John Le Carré: "Absolute Freunde"
In eine spannende Geschichte verpackt, beleuchtet John Le Carré abermals einige Jahrzehnte europäischer Geschichte anhand der Figur eines Agenten ...
Ted Mundy arbeitet als
Fremdenführer am Linderhof und betreut hier vor allen Dingen
englischsprachige Reisegruppen, wobei er sich gelegentlich mit einer
albernen Melone, mit einem Union Jack darauf, auf eine Kiste stellt, wie
ein Verrückter im Speaker's Corner im Londoner Hyde Park, und über
geschichtliche Ereignisse und aktuelle Tagespolitik - zurzeit meist den
Irakkrieg - herzieht. Er ist bei seinem Publikum sehr beliebt und
niemand kann ahnen, dass dieser sehr englische, exzentrisch wirkende
Gentleman mehrere geheime Leben führt.
Eines dieser Leben findet mit Zara statt, einer ehemaligen türkischen
Prostituierten. Ted wohnt schon einige Zeit mit Zara und ihrem Sohn
Mustafa zusammen und folgt dabei seiner schon in der Jugend begründeten
Passion für den muslimischen Glauben. Aber dies ist nur ein Teil seines
Lebens, der gewissermaßen "halböffentlich" ist, und von dem man durch
einfaches Nachfragen ohne Weiteres erfahren könnte.
Eines Tages erblickt Ted in einer Touristengruppe einen alten Bekannten
und dieser signalisiert ihm, sich nach der Arbeit mit ihm an einem
entlegenen Ort zu treffen. Neugierig folgt er dieser seltsamen Gestalt,
und am Rande eines Volksfestes in einem nahe gelegenen Dorf treffen sie
nach zehn Jahren wieder aufeinander - Ted Mundy und Sasha - zwei
Veteranen der geheimen Kriege des "Kalten Krieges". Während die Beiden
aufeinander zugehen, erinnert sich Ted an die Schritte seines Lebens,
die ihn schließlich an diesen Ort geführt haben. Seine mutterlose
Kindheit als Sohn eines britischen Offiziers
in
Pakistan mit der späteren Reise nach England, wo er in der Schule
über die Beziehung zu der osteuropäischen Iris und durch den Kontakt zu
seinem Deutschlehrer Dr. Mandelbaum auf das Eintauchen in die
linkspolitische Szene vorbereitet wurde. Die Teilnahme an
Demonstrationen und schließlich, nach Abschluss seiner schulischen
Ausbildung, der Entschluss, seine Studien der Germanistik in Berlin zu
vertiefen, wo er durch Iris' Empfehlung mit Sasha in Kontakt kommt,
einem kleinen, körperlich leicht behinderten Mann, der radikale Ideen
vor sich herträgt wie ein Banner, das ihn größer erscheinen lässt als
die Menschen um ihn herum. Mit ihm verbindet Ted bald eine seltsame
Freundschaft, die nachdem Ted Sasha bei einer Demonstration das Leben
rettet, eine absolute Qualität bekommt. Gleichzeitig bewirkt dies aber
auch Teds Ausweisung aus Deutschland, und er kehrt nach einigen Reisen
durch die Welt - immer im Dunstkreis der linken Szene - nach England
zurück, wo er einen Job im British Council bekommt, der ihn auch
gelegentlich auf die andere Seite des "Eisernen Vorhangs" bringt. Hier
begleitet er einmal eine Theatergruppe nach Polen und in die DDR, wobei
zu seinem Entsetzen eine der Schauspielerinnen einen polnischen
Kollegen, in den sie sich verliebt hat, im Tourbus mitschmuggelt, was
der Gruppe in der DDR bekannt wird. Als Ted gerade darüber nachsinnt,
wie sich dieses Problem lösen lässt, sieht er sich auf einmal Sasha
gegenüber, der die Sache für ihn regelt, weil es sich bei diesem Polen
in Wahrheit um einen Ostagenten handelt. Dieser gibt ihm auch Material
des KGB mit, das Ted dem MI6 übergeben soll, um so eine
Doppelagententätigkeit mit Sasha zu beginnen. Und so nimmt Teds neues
geheimes Leben als Vertreter des Establishments, gegen das er in seiner
bewegten Jugend so vehement aufgetreten ist, seinen Anfang. Er bekommt
seine eigene Dienststelle nebst eigenem Personal und wird mehrfach
"geheim" ausgezeichnet, bis zu dem Tag,
als
die Berliner Mauer fällt, in deren Schatten er seine Jugendzeit
verbracht hat.
