Ein Homeless vorm
Tempeleingang. Ein kalter Morgen, der Himmel über New York tief und nass, zum
Auswringen. Jackenwetter. Regenschirmwetter. Ich hocke mich neben den Homeless.
Also, es ist jetzt nicht so, dass ich mich neben jeden Homeless in New York hocke,
obwohl das sicher ein tagesfüllender Job wäre und gut für das Training der Beinmuskulatur,
aber in diesem Fall muss ich einfach.
Der Mann sieht aus wie der Renoir-Fälscher
aus dem Film „Amelie“, der mit der Glasknochenkrankheit. Denselben
traurigen klugen Ausdruck im vom
Alkohol verwüsteten Gesicht. Er zittert am ganzen
Leib. Er riecht nach Scheiße. Seine Ohren sind dreckverkustet, seine Kopfhaut
von einer Flechte überzogen. In seinem entzündeten Gesicht hängen Hautfetzen.
Das Weiße in seinen Augen ist rot. Er trägt ein kurzärmeliges T-Shirt. Neben ihm
steht eine Papptüte mit einer fast leeren Flasche billigen Schnapses. Ich frage
ihn, wie er heißt. Er antwortet, aber ich kann ihn nicht verstehen. Er hat keine
Zähne mehr und spricht ganz leise. Er fragt mich nicht, wie ich heiße. Ich sage
es ihm trotzdem. Ich frage ihn, ob er
Hunger
hat. Er nickt. Also gehe ich und hole ihm einen Bagel und etwas Obst. Er nimmt
den Bagel in
die Hand, dreht ihn und sieht ihn verwundert an. Dann gibt er ihn mir zurück.
„Ich kann das nicht essen, girl“, sagt er. Dasselbe mit dem Obst.
Er nimmt es, riecht daran, gibt es mir wieder.
Ich frage ihn, ob er
Durst
hat. Er nickt. Also gehe ich wieder hoch und hole eine Tasse heißen Tee. Ich brauche
eine Weile, aber er ist noch da, also ich zurückkomme. Er hält die heiße Tasse
in der Hand und riecht daran. „Ich kann das nicht trinken, girl“,
sagt er sehr leise und gibt sie mir zurück.
Ich hocke noch eine Weile da und
schweige mit ihm. Dann bietet er mir von seinem Schnaps an. „Ich trinke
nicht“, sage ich. Er bietet mir von seinen Zigaretten an. „Ich rauche
nicht“, sage ich. Ich frage ihn, ob er mit reinkommen will, ein Bad nehmen.
„Ich bade nicht“, sagt er. Ich frage ihn, ob er mit in den Tempel
kommen will, beten. „Ich bete nicht“, sagt er und lächelt zahnlos,
„du siehst, girl, wir passen nicht zusammen.“
Die Rezension eines Romans von Else Buschheuer finden Sie hier, die Homepage der Autorin jedoch hier ...