Siegfried Lenz: "Heimatmuseum"
Politik und Idylle
Eigentlich dürfte man Siegfried Lenz nicht vorwerfen, er sei unpolitisch - thematisiert
er doch immer wieder deutsche Brisanzen. Aber vielleicht doch nicht brisant
genug? Der hier vorliegende Roman erschien erstmals 1981 - feiert somit sein
25-jähriges Jubiläum. Er illustriert die These, dass die
Vertreibung der Deutschen
aus den Ostgebieten lediglich die historische Replik auf Hitlers Expansionsgelüste
war - mithin keine autarke Trauerangelegenheit. Willy Brandts Anerkennung der
deutschen Ostgrenze bekam mit diesem Roman ihre ausgiebige Sanktionierung.
Das Problem scheint
allerdings zu sein, dass Lenz weniger Analytiker als Chronist ist und sein
möchte. Immerhin verkommt Heimat zum Museum, welches der Protagonist Zygmund
Rogalla abfackelt - zu einer Zeit, als die Vertriebenenverbände kompakt mit
revanchistischen Ansprüchen auftraten. Die Brutalität der Geschichte beinhaltet
nämlich den Lernprozess, dass wir nicht endlos den Ursachenverursachern
hinterherrächen dürfen - wir müssen die Konsequenzenverfälscher bekämpfen!
Existenz kann nur als Koexistenz funktionieren - Vergeltung muss der Diplomatie
weichen.
Jeder Heimatbegriff hat mit dem Verdacht der Naivität zu rechnen - Geborgenheit
und Identität müssen sich im Spannungsfeld von Ideologie und Sentimentalität
finden und definieren. Der Verdacht liegt nahe, dass der Heimatbegriff ein Produkt
der Melancholie ist - aber wieviel Politik verträgt eigentlich die Idylle?!
Wir müssen nun im Jahr 2006 nicht speziell rechtfertigen, warum diese Taschenbuchedition
zum 25-jährigen Jubiläum bzw. zum 80. Geburtstag von Lenz herausgebracht wurde
- oder müssen wir?! Handelt es sich doch um einen Autor, der nie so richtig
die wirklich höheren Weihen des deutschen Literaturfeuilletons genießen durfte,
wie etwa Böll, Walser oder
Grass. Und es
handelt sich um einen Roman, der die Konkurrenz zur zugegebenermaßen doch leidlich
anerkannten "Deutschstunde" zu bestehen hat. Und zur fortgeschrittenen Gegenwart.
Welche Relevanz hat heutzutage noch das historische Schicksal Heimatvertriebenheit?!
Ist es die doppelte Tragik
von Lenz, dass er nie so spektakulär wahrgenommen wurde wie
Martin
Walser - und dass er seine Themen zu brav abhandelte, dass er zu wenig zu
polarisieren verstand?! Lenz wurde mittlerweilen fast schon totgeschwiegen. Und
was lernen wir als Leser daraus? Dass wir diesen Autor trotz seiner gewissen
Langatmigkeit endlich ernster nehmen sollten. Auch wenn er quasi zu
naturalistisch schreibt, wo neusachliche Entrüstung angebracht wäre.
Wir dürfen jedenfalls den Autor Lenz nicht unterschätzen! Er ist einer der ganz
wenigen letzten Zeitzeugen, die wir aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
herübergerettet haben möchten. Seine Erzählweise ist durchaus penibel und
fesselnd, sein Thema Heimat gewinnt täglich neue Brisanz auf erweiterter Ebene.
Und die Sorgfalt, mit welcher Lenz Details schildert, bleibt singulär bis
konzentriert auf wenige seiner Generationsgenossen, eben Grass und Walser.
Freilich: es geht Lenz mehr um Situationen, weniger um Botschaften: "Ob wir an
Wiederkehr dachten? Ob wir die Evakuierung nur für eine vorläufige Maßnahme
hielten? Siehst du, Martin, das habe ich mich auch oft gefragt: ob wir im
Augenblick des Aufbruchs mit einer Rückkehr rechneten" (zit.
"Heimatmuseum").
Lenz führt unsere Gedanken zurück - das Gedächtnis
"sucht und sammelt Erinnerung in der unsicheren Stille des Niemandslands" - so
endet der Roman. Peter Mohr schrieb in der "Wiener Zeitung" dazu: "Ein
leidenschaftliches Plädoyer für einen nichtideologischen Heimatbegriff" - und so
wollen wir diesen Roman auch (wieder) lesen.
(KS; 02/2006)
Siegfried Lenz: "Heimatmuseum"
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Siegfried Lenz kam am 17. März 1926 im
ostpreußischen Lyck zur Welt. Er zählte zu den bedeutendsten und
meistgelesenen
Schriftstellern der Nachkriegs- und
Gegenwartsliteratur. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet;
u.A. dem "Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main",
dem "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" und dem "Lew-Kopelew-Preis
für Frieden und Menschenrechte 2009".
Siegfried Lenz verstarb am 7. Oktober 2014 im Alter von 88 Jahren.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Die Erzählungen"
Insgesamt über 150
Kostbarkeiten deutscher Erzählliteratur. mit über 50 bisher in Buchform
unveröffentlichte Erzählungen.
