Donna Leon: "Verschwiegene Kanäle"

Commissario Brunettis zwölfter Fall


Ein Selbstmord in der Kadettenschule von San Martino?

Keine andere Autorin schildert Venedig so farbig, so genau, so liebevoll, wie Donna Leon. Bei jeder ihrer Beschreibungen entführt sie mich geistig in diese wunderschöne Stadt, und ich gehe die Kanäle entlang, oder fahre selbst in Gedanken auf dem Canale Grande.
Nein, nicht nur die Stadt beschreibt sie, sondern auch das Essen, die Menschen, die Polizei und die Verbrecher und natürlich Commissario Brunetti, seine Kollegen, den Vice-Questore Patta, Signorina Elettra und seine Familie. Es ist jedes Mal ein Fest und Vergnügen, wenn ein neuer Roman dieser Autorin erscheint.

Dieses Mal ermittelt Brunetti in der venezianischen Militärakademie, einer teuren Eliteschule, und findet oder findet nicht - das sei hier ungesagt - den Mörder; oder ist es gar eine Mörderin? Dabei stolpert er wie so oft über politische Skandale, Familiengeheimnisse und Ungereimtheiten der venezianischen und italienischen Bürokratie.

An einem Novembermorgen wird ein Kadett der Militärakademie tot im Waschraum aufgefunden. Er hat sich allem Anschein nach erhängt. Nun, Mord oder Selbstmord, das versucht Brunetti herauszufinden. An Selbstmord glaubt keiner, der den Jungen kannte. Gerade dieser Tod des Siebzehnjährigen und Sohnes eines Arztes mit ehemaliger Politkarriere berührt den Commissario besonders, ist der Junge doch ebenso alt wie sein eigener Sohn.
Innerhalb der Militärakademie stößt Brunetti nur auf Schweigen, dort scheint jeder, ebenso wie Patta, (er möchte wie immer nur seine Ruhe haben und Erfolgsmeldungen der venezianischen Polizei in den Medien finden), an den Selbstmord zu glauben. Die Kadetten halten zusammen wie Pech und Schwefel, sie sind erfüllt von Hochmut und Standesdünkel. Brunetti ahnt jedoch, dass sie aus Gründen, die nur sie wissen können, schweigen. Sogar Signorina Elettra scheint mehr über die Vorkommnisse in der Akademie zu wissen als sie sagt.
Es stellt sich zusätzlich die Frage, ob der Tod dieses Kadetten mit dem angeblichen Jagdunfall seiner Mutter und der Mitgliedschaft des Vaters in einem politischen Ermittlungsausschuss in Zusammenhang stehen.
Als ein Kadett von der Akademie beurlaubt wird, und der Commissario ihn auf dem Bauernhof seiner Mutter und Tante besucht, erhält er wertvolle Hinweise für diesen Fall. Der Junge soll nach dem Willen seines Großvaters, eines ehemaligen Admirals mit monarchistischen Ambitionen, gegen seinen Willen eine Militärkarriere anstreben.

Wie alle von Donna Leons Romanen ist auch dieser leicht und herzlich, jedoch auf keinen Fall seicht geschrieben. Man geht stets an Brunettis Seite, ist amüsiert über die kleinen Fallen, die er seinem Chef Patta legt, bewundert mit ihm Signorina Elettras Netzrecherchen, die auch in diesem Fall wertvolle Hilfe leisten, und fühlt sich als Gast - natürlich unsichtbar - in seiner Familie, in deren Küche man förmlich das gute Essen zu riechen vermeint. An Brunettis Seite hat man den Eindruck, immer mehr von der venezianischen Lebensweise zu verstehen.
Vielleicht begegnet man ihm ja eines Tages auf einem Streifzug durch Venedig, im Sommer, wenn er versucht den Touristenströmen auszukommen, auf einer der vielen kleinen versteckten Seitengassen dieser Stadt ...

(Ingrid)


Donna Leon: "Verschwiegene Kanäle. Commissario Brunettis zwölfter Fall"
(Originaltitel "Uniform Justice")
Übersetzt von Christa E. Seibicke.
Diogenes.
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Ein weiteres Buch der Autorin:

"Tierische Profite. Commissario Brunettis einundzwanzigster Fall"

Ein toter Mann, der von niemandem vermisst wird, weder von den Venezianern noch von Touristen. Und ein teurer Lederschuh am Fuß dieser Leiche. Brunetti muss all seine Menschenkenntnis aufbieten und sein ganzes Kombinationstalent, um diesen Fall zu lösen, der ihn bis aufs Festland nach Mestre führt.
Als im Morgengrauen eine aufgedunsene Leiche im Kanal gefunden wird, ist ein eleganter Lederschuh die einzige Spur, die Brunetti hat. Und eine persönliche Erinnerung: Obwohl die Augen des Toten geschlossen sind, glaubt Brunetti deren Farbe von irgendwoher zu kennen. Aber woher? Seinen Stiernacken verdankt der Tote einer seltenen Krankheit. Doch so erschreckend sein Aussehen, so sanft seine Seele, wie Vianello und Brunetti bei ihren Nachforschungen entdecken. Ein Fall, der bis in den Bauch von Venedig, nach Mestre, führt. Familienleben, Spaziergänge und Einkehren in Bars und Caffès - Brunetti braucht dies mehr denn je in diesem Fall, der ihm regelrecht auf den Magen schlägt. (Diogenes)
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