(...) Er antwortete, er habe mir verdammt noch mal nicht seine
Nummer gegeben, um mit mir essen zu gehen. Tugend
will, man soll sie holen
Für Wut war ich zu verdutzt. In
seiner Stimme dröhnte das Nichts, das ich bin. So hatte noch
nie ein Mann mit mir gesprochen. Er fragte mich nach meiner Adresse und
Telefonnummer. Harsch, keinen Widerspruch duldend. Ich gab ihm beides.
Eilfertig, ohne zu zaudern. Seitdem habe ich ununterbrochen
darüber nachgedacht, warum ich das getan habe. Es
lässt sich jedoch beim besten Willen nicht mehr
rekonstruieren. Sein letzter Satz klingt mir noch immer im Ohr,
wörtlich, mit einem schwer einzuordnenden leichten Akzent:
"Ich komme Punkt acht. Die Wohnungstür wird nur angelehnt
sein. Ich erwarte Sie nackt auf dem Bett kniend, Rücken zur
Tür, mit verbundenen Augen." Mein Protest erreichte ihn nicht
mehr. Aufgelegt.
Danach saß ich wie
betäubt mit dem Hörer in der Hand auf dem Bett. Was
tun? Ein Rendezvous mit meinem Henker. Ich selbst hatte ihm den Weg zur
Schlachtbank gewiesen. Er hatte meine Adresse! Noch mal anrufen!
Absagen! Ihn zurückhalten. Ihn hinhalten. Aber Valmont ging
nicht ran. Und nun? Polizei? Lächerlich! Dietrich? Nicht
da! Na klar! Bei Moni in Marzahn! Sein Kommentar wäre ohnehin
der übliche: "Das wird böse enden." Robert? Der
wäre der letzte, der mir raten könnte. "Du liebe
Güte", würde er sagen und die Hand müde auf
seinen Oberschenkel plumpsen lassen.
Weg hier! Raus! Ich werde das Haus
verlassen und im Hotel schlafen. Oder ich bleibe hier, mache einfach
nicht auf. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen,
ließ ich mir ein Bad ein. Und fast mechanisch richtete ich
mich für ihn her. Übernachten wird er hier auf keinen
Fall! So viel ist klar! Das reißt mir gar nicht erst ein! Ich
fahre mit dem Lift runter, öffne die Haustür und
lasse sie einrasten, sodass er gleich reinkommen kann. Die
Wohnungstür lehne ich an, wie befohlen.
Und jetzt knie ich mich
tatsächlich auf meinem Zwei-mal-zwei-Meter-Bett, nackt, wie
betäubt, in Habtachtstellung. Ich, die nicht mal eine Putzfrau
habe, weil ich niemandem traue! Ich, die ich jede
Kommunikation scheue,
jede Bindung, jede Verpflichtung! Und nun habe ich sogar mein Handy
ausgeschaltet. Das kommt so gut wie nie vor. Das ist doch vollkommen
bekloppt! Ein Spruch aus dem Poesiealbum meiner verschütteten
Kindheit fällt mir wieder ein:
Ungern
ist sie gegenwärtig
Laster
ist, ganz unbefohlen
Dienstbereit
und fix und fertig.
Zwei
Minuten vor acht. Bin ich zur falschen Zeit am falschen Ort? Handelt es
sich um eine glückliche Verkettung unglücklicher
Zufälle? Warum habe ich bei der Auskunft gerade ihn erwischt?
Warum hat er gerade mir seine Nummer gegeben? Ich harre dessen, was da
kommen soll. Aber es kommt nichts. Ich habe mich überhaupt
noch nicht damit beschäftigt, welche Rolle dieser
Eugénie zugedacht ist. Oje, ich werde es gleich wissen! Und
mein Wissen höchstwahrscheinlich mit ins Grab nehmen! War da
nicht was an der Tür? Wenn nun Maik und Mändy
plötzlich im Zimmer stehen? Oder vielleicht spiele ich gerade
in einem Sketch der Versteckten Kamera? Am Ende
taucht Valmont hier mit zwei Dutzend Freunden auf! Oder allein, nur mit
einer Axt bewaffnet? Himmel, ich muss wirklich verrückt sein.
Und keiner weiß, dass er kommt. Keiner kennt seinen Namen.
Mich würde nicht mal jemand vermissen!