Die Berühmten: von "So zärtlich war Suleyken"
über "Das Feuerschiff" und "Kriegsende" bis "Zaungast". Die bisher in Buchform
unveröffentlichten: aus dem eigenen Archiv, aus den Archiven der Welt, der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Zeit" und des "Norddeutschen Rundfunks"
u. v. m. (Hoffmann und Campe)
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"Gelegenheit zum Staunen. Ausgewählte Essays"
Die wichtigsten Essays von Siegfried Lenz zu
Literatur, Gesellschaft und Politik. Ausgewählt und mit einem Vorwort von
Heinrich Detering. Der Modus des Staunens ist eine Grundhaltung, die das
essayistische Werk von Siegfried Lenz durchzieht. Von jeher begegnet er der
Welt und der Weltliteratur mit großer Offenheit und Empathie. Deshalb sind
seine Texte zu literarischen und politischen Themen wie auch seine
autobiografischen Ausführungen stets Gelegenheitswerke im besten Wortsinn.
"Und vielleicht ist dies das überzeugende Geschenk des Müßiggangs: die
Gelegenheit zum Staunen, die uns gewährt wird. Wer aber staunt, wer sich
selbst aus bescheidenem Anlaß wundert, der beginnt unweigerlich zu fragen, und
wer Fragen stellt, wird zu Schlussfolgerungen gelangen: Der
Müßiggang wird zu
einem aufregenden Zustand." (Hoffmann und Campe)
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"Selbstversetzung. Über Schreiben
und Leben"
Zu seinem 80. Geburtstag gewährt Siegfried Lenz dem Leser
einen ganz persönlichen Blick auf sein Werk und sein Leben. Ein Teil der hier
versammelten autobiografischen Geschichten und Essays ist in Buchform bisher
nicht erschienen.
Lenz hat einmal erklärt, wie der
Zusammenbruch
des Dritten Reiches ihn zum zentralen Problem seiner Werke geführt hat:
"Dann wurden die Mächtigen machtlos, die Meister der Gewalt büßten ihre Herrschaft
ein, und seit damals hat mich dieser Augenblick immer wieder beschäftigt: um
selber verstehen zu lernen, was mit einem Menschen geschieht, der 'fällt', abstürzt,
verliert, habe ich einige Geschichten geschrieben, in denen der Augenblick das
'Falls' dargestellt wird. Schreiben ist eine gute Möglichkeit, um Personen,
Handlungen und Konflikte verstehen zu lernen." (Hoffmann und Campe)
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"Deutschstunde"
Siggi Jespen, Insasse einer Hamburger Besserungsanstalt, hat in der Deutschstunde
versagt und muss den Aufsatz "Die Freuden der Pflicht" nachliefern. Dem in seiner
Zelle Eingeschlossenen drängt sich das Bild des Vaters in die Erinnerung, wie
dieser als Polizeihauptwachtmeister in Rugbül, dem "nördlichsten Polizeiposten
Deutschlands", dem international geachteten Maler Max Ludwig Nansen im Jahre
1943 das Malverbot überbringt. Der Vater war außerdem beauftragt, die strikte
Einhaltung des Verbots zu überwachen.
Siggi, damals zehn Jahre alt, hatte heimlich gemalte Bilder des Malers in Sicherheit
gebracht, um sie vor dem Zugriff des Vaters zu schützen, der bis über das Kriegsende
hinaus an seiner nun schon krankhaften Pflichttreue festhält.
Um diese Geschichte gegensätzlicher Pflichtauffassungen gruppiert sich eine
Fülle von Nebenhandlungen, die sich wie selbstverständlich in den weitgespannten
Rahmen einfügen.
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"Die Auflehnung"
Unterwerfung oder Auflehnung? Diese Frage stellt Siegfried Lenz in seinem Roman.
Sie stellt sich auch den beiden Brüdern Frank und Willy Wittmann. Frank ist
Teichwirt. Eines Tages sieht er seine Existenz und sein Lebenswerk von Rivalen
bedroht, die allerdings das Recht auf ihrer Seite wissen. Frank weigert sich,
diese Tatsache zu akzeptieren. Er lehnt sich auf. Sein Bruder Willy ist ein
international anerkannter Teekoster. Als er entdeckt, dass sein Urteilsvermögen
nachlässt, kündigt er bei seiner Firma und zieht sich zurück. Gleichwohl will
er den Verlust seiner Fähigkeit nicht akzeptieren und forscht nach den Ursachen.
Dabei muss er die Erfahrung machen, dass es Auflehnung gibt, die sinnlos ist.
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"Zaungast"
Sieben Reiseerfahrungen, von Siegfried Lenz' feinem Humor getragen und seiner viel
gerühmten erzählerischen Souveränität. Sieben Erkundungen eines Zaungastes -
endlich in einem Band vereint.
Zaungäste stehen außerhalb des Geschehens;
meist verharren sie in gesicherter Distanz, bewahren sich eine Reserve gegenüber
den Ereignissen und nehmen das Außer- und Ungewöhnliche oft präziser wahr als
diejenigen, die sich inmitten des Getümmels bewegen. Siegfried Lenz’ hier
versammelte Reiseerzählungen nehmen genau diese Perspektive ein.
Er entführt seine Leser
nach Japan; er sucht
in Australien nach einem legendären Vogel, der
durch sein Gelächter aufzufallen pflegt; er erleidet tapfer die kalorienreichen
Freuden einer jütländischen Kaffeetafel und den schweißtreibenden Aufenthalt in
einer finnischen Sauna ... humorvolle Erkundungen des Fremden, die zeigen, dass
der Standort des Zaungastes oft vorteilhaft ist. (Hoffmann und Campe)
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"Der Mann im Strom" zur Rezension...
"Schweigeminute" zur Rezension ...
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