Donna Leon: "Feine Freunde. Der neunte Fall"
Wenn der Mann vom Katasteramt dreimal klingelt ...
Ein
Ermittler auf der Suche nach den Idealen seiner Jugend - und das in den
venezianischen Sümpfen
Commissario Guido
Brunetti hat es sich mit einem Buch auf dem Sofa gemütlich gemacht, als die
Türklingel ertönt. Draußen steht Franco Rossi, ein junger Beamter des
Katasteramts, und erkundigt sich nach der Baubewilligung für jene Wohnung, in
der Familie Brunetti logiert. In Venedig kommt es nämlich nicht allzu selten
vor, dass mehr oder minder "inoffiziell" gebaut und renoviert wird, wobei die
gesetzlichen Vorschriften mit allerlei Tricks "kreativ umgangen" werden. Als das
junge Ehepaar Brunetti vor zwanzig Jahren die bewusste Wohnung über den Dächern
der Stadt erwarb, wurde nicht lange nach behördlichen Dokumenten gefragt; man
war schließlich froh, eine Wohnung gefunden zu haben. Sollte die
Eigentumswohnung der Brunettis allerdings ohne Bewilligung erbaut worden sein,
droht im schlimmsten Fall der Abriss - also muss schleunigst eine
Baugenehmigung vorgewiesen werden.
Doch woher nehmen und
nicht stehlen? Vielleicht können "feine Freunde" helfen, eben jene, die dem
Commissario noch den einen oder anderen Gefallen schulden. Die Brunettis
beratschlagen so unter anderem, ob Paolas Vater (ein einflussreicher Conte) um
Hilfe ersucht werden solle, unternehmen jedoch nichts.
Monate später,
Brunetti hofft bereits, die missliebige Sache sei womöglich in Vergessenheit
geraten, macht ihn eine Meldung stutzig, wonach der unter extremer Höhenangst
leidende Rossi von einem Baugerüst zu Tode gestürzt sein soll. Dies, nachdem er
vergeblich versucht hatte, Brunetti telefonisch zu erreichen. Der Commissario
nimmt - anfangs widerwillig - Ermittlungen auf. Eine Telefonnummer in der
Brieftasche des Verunglückten führt zu einem Anwalt, der am helllichten Tag
erschossen wurde. Ab diesem Moment bekommt der Fall größere Dimensionen, und
seine Nachforschungen führen Brunetti in die Drogenszene und zum mittlerweile
neunten Mal mitten hinein in nicht nur venezianische Missstände wie Wucher und
Korruption. Und natürlich dürfen auch Brunettis cholerischer Chef, Patta, dessen
Schreibtisch stets leer ist, sowie die "allwissende" Sekretärin, Signorina
Elletra, ein Organisationstalent sondergleichen, nicht fehlen.
Der harmonischen
Familienidylle des melancholischen Gerechtigkeitsfanatikers Brunetti steht eine
Umwelt entgegen, die beherrscht wird von Korruption, Gewalt und
Mafia-Strukturen. Die Handlung selbst ist einigermaßen schlüssig und routiniert
aufgebaut. Auch gelingt recht stringent die Darstellung einer durch und durch
korrupten Gesellschaft, einer unwilligen, unfähigen, faulen und schlicht
kriminellen Beamtenschaft. Der Schluss ist überraschend tröstlich: Es scheint
so, als würde dem Übeltäter, sofern sein begangenes Unrecht bewiesen werden
konnte, Gerechtigkeit widerfahren, wenn auch nur durch ein funktionierendes
Mediensystem und durch eine schlagkräftige Guardia de Finanza: " 'Er verliert
seine Stellung' sagte sie (Paola). 'Er verliert alles', korrigierte Brunetti sie
und rang sich ein ... Lächeln ab' ".
Wahrscheinlich sind diese,
das Gerechtigkeitsgefühl der treuen Leserschaft befriedigenden, Schlüsse Teil
des Erfolgskonzepts der Donna Leon. Was die Einen der Romanfigur des Commissario
Guido Brunetti als klischeehaft und eindimensional ankreiden (Profillosigkeit,
völliges Fehlen negativer Eigenschaften), schätzen die Anderen als liebenswerte
Schwächen und Interpretations- wie Identifikationsfreiraum. Die Ehe von Paola
und Guido Brunetti überstand schon so manche Turbulenz, und in den Gesprächen
der beiden erkennen sich bestimmt viele LeserInnen wieder. Die gute italienische
Küche darf natürlich auch nicht zu kurz kommen.
Für den Verkaufserfolg
zumindest ebenso maßgeblich ist das venezianische Ambiente der Romane. Keine
Gelegenheit wird ausgelassen, um die Stadt selbst in die Geschichte einfließen
zu lassen, vom Vaporetto-Fahrschein als Brunetti'sches Lesezeichen bis zu den
von Dogen abstammenden alteingesessenen Contes, deren Standesdünkel ebenso
klischeeverhaftet sind wie Brunettis Humanität des kleinen Mannes. Geschickt
umschmeicheln die an und für sich recht simpel, wenngleich routiniert
gestrickten Kriminalromane die Urlaubserinnerungen, -sehnsüchte und das Fernweh
der mitteleuropäischen Leserschaft und profitieren wohl auch gelegentlich vom
Wiedererkennungswert, wenn beispielsweise Dialoge mit italienischen Floskeln
durchsetzt sind.
Donna Leon ist eine
amerikanische Autorin, deren Kriminalromane gutteils im deutschen Sprachraum
Verkaufserfolge geworden sind. (Übersetzungen ins Italienische sind
interessanterweise untersagt, und auf dem englischsprachigen Buchmarkt
vermochten die Geschichten um den Ermittler aus Venedig in der Originalsprache
bislang keine ins Gewicht fallende Anhängerschaft zu erobern.) Wie sagte doch
Donna Leon selbst so trefflich in einem Interview: "Ich bin eine Handwerkerin. Verlangen Sie also keine Literatur von
mir. Ich weiß, was ich mache, und ich weiß, wie ich das mache. Mehr habe ich
nicht vor."
So ist das also.
(Franka Reineke;
12/2002)
Donna Leon: "Feine Freunde"
Aus dem
Amerikanischen von Monika Elwenspoek.
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2001.
332 Seiten.
ISBN 3-2570-6271-0.
ca. EUR 19,90.
Buch bestellen
Taschenbuch:
Diogenes, 2002. 336 Seiten.
ISBN 3-2572-3339-6.
ca.
EUR 9,90.
Buch bestellen