Siegfried Lenz: "Der Mann im Strom"
Hinrichs ist ein Mann, der bereits einiges
erlebt und gearbeitet hat und nun mit seinem jungen Sohn Timm und seiner schwangeren
Tochter Lena alleinerziehend dasteht. Da ist es sehr schlecht, dass der Betrieb,
für den er arbeitet, in Konkurs geht und er plötzlich auf der Straße steht.
Denn im Nachkriegshamburg werden zwar immer wieder Leute für verschiedene Arbeiten
gesucht, aber Hinrichs ist Berufstaucher und in einem Alter, in dem er den meisten
potenziellen Arbeitgebern ein zu großes Risiko ist, um ihn neu einzustellen.
Ein Risiko, das er nur allzu gut versteht, wenn er sagt:
"Wenn sie einen Alten einstellen, dann müssen sie ihm mehr geben, dann können
sie ihm weniger sagen, und vor allem wissen sie nicht, wie lange ein Alter noch
bei ihnen bleibt. Bei einem Alten ist zu viel Risiko, der rentiert sich nicht
genug. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn man zum alten Eisen
geworfen wird."
Und um nicht mehr zum alten Eisen gezählt zu werden, fälscht Hinrichs sein
Taucherbuch,
um eine Anstellung bei einer Firma zu bekommen, die den Hamburger Hafen von
den Wracks des Krieges befreit und dringend auf einen sehr erfahrenen Taucher
angewiesen ist, denn der alte Tauchmeister ist vor kurzem bei einem Sprengunfall
verstorben. Frohgemut macht sich Hinrichs ans Werk, wenn er auch das Alter bei
einigen Tauchgängen deutlich spürt. Sein neuer Chef schaut nicht allzu genau
hin, und sein neuer Kamerad Kuddl hat seine eigenen
Dämonen und steht ihm ruhig
und gelassen, aber immer zuverlässig, zur Seite.
Das einzige Problem ist, dass nach einiger Zeit auch Manfred, der Vater von
Lenas Kind und Hinrichs ehemaliger Lehrling, in Hamburg auftaucht und sich wieder
an die Familie hängt. Als Hinrichs ihn verjagt, folgt Lena ihm und treibt den
eher ruhigen Hinrichs damit an den Rand der Verzweiflung. Und als sein Unternehmen
auch noch einen Auftrag vor der schwedischen Küste bekommt, wird es wirklich
kompliziert, denn nun benötigt er Personalunterlagen mit den gleichen Geburtsdaten,
wie er sie in sein Taucherbuch geschrieben hat. Und so muss er ein kleines Vergehen,
um einen Arbeitsplatz zu bekommen, mit einer Reihe von größeren Vergehen fortsetzen,
um diesen auch zu behalten. Dies wird umso schwieriger, als Manfred, der ja
sein wahres Alter kennt, eines Tages bei der gleichen Firma zu arbeiten beginnt
und ebenfalls für den schwedischen Auftrag eingeteilt wird. Manfred ist eine
Person, die in erster Linie stets vorrangig ihren eigenen Vorteil sucht, ohne
Rücksicht auf Verluste.
"Der Mann im Strom", ein bereits zweimal hervorragend verfilmter Roman - mit
der neuesten modernen Adaption von 2006 - ist eine überzeugende Darstellung
des Arbeitsmarkts für ältere Berufstätige in der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg,
die so gar nicht anders wirkt als jene von 2006. Daneben handelt es sich auch
um eine Darstellung einer Welt in Veränderung, in der alte Werte sich auflösen
und neue noch gefunden werden müssen. Und dies geschieht in diesem Roman ohne
jede Hektik und Aufregung. Denn nur wenn man solche Veränderungen be- und durchdacht
angeht, wirken sie nachhaltig, wie auch Hinrichs und Manfred, jeder auf seine
Art, lernen. Genauso, wie ein Taucher an
einem Wrack sich einen genauen Plan machen muss, um diesen dann ganz ruhig
und ohne Hektik und Eile durchzuführen. Eine Lehre, die man auch über Wasser
durchaus anwenden kann.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 06/2006)
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