Boris Cyrulnik: "Mit Leib und Seele"

Wie wir Krisen bewältigen


Schon mit seinen zuvor in Deutschland erschienenen Büchern "Die Kraft, die im Unglück liegt. Von unserer Fähigkeit, am Leid zu wachsen" und "Warum die Liebe Wunden heilt" hat sich der französische Psychologe und Therapeut Boris Cyrulnik unter den zahllosen Autoren von Therapie- und Ratgeberbüchern einen herausragenden Namen gemacht. Boris Cyrulnik wurde 1937 in Bordeaux als Sohn von aus der Ukraine eingewanderten Juden geboren. Beide Eltern starben in den Konzentrationslagern der Nazis. Boris Cyrulnik überlebte nur knapp und widmet seither sein Leben der Frage, wie er selbst und durch seine Forschungen und Bücher auch andere Menschen Leid, das sie erfahren haben, bewältigen und sogar daran reifen können, und Wunden, die ihnen das Leben oder andere Menschen geschlagen haben, konstruktiv heilen lassen können.

Cyrulnik ist Neuropsychiater, der auf ganz besondere Weise die Ergebnisse der modernen Hirnforschung in die therapeutische Arbeit integriert hat, und lehrt als Verhaltensforscher und Psychoanalytiker an der Universität in Toulon.

Cyrulnik verbindet seine eigenen traumatischen Erfahrungen mit seinen Forschungsergebnissen und geht auch in "Mit Leib und Seele. Wie wir Krisen bewältigen" der für immer mehr Menschen in unseren modernen und krankmachenden Gesellschaften bedrängenden Frage nach, wie man trotz manches Mal schwerer Schicksalsschläge, aber auch "ganz normaler" Unglücksfälle wie Trennung, Arbeitslosigkeit, Tod eines nahestehenden Menschen oder einer Depression, die die Lebensfreude zu nehmen droht, sein Leben in die Hand nehmen, es meistern kann.

"Wenn Sie glücklich sein wollen, dürfen Sie nicht um jeden Preis dem Unglück ausweichen. Eher sollte man danach suchen, wie man es meistern kann." Mit Belegen und Beispielen aus der Hirnforschung zeigt Cyrulnik überzeugend, wie man Krisen angehen und bewältigen kann, indem man zunächst einmal seine inneren Ressourcen nutzt. Denn die Fähigkeit des Menschen zum Glücklichsein ist ein Produkt aus der genetischen Veranlagung des Menschen und seinem sozialen Umfeld. Für Cyrulnik ist der Schlüssel zur Überwindung von Krisen, die den Menschen treffen, früher oder später jeden von uns, die seelische Widerstandskraft zu mobilisieren , die jeder besitzt; der Eine mehr, der Andere weniger. Die Organisation und Gestaltung eines entsprechenden sozialen Umfelds kann in den meisten Fällen helfen, eine Krise, in die wir hineingeraten sind, so zu bewältigen, dass wir nicht nur daran reifen und durch sie menschlicher werden.

Cyrulnik belegt dies in seinem Buch mit zahlreichen Beispielen aus seiner therapeutischen Praxis und macht dem Leser Mut. "Du kannst die Fähigkeiten, die du brauchst, um aus deiner Krise herauszukommen, erlernen. Du kannst darauf bauen, dass du das Wesentliche dafür schon in Dir trägst."

Das ist, mit den Worten des Rezensenten ausgedrückt, des Autors Botschaft, mit der er Menschen Mut machen möchte, ihr Leiden zu überwinden und ihr eigenes Leben wieder in die Hand zu nehmen. Dass Glücklichsein und die Erfahrung von Glück durch das Leiden hindurch erlebt werden, ist keine neue Erkenntnis, es ist aber wohltuend, inmitten all der medialen Botschaften, die Glück versprechen, indem sie Leiden ausblenden und verschweigen und so die Menschen nicht nur im Unglück halten, sondern auch noch abhängig machen, eine solche ernsthafte Stimme zu hören.

Es lohnt sich, ernsthaft nach seinem Glück zu suchen. Es lohnt sich, das Leiden anzunehmen und seine Botschaft für sich selbst zu entschlüsseln ohne darin steckenzubleiben.

(Winfried Stanzick; 11/2007)


Boris Cyrulnik: "Mit Leib und Seele. Wie wir Krisen bewältigen"
(Originaltitel "De chair et d’âme")
Aus dem Französischen von Hainer Kober.
Hoffmann und Campe, 2007. 239 Seiten.
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