Aljoscha Neubauer, Elsbeth Stern: "Lernen macht intelligent"

Warum Begabung gefördert werden muss


Das Wesen der Intelligenz, ihre Ursachen und Ausprägungen

Intelligenz ist nicht nur Thema zahlreicher Studien und Forschungsprojekte, sondern auch ein Politikum. Je nach Couleur und persönlicher Auffassung gilt eine Abhängigkeit der Intelligenz von der genetischen Disposition oder aber die Beeinflussung durch Umweltfaktoren als nicht opportun.

Die da um die Bewilligung von Fördergeldern streiten, scheinen oft nur eine diffuse Vorstellung davon zu haben, was Begabung oder Intelligenz überhaupt ist. Dies sollte den Betrachter nicht allzu sehr verwundern, denn das Thema wird auch in der Fachwelt kontrovers diskutiert, wie das Buch von Aljoscha Neubauer und Elsbeth Stern aufzuzeigen vermag. Daher führen die Autoren den Leser bereits in den ersten Kapiteln an die strittigen und später wieder aufgegriffenen Fragen heran, wie Intelligenz zu definieren sei, ob es verschiedene Intelligenzen gebe und wie Intelligenz gemessen werden könne. Das letztgenannte Problem gehen Neubauer und Stern mittels einer chronologischen Schau auf die unterschiedlichen Intelligenztests an, die im Laufe der Zeit entwickelt wurden und natürlich in sehr unterschiedlichem Maße objektiv sind. Darüber hinaus kann sich der Leser über den aktuellen Kenntnisstand zu den Ursachen unterschiedlicher Intelligenz bei verschiedenen Individuen mit vergleichbarem sozialen und kulturellem Hintergrund sowie bei unterschiedlichen, in sich jedoch vergleichsweise homogenen Gruppen informieren - also Gruppen, die sich voneinander beispielsweise durch das Geschlecht, durch das soziale Umfeld, durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Rassen oder Ethnien unterscheiden.

Der Einfluss des Lernens auf die Intelligenz ist Thema eines eigenen, ausführlichen Kapitels, ebenso die mögliche Veränderung des IQ im Verlauf des Lebens eines Individuums. Außerdem greifen die Autoren den politischen Zankapfel Hochbegabung auf und werten Studien aus, die sich mit der Intelligenzentwicklung von als hochbegabt eingestuften Kindern über einen längeren Zeitraum sowie mit den statistisch erfassbaren beruflichen Erfolgen Hochbegabter gegenüber überdurchschnittlich und normal Begabten befassen. In dieses Kapitel geht auch noch einmal die Frage nach der Gültigkeit gängiger Tests ein.

Das Buch wird abgeschlossen durch einen Katalog von Antworten auf häufig gestellte Fragen, der anhand seriöser Untersuchungen mit einigen Vorurteilen aufräumt und zugleich nochmals auf die Bedeutung der Förderung von Begabungen hinweist.

Sollte der Leser anhand des Titels einen Ratgeber erwartet haben, so wird er enttäuscht sein. Stattdessen erhält er einen interessanten und fundierten Einblick in den aktuellen Stand der Intelligenzforschung und deren Historie. Die Autoren vertreten im Dschungel unterschiedlicher Meinungen eine eigene, auf den bezüglich des Themas einigermaßen belesenen Laien ausgewogen wirkende Auffassung, die sie stets sehr gut begründen können. Es fällt positiv auf, dass sie sich unerschrocken auch an Themen heranwagen, die sozialen und politischen Sprengstoff enthalten, etwa bezüglich der us-amerikanischen Studien, die belegen, dass Schwarze einen geringeren IQ aufweisen als Weiße - Studien, deren Interpretation Forschern je nach Fazit den Vorwurf des Rassismus oder falsch verstandener politischer Korrektheit einbringt. Leidtragende sind, so das Fazit der Autoren, immer die Kinder, denen die Förderung gestrichen wird, denn gleichgültig, ob Gene oder Umwelt eine größere Rolle bei der Intelligenzentwicklung spielen, Förderung zeigt stets eine positive Wirkung, vor allem bei Kindern, die sozial benachteiligt sind.

Zugleich weisen die Verfasser auf aktuelle Studien hin, aus denen hervorgeht, dass die systematische "Förderung" im Alter von bis zu drei Jahren sich oft eher als Hemmschuh erweist, weil Babys und Kleinkinder in einer normalen Umgebung alle Reize vorfinden, die sie für eine optimale Entwicklung benötigen, und darüber Hinausgehendes nicht selten zu einer tendenziell schädlichen Reizüberflutung führt.

Das Buch befasst sich jedoch nicht nur mit kindlicher Intelligenz. Sehr deutlich weisen Neubauer und Stern darauf hin, wie wichtig es angesichts der demografischen Entwicklung ist, sich mit der Intelligenz während des Älterwerdens zu befassen: Sollten mittelfristig Siebzigjährige noch im Beruf stehen und Achtzigjährige die wohl verdiente Rente genießen wollen, so wird eine auch im Alter nicht wesentlich nachlassende Intelligenz eine unabdingbare Voraussetzung für den Erhalt der Lebensqualität sein.

Das Buch ist anspruchsvoll, für Laien jedoch gut verständlich. Es basiert auf sorgfältig ausgewerteten aktuellen Erkenntnissen, deren Aussagekraft und Stand zwar nicht beschönigt werden, die aber doch Rückschlüsse zulassen, welche für Menschen in jedem Alter, insbesondere sicher für Eltern und Erziehende, von großer Bedeutung sind. Daher ist die Lektüre auf jeden Fall zu empfehlen.

(Regina Károlyi; 04/2007)


Aljoscha Neubauer, Elsbeth Stern:
"Lernen macht intelligent. Warum Begabung gefördert werden muss"

DVA, 2007. 287 Seiten.
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Aljoscha Neubauer, geboren 1960, ist Professor für Psychologie an der Universität Graz. Er ist Leiter des Arbeitsbereiches Differentielle Psychologie und beschäftigt sich mit interindividuellen Unterschieden in kognitiven, sozialen und kreativen Begabungen und ihren neurophysiologischen Grundlagen.
Elsbeth Stern, geboren 1957, ist Professorin für Psychologie und leitet an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich den Arbeitsbereich Lehr- und Lernforschung. Sie beschäftigt sich mit dem Erwerb, der Veränderung und der Nutzung von Wissen in unterschiedlichen Bereichen.

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