Bernd Heinrich: "Laufen - Geschichten einer Leidenschaft"

"Jeden Morgen wird in Afrika eine Antilope wach. Sie weiß, sie muss schneller laufen als der schnellste Löwe, oder sie wird getötet. Jeden Morgen wird in Afrika ein Löwe wach und weiß, er muss schneller laufen als die schnellste Antilope, oder er wird verhungern. Es spielt keine Rolle ob du ein Löwe oder eine Antilope bist - wenn die Sonne aufgeht, solltest du besser laufen."


Eine Liebeserklärung an das Laufen - ein Buch voller Leidenschaft und Genuss. Bernd Heinrich, der 1981 den Ultramarathon über 100 km in einer Rekordzeit gewonnen und auf den Zweiten eine Dreiviertelstunde Vorsprung gehabt hat, erzählt auf mitreißende Weise die Geschichte seiner leidenschaftlichen Beziehung zum Laufen. Bereits als Kind, in Deutschland aufgewachsen, erkundet er laufend seine Umgebung und ist damals schon fasziniert von der Tierwelt und den unterschiedlichen Fortbewegungsmöglichkeiten. Diese Faszination ist geblieben, und so interessieren den Naturforscher die unglaublichen Ausdauerleistungen der verschiedenen Tierarten. In diesem Buch versucht er zu erklären, wie es Zugvögeln oder Kamelen möglich ist, derartig weite Strecken zu überwinden. Aber er zieht auch einige Schlüsse aus der Erforschung der Verhaltensweisen von Insekten. Aus einer Studie und der Feldforschung an Tigerkäfern erkennt er, dass kalte Käfer viel langsamer laufen als warme. Viele dieser Erkenntnisse helfen Bernd Heinrich, seinen Laufstil zu optimieren, und so sagt er voller Stolz: "Ich habe nie den Hauch eines leistungssteigernden Wirkstoffes zu mir genommen, nie wieder ein Gewicht angefasst. Um ein Läufer zu werden, bin ich einfach gelaufen."

Trotz gelegentlicher Rückschläge und Schmerzen, die Laufen vorübergehend unmöglich machen, bleibt diese Liebe bestehen. In seinen Laufpausen konzentriert sich Heinrich intensiver auf seine Forschung, um danach gestärkt seiner Leidenschaft wieder frönen zu können und wichtige Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Es gelingt dem Autor, dem Leser auf verständliche Art viele verblüffende Ergebnisse aus der Tierwelt nahe zu bringen, Vergleiche zwischen Hummeln und Hunden anzustellen, athletische Frösche in den Blickpunkt zu rücken oder der Frage auf den Grund zu gehen "Warum Bären direkt nach dem Winterschlaf wieder voll aktiv sein können".

Eindrucksvoll auch die Geschichte der Indianer des Navajo-Stammes, denen es möglich war Rotwild oder Antilopen so lange zu hetzen, bis die Tiere erschöpft waren. Diese Art der Jagd ohne zusätzliche Hilfsmittel war sehr wichtig, da nur derart erlegte Tiere das erforderliche heilige Fell für wichtige indianische Zeremonien besitzen.

Dieses Buch ist eine faszinierende Lektüre, die sich von anderen Laufbüchern auf erfrischende Weise unterscheidet, weg von verbissener Leistungsorientiertheit, weg von sklavisch einzuhaltenden Trainingsplänen - ein Buch, das dem Leser vermittelt, dass nichts so edel, tief, wild und urtümlich sein kann wie Laufen. Bernd Heinrich erweckt im Leser die oft verborgenen Lust nach dieser ursprünglichen Art der körperlichen Betätigung und dem sinnlichen Erlebnis, das damit verbunden ist. Ein herrlicher Anstoß, zukünftig laufend durchs Leben zu gehen.