Nun ist Sasha ein Jahrzehnt später wieder zu ihm gestoßen - kurz nach
dem Angriff auf das World Trade Center - um ihn in eine neue Form von
geheimer Auseinandersetzung zu ziehen. Teds mittlerweile eher behäbiges
Leben verwandelt sich in kürzester Zeit wieder in eine Welt aus Rauch
und Spiegeln, in der er die Orientierung zu verlieren beginnt.
Ein Roman von umfassender psychologischer und historischer Tiefe, der
dem Leser Einiges abverlangt, wobei sich die intellektuelle Anstrengung
aber auf jeden Fall lohnt.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 12/2003)
John
Le Carré: "Absolute Freunde"
(Originaltitel "Absolute
Friends")
2004. Buch oder Hörbuch bestellen
Lien:
https://www.absolutefriends.com/home.htm
John Le Carré kam am 19.
Oktober 1931 als David John Moore Cornwell in Dorset, England, zur
Welt. Im Alter von 16 Jahren begann er in Bern Germanistik und Neue
Sprachen zu studieren; ein Studium, das er 1956 am Lincoln College in
Oxford abschloss.
Aus seiner weiteren beruflichen Laufbahn lassen sich die Elemente
seiner Romane ableiten: In den Jahren 1958/59 war er beim
Nachrichtendienst der Armee in Wien tätig, 1959 trat er in den
Auswärtigen Dienst Großbritanniens ein, von 1960 bis 1963 war er
Sekretär an der Britischen Botschaft in Bonn. Sein erster Roman, "Call
for the Dead" (dt. "Schatten von gestern"), erschien 1961, 1962 folgte
"A Murder of Quality" (dt. "Ein Mord erster Klasse"). Aufgrund des
großen Erfolges beider Titel widmete sich Cornwell fortan gänzlich der
Schriftstellerei, und zwar unter dem Pseudonym "John Le Carré".
1963 erschien der Roman "The Spy Who Came in from the Cold" (dt. "Der
Spion, der aus der Kälte kam").
Im Jahr 1966 kehrte Le Carré nach langjährigen Aufenthalten in Wien
und
Kreta nach England zurück. Bald gehörte er der Riege der weltweit
bekanntesten Autoren von Spionageromanen an. Seine Erfahrungen
anlässlich eines Aufenthaltes
in der Sowjetunion im Jahr 1987
inspirierten ihn zu "The Russia House" (dt. "Das Russlandhaus").
Weitere bekannte Titel von John Le Carré sind "The Night Manager" (dt.
"Der Nachtmanager") und "Our Game" (dt. "Unser Spiel").
John Le Carré starb am 12.
Dezember 2020.
Ergänzende Buchtipps:
"Der Spion, der aus der
Kälte kam"
Ein Roman, der jene Welt der Agenten und Überläufer des Kalten
Krieges einfängt,
die John le Carré durch seine Tätigkeit im britischen Geheimdienst aus
persönlicher Anschauung kannte.
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"Agent in eigener Sache"
Der legendäre George Smiley, einst Chef des britischen
Geheimdienstes und nun im Ruhestand, wird noch einmal aktiv, und zwar
in eigener Sache. Es kommt zur Abrechnung mit Karla, dem einzigen ihm
ebenbürtigen Gegner. George Smiley erhält von seiner ehemaligen
Behörde noch einmal einen delikaten Auftrag. Doch diesmal soll er
nichts aufdecken, sondern helfen, etwas zu vertuschen, Spuren zu
verwischen, die darauf hindeuten könnten, dass der Tod eines alten
Agenten in einem Londoner Park mehr gewesen sein könnte als ein
bedauerlicher Unglücksfall. Aber Smiley spielt nicht mit, er setzt
sich über die Dienstanweisungen hinweg und beginnt allein zu
ermitteln. In seiner eigentlich längst beendeten Karriere ist dies der
seltsamste und erregendste Fall, denn Smiley wird Agent in eigener
Sache. Die erneute Auseinandersetzung mit dem einzigen ihm
ebenbürtigen Gegner, Karla, führt ihn auf einer heißen Fährte von
London über Hamburg, Paris und die
Schweiz bis zum Showdown in Berlin.
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"Ein blendender Spion"
Magnus Pym, Angehöriger der britischen Botschaft in
Wien und dort für Geheimaufträge zuständig, ist spurlos
verschwunden. Seine Frau, sein Vorgesetzter und die Londoner
Geheimdienststellen werden zunehmend unruhig. Und auch andernorts
beginnt man, sich Sorgen zu machen. Ein komplexer, stark
autobiografischer Roman über die Liebe als Grundvoraussetzung für den
Verrat - le Carrés persönlichstes Buch.
