Leseprobe:
Mit
Ljuba war es Liebe auf den ersten Blick. Sie war die schönste Papageiin der Karibik.
Also ging ich zu ihr, ohne darüber nachzudenken. Ohne Umschweife sah ich ihr in
die Augen und sagte:
"Ich liebe dich."
"Ich
liebe dich", antwortete sie mir. Dies war der Beginn einer großen Leidenschaft.
Der ganze Dschungel war unser Liebesnest, das wahnsinnige Feuer der
Jugend brannte
uns unter den Federn, und der Himmel über uns war fast nicht weit genug dafür.
Wir sangen, wir tanzten, wir liebten uns im Rhythmus des Rumba, des Mambo, der
Konga und der Merengue. Dann, eines Tages, entschloss ich mich, sie zu fragen:
"Willst
du mich heiraten?"
"Willst du mich heiraten?"
gab
sie zurück.
"Gewiss, mein Schatz."
"Gewiss,
mein Schatz", antwortete sie.
So baute ich das schönste Nest
des Archipels, und wir verbrachten darin unsere Flitterwochen. Ich hielt sie ganz
fest, als ich zu ihr sagte:
"Ich hätte so gerne Junge."
Sie
antwortete mir, dass auch sie welche wolle. Wir bekamen zwei, kleine Schätzchen:
nie ein Widerwort, nie ungehorsam, immer bereit, unsere Zuneigung zu erwidern.
Was
konnte man mehr vom Leben erwarten?
Etwas
Unvorhergesehenes. Und so begann ich, jene andere Papageiin zu sehen. Eines Tages
beichtete ich es Ljuba.
"Ich habe eine Geliebte", sagte ich
zu ihr.
"Ich habe eine Geliebte", entgegnete sie.
"Sie
heißt Lara", fuhr ich fort.
"Sie heißt Lara", gestand sie
mir.
Was soll ich euch sagen? Ich war wie versteinert. Meine
Frau mit meiner Geliebten. Wenn man so wollte, mochte es fast eine gute Nachricht
scheinen, doch es wurde schnell klar, dass dieses
Dreieck
keine Zukunft hatte. Also ging ich zu Lara und sagte zu ihr:
"Entscheide
dich: ich oder sie."
"Sie", antwortete sie.
Dann
ging ich zu Ljuba und stellte auch sie vor die Alternative:
"Entweder
ich oder sie!"
"Sie!"
"Zum Teufel mit
dir!" sagte ich.
"Zum
Teufel mit dir!" gab sie schlagfertig zurück.
Ich hatte
es satt, mich von immer gleichen Antworten foppen zu lassen. War es möglich, dass
das Leben nach so oberflächlichen Mustern verlief? Wie konnte man so weitermachen?
In meiner Verzweiflung beschloss ich, den Rat eines erleuchteten Geistes zu suchen,
eines Papageien, der sich als Weisheitslehrer und spiritueller Führer Ruhm erworben
hatte.
"Meister", platzte ich heraus, "was können wir tun,
um weniger erwartbare Antworten zu erhalten, um diesem Trott zu entfliehen, dieser
Mittelmäßigkeit? Sagen Sie mir, Meister, was sollen wir tun?"
"Tun",
antwortete der Meister.
Aus: "Viskovitz,
du bist ein Tier.
Fabelhafte Liebesgeschichten" von Alessandro Boffa.
Piper Taschenbuch, 2001. 183 Seiten. ISBN 3-492-23188-8.
ca. EUR 8,90.