Marek Lawrynowicz: "Der Teufel auf dem Kirchturm"


Der polnische Autor Lawrynowicz erzählt auf umwerfend komische und skurrile Art seine turbulente und opulente Familiengeschichte, ausgehend von der Jugendzeit seiner beiden Großväter, - Józef später verheiratet mit Großmutter Anna, und dem zerstreuten Großvater Antoni, bald verehelicht mit Großmutter Maria in den Kriegswirren Polens, Litauens und Russlands.

Die Veränderungen in den Familiengeschichten der Generationen beschreibt er ebenso wie die Wandlungen der Städte Wilna, Lemberg, und Warschau, in denen die Handlung spielt. In der nächsten Generation kommen diverse Onkeln, Tanten und natürlich die Eltern des Protagonisten dazu. Einer der Großväter, Antoni, macht Karriere bei der Polizei, wo ihm seine poetische Veranlagung zugute kommt und heiratet nach dem Tod seiner Ehefrau Großmutter Jadwiga, die seinen Kindern eine gute Mutter wird. Der andere, Józef, ist Maschinist bei der Eisenbahn.

Obskure und bizarre Begebenheiten unterhalten in diesem Roman, die manchmal an die schelmischen Situationen des verschmitzten Soldaten Schwejk erinnern - warum ein emeritierter Hauptmann der Artillerie Gott vor Gericht stellen will und wie dieser den Menschen in Kolonia Wilénska, der Eisenbahnkolonie, seine Gerechtigkeit, Weisheit und Allmächtigkeit zeigt, oder warum der Vater als Vierzehnjähriger eines Tages auf einem Stuhl sitzend einschlief und erst sieben Monate später wieder erwachte.

Dem Geheimdienst NKWD entgeht kaum etwas und für die Familie geschieht etwas nicht Nachvollziehbares, als ein Onkel Kommunist wird und es zum Skandal kommt, - der eigene Vater muss ihn verhaften und wird, seines Amtes enthoben, in ein anderes Kommissariat versetzt. Gleichzeitig gründet ein anderer Onkel voller Inbrunst Kirchenchor um Kirchenchor sowie Kreise der katholischen Jugend in ganz Wilna und Umgebung und wird beinahe zum Heiligen, während der Vater des Erzählers seine Leidenschaft für das Schreiben von Gedichten und gereimten Episteln entdeckt, nach dem bestandenen Abitur "Herr Referent" wird und sich die Handlung insgesamt zusehends turbulenter und spektakulärer entwickelt.

Voller Humor und Ironie erzählt Marek Lawrynowicz, geboren 1954, aus der abenteuerlich-dramatischen polnischen Geschichte, von der Flucht eines Onkels unter der deutschen Besatzung, der doppelten Identität zweier Verwandter, von Freundschaft, Bürokratie und Verrat, Poesie, Familienbanden, Krieg und Liebe.
Niemals wird dieses Buch langweilig oder trivial und nie kommt dem Autor sein satirischer Blick voller Witz und Empathie abhanden. Dass er sich seinen Lebensunterhalt als Arbeiter, Konditor und Buchhändler verdiente, bevor er sich dem Schreiben von Satiren zuwandte, kommt seinem erzählerischen Talent zugute. Er veröffentlichte bereits eine Gedichtsammlung, einen Band mit satirischen Erzählungen, mehrere Romane und arbeitet als Redakteur beim Warschauer Rundfunk, wo er für den Bereich Satire zuständig ist.

(Gabriele Klinger; 06/2004)


Marek Lawrynowicz: "Der Teufel auf dem Kirchturm"
Übersetzt von Renate Schmidgall.
Gebundene Ausgabe:
C.H. Beck, 2000. 208 Seiten.
ISBN 3-406-46573-0.
ca. EUR 18,50. Buch bestellen
Taschenbuch:
dtv, 2004. 208 Seiten.
ISBN 3-423-13191-8.
ca. EUR 9,50. Buch bestellen

Ergänzende Buchempfehlung:

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Unweit von Warschau, im nicht sehr aufregenden Falenica, spielt sich die Jugend vom Ich-Erzähler und seinen Freunden Poldek, Ziantek, Borówa und Szpunt ab, zwischen dem Kino "Star" und der Schule, den Stränden an der Weichsel und dem Bahnhof, in den rigiden 1960er Jahren der Gomulka-Ära. Der Erzähler hält Rückschau, und er wäre nicht der Erzähler eines Romans von Marek Lawrynowicz, wenn diese Rückschau nicht überwiegend komisch und grotesk ausfiele, auch wenn sich ein melancholischer Unterton hineinmischt.
Aber was die "halbstarken" Freunde im Kampf gegen die Schule, den sadistischen Direktor, schlechte Filme und die Kleinstadtlangeweile durchfechten, durchgerüttelt von den Anforderungen der Erotik und den ersten Liebesabenteuern, ist hinreißend erzählt, mit kluger Bosheit und Menschlichkeit, voll unvergesslicher Gestalten und burlesker Situationen, ob es sich um ein aus dem Ruder laufendes Fußballspiel, den Lehrer "Hierham" und die schönen Knie der sechzehnjährigen Kasia Wiecek oder den Schulköter handelt, der nach ausdauerndem Training auf Gomulkas Spitznamen hört. (C.H. Beck)
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