Die Familie Bernd Heinrichs stammt aus Westpreußen und lebte nach dem Zweiten Weltkrieg ein paar Hungerjahre lang bei Hamburg. Dann wanderte sie in die USA aus, und Bernd Heinrich verlebte seine Kindheit im südwestlichen Maine. Die Gegend ist arm, aber reich an Natur, an Flora und Fauna. Für den jungen Einwanderer ein herrlicher Spielplatz. Später machte er eine glänzende wissenschaftliche Karriere als Biologe. Aus dem Vorlesungssaal in Vermont treibt es den Professor der Biologie immer wieder in die Wälder von Maine, wo seine Blockhütte steht und er den Nestbau oder das Brutverhalten der Vögel erkundet.
Mit seinen Büchern "Der Hummelstaat" (nominiert für den National Book Award), "Ein Forscher und seine Eule", "Die Seele der Raben" und "Ein Jahr in den Wäldern von Maine" stellte er sich als begeisterter Naturbeobachter und begabter Erzähler einem großen Publikum vor.

(margarete; 09/2003)


Bernd Heinrich: "Laufen - Geschichten einer Leidenschaft"
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
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List, 2003. 352 Seiten.
ISBN 3-471-79457-3.
ca. EUR 22,-.
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Ergänzende Buchtipps:

"Die Seele der Raben"
Von der Antike bis zur Gegenwart wurde über die Raben mehr geschrieben als über jeden anderen Vogel; in den Mythen und Legenden vieler Völker spielen sie eine Hauptrolle. Aber nie sind sie aus solcher Nähe und mit solcher Kenntnis, mit soviel Respekt und Begeisterung porträtiert worden wie in Bernd Heinrichs zoologischer Studie.
An einem kalten Oktobertag im Jahre 1984 beobachtete er, wie ein Rabenschwarm das Futter teilte und ganz offensichtlich andere Raben herbeirief, um mitzufressen. Dieses für wildlebende Tiere untypische Verhalten beeindruckte ihn so, dass er beschloss, sein Forschungssemester im Camp Kafluk im westlichen Maine zu verbringen, um das Sozialverhalten der Kolkraben zu erforschen. Dieses Vorhaben erstreckte sich schließlich auf vier kalte Winter in den tiefen Wäldern Maines und wurde zu einer aufregenden zoologischen Detektivgeschichte. Heinrichs Forschungen demonstrieren wissenschaftliche Arbeit auf höchstem Niveau; sein Buch evoziert die Atmosphäre der kalten Winterwälder Maines und teilt dem Leser die Erregung beim Kennenlernen anderer Lebewesen und die Freude, etwas Neues zu entdecken, mit.
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"Die Bäume meines Waldes"
Als Bernd Heinrich ein Stück Land in den Wäldern von Maine erwarb, kehrte er zurück zu seinen Wurzeln. Denn hier, in der Nähe der Adams Hill Farm, hat er einen Teil seiner Kindheit verbracht. Anfangs nichts weiter als abgeholztes hügeliges Land, ist es - nach mehr als zwanzig Jahren - ein gesunder Mischwald mit einer Artenvielfalt, die ihresgleichen sucht. Der Wald ist zu seinem Refugium geworden und zur Experimentierstube unter freiem Himmel. Wenn der preisgekrönte Autor über die majestätische Anmut eines naturbelassenen Waldes, seiner Pflanzen und Tiere erzählt, liest sich dies wie eine elegische Hommage an einen Lebensraum, der - in seiner ursprünglichen und vielfältigen Ausprägung - vom Aussterben bedroht ist. Vom unvergesslichen Erlebnis an einem verschneiten Wintermorgen bei der Beobachtung eines Elchs über den empirischen Feldversuch beim Vergleich von Baumarten und ihrer unterschiedlichen Bewältigung der Schneemassen bis hin zu der Frage: Warum herrscht in den nördlichen Wäldern im Vergleich zum tropischen Regenwald die Windbestäubung gegenüber der Pollenbestäubung durch Tiere vor? Mit jeder weiteren Episode eröffnet uns Bernd Heinrich einen neuen faszinierenden Blick auf diesen Lebensraum. Eine einzigartige Mischung aus Naturwissenschaft und Philosophie, Autobiografie und persönlicher Beobachtung botanischer Vorgänge: Anschaulich, oft anhand von Anekdoten, zeigt Bernd Heinrich uns die verborgenen Verflechtungen dieses Kosmos, in dem Bäume und Pflanzen, Vögel, Insekten und Wildtiere in wechselvoller Abhängigkeit miteinander existieren. Und lehrt uns, dass Bäume zu den vitalsten Gefährten des Menschen zählen und dieser nur überleben kann, wenn er jene respektiert.
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