Nicola Lecca: "Hotel Borg"
Im
Sommer und Herbst 2007 erschienen zahlreiche Romane über
Musiker und Musik, genannt seien hier nur
Pascal Merciers "Lea", Peter Goldsworthys "Maestro" und
Peter
Henischs "Eine sehr kleine Frau". Unter all diesen Büchern
ragt Nicola Leccas "Hotel Borg" auf besondere Weise heraus, vielleicht
auch deshalb, weil
sich der Autor von Anfang an der Grenzen seines Vorhabens bewusst ist:
"Being beautous, das mag die Musik ausdrücken, in der
Sprache ist Schönheit nicht auszudrücken."
Mit dieser Notiz der Dichterin
Ingeborg
Bachmann eröffnet Nicola Lecca einen Roman
über einen jungen Mann aus Schweden namens Oscar, der sein
Land verlässt, um in London im Hotel "Dorchester", einem der
besten am Platz, zu arbeiten. Oscar liebt die Musik, und so besucht er
in seiner Freizeit Konzerte in der "Royal Festival Hall" und lernt mit
der Zeit alle berühmten Dirigenten und Solisten kennen.
Als Oscar eines Tages erfährt, dass der bekannte Alexander
Norberg im "Dorchester" absteigen wird, versucht er verzweifelt, eine
Karte für dessen seit über einem Jahr ausverkauftes
Konzert zu ergattern. Das gelingt ihm nicht, doch er verfolgt die
Kritiken in der Presse und erfährt in diesem Zusammenhang,
dass die Berliner Philharmoniker Norberg zum Chefdirigenten ernannt
haben, dieser aber zum großen Erstaunen der
Fachöffentlichkeit abgelehnt hat. Es ist von
Gerüchten die Rede, Norberg plane vor seinem
endgültigen, für die meisten Musikkritiker
völlig unverständlichen Rückzug, ein
allerletztes Konzert. Oscar nimmt sich vor, bei diesem Ereignis auf
jeden Fall dabei zu sein.
Ende des ersten Aktes mit dem Titel "Langeweile".
Im zweiten Akt mit dem Titel "Freiheit" schildert
Nicola Lecca Alexander Norbergs Planungen seines letzten Konzertes. Er
will das "Stabat Mater" von Pergolesi aufführen, wozu er zwei
Menschen braucht, und nur diese beiden dürfen es sein, wenn
sein Konzert so werden soll, wie er sich das vorstellt. Er braucht
Marcel Vanut, die weltweit beste Knabenstimme und Rebecca Lunardi, die
er von früher kennt, eine perfekte Sängerin kurz nach
dem Höhepunkt ihrer beispiellosen Karriere.
Norberg gewinnt beide für seine wirklich
außergewöhnliche Konzertidee. Es wird keine Gagen
geben, und nur ein kleines mittels Los aus dem örtlichen
Telefonbuch ausgewähltes Publikum aus Einwohnern Reykjaviks
wird der Aufführung in einer kleinen Kirche dort beiwohnen, 52
Menschen an der Zahl. Ende des zweiten Aktes.
Im dritten Akt des ersten Teils des Buches mit dem Titel "Reykjavik"
beschreibt Nicola Lecca, wie bis in die hohe isländische
Politik hinein das Vorhaben Alexander Norbergs zunächst
gewaltige Irritationen und dann hektische Geschäftigkeit
auslöst. Weil nur 52 zufällig ausgewählte,
jedoch öffentlich bekannt gemachte Bürger der
Hauptstadt das Konzert besuchen dürfen, setzten ebenso
außergewöhnliche wie fantasievolle
Aktivitäten ein, mit der alle möglichen Menschen
versuchen, Karten zu ergattern oder sie den Gewinnern abzukaufen.
Die Vorbereitungen für das Konzert sind intensiv und stehen
manchmal auf der Kippe, weil der Maestro so ausgefeilte Vorstellungen
von der absoluten Perfektion hat, die seine letzte Aufführung
haben soll, dass alle daran zu verzweifeln drohen. Doch auch bei den
ausgewählten Zuhörern des bevorstehenden Konzerts
geht einiges drunter und drüber ...
Auch Oscar, jener Musikbegeisterte aus Schweden, ist
nach Island
gekommen. Auf abenteuerliche Weise gelingt es ihm tatsächlich,
von einem der 52 Isländer eine Karte zu erhalten, und das
Konzert findet statt.
Es wird nicht nur für Alexander Norberg, sondern auch
für Rebecca Lunardi und Marcel Vanut der letzte
öffentliche Auftritt ihres Lebens.
Nicola Lecca hat aus einer für ihn eher zufälligen
aber prägenden Begegnung mit Pergolesis "Stabat Mater" und
seiner Liebe zu Island ein außergewöhnliches Buch
gemacht, das in seiner Komposition einem Theaterstück gleicht
und in seiner Melodie einer Sonate.
Für Menschen mit Musikkenntnis ist dieser Roman sicher ein
großer Genuss; musikalischen Laien wie
dem Rezensenten hingegen wird ein wunderbarer Eindruck von der
gewaltigen Kraft und Kunst der Musik sowie ihrer Wirkung auf Menschen
vermittelt.
Ein empfehlenswertes Buch, das in einer Reihe steht mit den anfangs
erwähnten Romanen.
(Winfried Stanzick; 09/2007)
Nicola
Lecca: "Hotel Borg"
(Originaltitel "Hotel Borg")
Aus dem Italienischen von Sylvia Höfer.
C. Bertelsmann, 2007. 251 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Nicola Lecca, 1976 in Calgari geboren, Autor und Musikkritiker, wurde bereits mehrfach in Italien ausgezeichnet und nominiert. "Hotel Borg" ist sein drittes Buch.