Ein Luftzug hebt plötzlich die
Enden des Seidentuchs, das ich fest über meinen Augen
verknotet habe. Ich spüre, dass jemand in der Wohnung ist und
höre auch, wie das Türschloss einschnappt. Ich werde
ohnmächtig. Ich schreie gleich! Ich schreie um mein Leben.
Dann spüre ich eine Hand auf meinem Kopf. Dort, wo sie liegt,
wird es ganz heiß und kalt. Feuer und Eis. Die Hand krallt
sich in mein Haar und ein Schauer jagt durch mein Rückenmark.
Jetzt lockert sich der Griff und der Handrücken streicht
über meine Stirn und mein Gesicht. Er ist kühl und
fest und unbehaart. Die Finger sind schlank und sehnig, die Gelenke
knochig. Ich spüre seinen Atem an meinem Ohr.
Dann spricht Valmont. Und seine Stimme
wirft ihren unergründlichen Bannstrahl auf mich. Obwohl ich
nichts sehen kann, fühle ich mich in gleißendes
Licht getaucht. Der Rest der Welt liegt im Dunklen. Ich kapituliere. Er
sagt: "Eugénie, Sie sind schön." Meine Brustwarzen
pochen, eine fast schmerzhafte Erektion. Ich möchte, dass er
mich küsst. Aber er küsst mich nicht. Er streicht
langsam über meinen Arsch, wie ein Arzt, der die
Einstichstelle für eine intramuskuläre Injektion
sucht. Er streichelt und streichelt und plötzlich
schlägt er mit der flachen Hand zu. Es schmerzt, es brennt wie
Feuer und mir entfährt ein Schrei, eine Mischung aus Lust und
Protest. Der Schmerz wacht über unsere Sicherheit. Er wird von
den Nervenenden empfunden. Obwohl meine Hände frei sind,
spüre ich nicht den kleinsten Impuls, mich zu wehren. Ich tue
es trotzdem. Er hält meine Handgelenke eisern im Griff. Do You
Really Want to Hurt Me? Er raunt in mein Ohr: "Sie werden feststellen,
dass es mit der Scham wie mit dem Schmerz ist, Eugénie.
Beides spürt man nur beim ersten Mal."
Ein Zitat aus Gefährliche
Liebschaften.
Dann streichelt er wieder, mit
länger werdenden Pausen, in denen ich fast wahnsinnig werde,
weil ich nicht weiß, was passiert. In Wellen
kräuselt sich meine Haut, so heftig, dass ich mich stachelig
anfühlen muss, wie ein Kaktus. Außer kurzen
Anweisungen wie "Bleiben Sie so", "Ich will Ihre Hände sehen"
und "Zeigen Sie mir Ihr Profil" spricht er nicht. Seine harte Hand
trifft meinen Arsch noch fünfmal exakt auf dieselbe Stelle.
Die Haut fühlt sich taub und heiß an und prickelt.
Die Anonymität dieser Berührung, die
Virtuosität des gesichtslosen Liebhabers verwirrt und
verzückt mich. Im Geilheitsfuror sehe ich Elfen
auf Mondwiesen tanzen. Ich möchte sterben. Nicht vor Scham -
vor Wonne!
"Ich werde Sie jetzt reiten", sagt
Valmont lakonisch - bisher habe ich nur seine Hände
gespürt und den Hauch seines Mundes. Er zieht mir routiniert
meine Schamlippen auseinander. Das kleine Geräusch, das sie
dabei machen, kommentiert er mit einem wollüstigen Schnalzen.
Dann kommt sein Schwanz aus dem Nichts, trifft punktgenau und
fährt bis ans Heft in mich hinein. Er versengt mich. Er
pfählt mich. Er zerreißt mich. Vermählung
von Himmel und Erde. Heilige Hochzeit. Menschen und Delfine sind die einzigen Lebewesen, die wirklich
Spaß an Sex haben. Valmont bleibt in mir und bewegt sich
nicht. Er packt mich wieder an den Haaren, zerrt mich an sich, schubst
mich weg wie ein totes Insekt. Sein Rhythmus bin ich. Ich
stoße mit dem Kopf gegen die Wand und es tut nicht mal weh.
Ich könnte schwören, Gott ist
höchstpersönlich zu mir runtergekommen und fickt
mich. Oder der Teufel. Wer auch immer. Scheißegal. (...)
Aus dem Roman "Ruf! Mich! An!" von
Else
Buschheuer.
Erschienen als gebundene Ausgabe, sowie als Taschen- und
Hörbuch!
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