahrscheinlich würde ich es genauso erregend finden, wenn Valmont es vorzöge, auf die Musik der Zillertaler Schürzenjäger zu vögeln. Wenn er Sonnentempler wäre, orthodoxer Jude oder Moslem - ich würde übertreten, ohne zu zögern. Und während die schweren Taktschläge nachhallen, stelle ich es mir aufregend vor, 74 Stockhiebe dafür zu kriegen, dass ich mich nicht richtig verhüllt habe, so wie früher im Iran. Oder man stößt mir eine glühend heiße Eisenstange in die Vagina, wie in Pakistan. Strafe bei Seitensprung.
    Ich weiß jetzt auch, wer Eugénie ist. Sie ist, wie Dietrich sagte, ganz und gar keine Sklavin. Sie ist, wie Dietrich sagte, vielmehr eine der Hauptfiguren in Sades heiterstem Roman,
Philosophie im Boudoir den Valmont vorsorglich neben der CD im Schlafwagen liegen ließ. In Philosophie im Boudoir wird nicht viel mehr philosophiert als oben auf der Alm bei Heidi. Dafür wird aber extrem viel gevögelt, mit allen Raffinessen.
    Sade konzentriert sich auf seine drei Faibles: Inzest, Arschfickerei und Verbrechen. Eugénie ist 15 Jahre alt. Nie hat die Welt etwas Liebreizenderes gesehen. Ihr weiser Vater schickt sie zu Madame de Saint-Age, einer durch und durch verdorbenen Person, die Eugénie ausgiebig in der Kunst der Liebe unterrichten soll. Und diesen Lehrauftrag nimmt Madame Saint-Age sehr ernst. Erst bringt sie Eugénie das Küssen bei, dann holt sie den passionierten Arschficker Domancé zu Hilfe, der das hellauf begeisterte Mädchen erst mal hintenrum entjungfert. Gleich im Anschluss lernt Eugénie, Domancé nach allen Regeln der Kunst einen zu blasen. Später tritt der Bruder von Madame Saint-Age auf, der überdurchschnittlich gut bestückt ist und anal noch mal nachstößt. Er ist schon von Kindheit an der Liebhaber seiner eigenen Schwester, und jetzt finden zwischen allen und jedem ausgeklügelte und minutiöse Fick- und Leckspiele statt, wobei sie alle fünf Minuten gleichzeitig Orgasmen haben, was entweder im 18. Jahrhundert leichter ging oder aber heillos übertrieben ist. Alles ist bis ins kleinste Detail beschrieben, jede Frage wird beantwortet, auch wenn sie niemand gestellt hat.
    Die kleine Eugénie wird rasch kreativ und
penetriert mit Hilfe eines umgeschnallten Gummischwanzes abwechselnd die ehrenwerte Madame Saint-Age, deren Bruder und Domancé. Dann wird ein dicker Diener mit einem Monsterpenis gerufen, der auch noch mehrmals darf und dauernd kann. Schließlich wird es Madame Saint-Ages Bruder erlaubt, Eugénie traditionell zu entjungfern. Sie macht erst viel Gezeter und ist dann hellauf begeistert. Hier trifft Eugénies Mutter ein, bigott, besorgt und boshaft. Sie ahnt Schlimmes, fordert ihr Kind heraus, wird aber erst von der verderbten Bande verhöhnt und dann von Eugénie schnurstracks mit besagtem Gummischwanz vergewaltigt. Zum Schluss näht die Tochter, von den anderen Fickern angefeuert, die mütterliche Möse zu.
    Sade versah den Roman mit der Widmung: "Die Mutter sollte ihrer Tochter die Lektüre dieses Buches vorschreiben." Dass er der Autor ist, hat er lebenslang geleugnet. (...)


Aus dem Roman "Ruf! Mich! An!" von Else Buschheuer.
Erschienen als gebundene Ausgabe, sowie als Taschen- und Hörbuch!
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