Erich Maletzke: "Siegfried Lenz"

Eine biografische Annäherung


Unaufgeregter Gutmensch

Siegfried Lenz ein Achtziger. Als Schriftsteller hatte er mindestens zweimal Glück: er hatte (s)einen Verleger Kurt Ganske (Hoffmann & Campe) als persönlichen Freund und Deutschlands Chefkritiker Marcel Reich-Ranicki ebenso. In Ostpreußen geboren, dann nach Hamburg gekommen, mit 25 erschien sein erster Roman "Es waren Habichte in der Luft" - worauf er sich als freier Schriftsteller versuchte und vier Jahre später mit dem Erzählband "So zärtlich war Suleyken" reüssierte. Sein meistverkauftes Werk ist die "Deutschstunde" (1968), eine fingierte Strafarbeit über "Die Freuden der Pflicht".

Das vorliegende Buch mit zahlreichen Abbildungen versteht sich als "Eine biografische Annäherung" (Untertitel) - und ist eigentlich die erste Biografie dieses neben Böll, Grass und Walser wohl bedeutendsten deutschen Nachkriegsautors. Lenz hat lange in aller Bescheidenheit sein Privatleben gepflegt - nun hat er Maletzke, mit dem er seit Jahren befreundet ist, seltene Einblicke gewährt. Lenz war aktiv in der Gruppe 47, machte Wahlkampf für seinen SPD-Freund Helmut Schmidt, bereiste viele Länder und sprach sich vehement gegen die Rechtschreibreform aus. Wie sein Vorbild Thomas Mann arbeitet er täglich diszipliniert und hat gelernt, auch Niederlagen zu akzeptieren. Für seine Figuren gilt ohnehin der Satz: das Scheitern ist im Leben des Menschen der Normalfall. Lenz ist ebenso humorvoll wie melancholisch, und manchmal versteht er auch zu lästern. Aber anders als Grass oder Walser vermeidet er politische Provokationen. Er ist eben ein unaufgeregter Gutmensch.

Lenz hatte als Neuling in der Gruppe 47 seine Geschichte "Die Nacht im Hotel" vorgetragen und hatte damit mittelmäßige Anerkennung erfahren - in der gleichen Sitzung war übrigens Paul Celan mit seiner "Todesfuge" auf Unverständnis und heftige Kritik gestoßen. Anfangs war Hemingway ein Vorbild, von dem Lenz später aber abrückte. In einem Interview mit Fritz J. Raddatz führt Lenz aus: "Jeder Schriftsteller lebt von der Selbstversetzung. Ich versuche, das, was ich bin, auf meine Figuren zu verteilen." Eines seiner literarischen Rezepte lautet sinngemäß: Man muss die Menschen einer extremen Situation aussetzen, um ihr Verhalten beurteilen zu können. Zweifelsohne ist Lenz ein Moralist. Das zeigt sich u.a. gerade auch in seinem Hörspiel "Zeit der Schuldlosen" (1961), welches er zum Theaterstück umarbeitet, was sogar Gustaf Gründgens überzeugt. Das Credo von Lenz aus den 60er Jahren lautet: Ein Schriftsteller soll nicht richten, sondern verstehen.

Der als gemäßigter Linker geltende Lenz hat in seiner "Deutschstunde" den Konflikt Macht gegen Kunst ausgetragen. Danach wird er auch zum experimentellen Autor, als er seine Geschichte "Einstein überquert die Elbe bei Hamburg" schreibt, die auf 14 Seiten nur aus 3 Sätzen besteht. Interessant ist, dass Lenz selbst sein "Heimatmuseum" als sein wichtigstes Buch bezeichnet. Und aufsehenerregend war im Jahr 1979, dass Lenz gemeinsam mit Böll und Grass die vorgesehene Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz ablehnte. Im selben Jahr äußert er die Meinung, ein Schriftsteller müsse nicht an einer Revolution teilnehmen, es genüge, wenn er den Weg weise. Vielleicht sollte der Text "Die Phantasie" eine zentrale Position im Werk von Lenz einnehmen - geht es doch hier um das Problem Fantasie oder Realität - was bestimmt das Schreiben?!

Es mag zu den eher beschaulichen Anekdoten der Republik gehören, dass Grass im Jahr 1979 Lenz als Nachfolger von Walter Scheel für das Amt des Bundespräsidenten vorschlug. Gewählt wurde dann Karl Carstens. Eine Formulierung Maletzkes möge besonders hervorgehoben werden: "Mit keinem anderen Menschen - abgesehen von seiner Frau - ist Siegfried Lenz so eng umschlungen durchs Leben gegangen wie mit Marcel Reich-Ranicki." Was Letzteren allerdings nicht daran hinderte, die kürzere Prosa von Lenz gegenüber seinen Romanen hervorzuheben und ihm sein Pathos vorzuwerfen. Lenz selbst bezeichnet sich als "Virtuose der Nachsicht." Dabei bemerkte er in seinen "Mutmaßungen über die Zukunft der Literatur", dass es die Aufgabe des Schriftstellers sei, Missstände aufzudecken, Fragen zu stellen und als Unruhestifter aufzutreten.“

Jedenfalls hat Lenz sein Werk den Verlierern, Benachteiligten, Wehrlosen und Enttäuschten gewidmet. In diesem Sinne möge diese vergleichsweise kurze Biografie zur Lektüre der Lenz’schen Prosa anregen und den unverzichtbaren Stellenwert von Literatur in unserer Gesellschaft weiterhin begreiflich machen.

(KS; 03/2006)


Erich Maletzke: "Siegfried Lenz"
zu Klampen! Verlag, 2006. 204 Seiten.

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Erich Maletzke, Jahrgang 1940, studierte Geschichte und Anglistik und lebt als Journalist und Autor im schleswig-holsteinischen Dithmarschen. Er schrieb Geschichten über Italien, diverse Beiträge über deutsche Schriftsteller und mehr als ein Dutzend Bücher.