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"Das Russlandhaus"
Das Russlandhaus ist die fesselnde Geschichte des englischen
Verlegers Barley, der durch ein Buch mit
Aphorismen Goethes, in dem
geheime Lagepläne versteckt sind, zum Agenten wird. Ein höchst
ungewöhnlicher Spionageroman, mit dem John le Carré sich weit über die
Grenzen des Genres hinausbegibt.
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"Der Schneider von Panama"
Da der Prominentenschneider Pendel in Panama über seine
Verhältnisse lebt, stellt er leichte Beute für den Informantenanwerber
Osnard dar. Dieser soll vor der Rückgabe des Panama-Kanals von den USA
am 1.12.1999 das Terrain sondieren. Der Schneider, der buchstäblich
hautnah an die Großen des kleinen Staates herankommt, scheint Osnard
der ideale Aushorcher zu sein. Und Pendel setzt seine ganze Fantasie
ein, um die Informationen zu bekommen, die man von ihm erwartet. Bis
er in einen Strudel für ihn bedrohlicher Ereignisse gerät.
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"Unser Spiel"
Tim Cranmer, Ich-Erzähler der an überzeugend gezeichneten Figuren
reichen Geschichte, ist ein vorzeitig "ausgemusterter"
Geheimdienstmann, der seinen Kalten Krieg gekämpft hat und nun mit
seiner jungen Geliebten Emma auf seinem Landgut in Somerset lebt. Doch
dann taucht Larry Pettifer auf, ewig linker Träumer,
Russlandspezialist und einst Tims Doppelagent. Rivalitäten, die bis in
die gemeinsame Schulzeit zurückreichen, aber auch in Larrys
Doppelagentenrolle begründet sind, gab es bei ihnen immer, doch nun
steht die attraktive Emma zwischen ihnen. Als Larry plötzlich
verschwindet und mit ihm Emma, nimmt Tim ihre Fährte auf. Die
nervenzerreißende Suche nach dem Verräterpaar, die sich für Tim mit
der Aufarbeitung der eigenen verräterischen Vergangenheit verbindet,
führt ihn durch das auseinanderbrechende Russland in den Kaukasus zu
den Inguschen, deren Sache Larry, von westlicher Gleichgültigkeit
angewidert, zu seiner eigenen gemacht hat. In einem furiosen Finale
begegnet Tim dort den Rebellen und beginnt, Larry und Emma zu
verstehen.
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"Der
ewige Gärtner"
Mitten in
der Wüste von Kenia, am Ufer des Turkanasees, wird die junge
schöne Tessa Quayle ermordet aufgefunden. Ihr Begleiter und
angeblicher Geliebter, der afrikanische Arzt Arnold Bluhm, ist spurlos
verschwunden. Tessas Ehemann Justin, aufstrebender Diplomat bei der
britischen Botschaft in Nairobi und leidenschaftlicher Hobbygärtner,
macht sich auf die Suche nach dem Mörder seiner Frau. Schon bald muss
er erkennen, dass die rebellische Tessa einem Komplott auf der Spur
war und damit nicht nur die mächtige Pharmaindustrie und eine obskure
afrikanische Hilfsorganisation gegen sich aufbrachte, sondern den
Unmut höherer britischer Regierungskreise auf sich zog. Verfolgt und
auf sich gestellt, dringt Justin immer tiefer in das Dickicht einer
groß angelegten Verschwörung ein. Seine Suche führt ihn über das
Außenministerium
in
London und eine Organisation in Frankfurt quer durch Europa und
Kanada und wird schon bald zu einer Odyssee voller Schrecken und
Gewalt. Skrupellose Machenschaften und merkwürdige Allianzen tun sich
auf. Doch je mehr Justin über Tessas Projekt erfährt, desto klarer
wird ihm das eigentliche Ziel seiner Reise: Die Entdeckung, wer die
Frau, die er nie Zeit genug hatte zu lieben, in Wirklichkeit war.
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"Schatten von gestern"
Der Nachrichtenoffizier George Smiley wurde soeben von seiner Frau
verlassen und ist froh, sich mit einem neuen, angeblich leichten
Routinefall in die Arbeit stürzen zu können: Ein Beamter des
Außenministeriums, der des Verrats verdächtigt worden war, hat
Selbstmord begangen. Doch ist Sam Fennan wirklich freiwillig aus dem
Leben geschieden? Obwohl der Abschiedsbrief eindeutig klingt, hat
George Smiley seine Zweifel.
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