Martina Sylvia Khamphasith: "Xieng Mieng"
Schelmengeschichten aus Laos
Jeder Laote kennt die Geschichten
von Xieng Mieng, dem Till Eulenspiegel der laotischen Literatur. Seine
Geschichten werden seit Jahrhunderten von Generation zu Generation vor allem mündlich
weitergegeben.
Die kleine Sammlung von Schwänken vermittelt einen kleinen Eindruck von der großen
Vielfalt der laotischen Literatur, die bis heute leider kaum über ihre
Landesgrenzen hinaus bekannt geworden ist.
Auch Erwachsene brauchen brauchen
Märchen
- vor allem Helden in der Gestalt eines Davids, der
gegen
scheinbar unbezwingbare Goliaths kämpft.
Gewissenlose Herrscher, eine habgierige Obrigkeit oder eine verweltlichte Kirche
könnten ihre Macht ungehindert missbrauchen, gäbe es keine Gegenkraft, die sie
daran hinderte. Eine solche Gegenkraft stellt seit dem Mittelalter der Narr dar,
der den Mächtigen den Spiegel vorhält und sie in ihre Schranken verweist. Der
Narr führt die Despoten vor in ihrer moralischen Verwerflichkeit und geistigen
Beschränktheit. Vernunft und Schlauheit triumphieren über Willkür und
Dummheit.
In eine Figur wie Xieng Mieng werden alle Wünsche und Sehnsüchte des gemeinen
Volkes nach Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Rache projiziert, die meist
gepaart sind mit einer gehörigen Portion Schadenfreude. In Xieng Ming
manifestieren sich Glaube und Hoffnung, dass ein Herrscher, mag er noch so
grausam und unerbittlich sein, mit einfachen Waffen besiegt werden kann. Mit
Waffen, über die auch der Ärmste - zumindest in der Theorie verfügt. Diese
Waffen sind Schlitzohrigkeit, Schläue, Gelassenheit sowie Unerschrockenheit und
nicht zuletzt die Gewissheit, im Recht zu sein. Diese moralische Überlegenheit
legitimiert seine Taten, die oft genug die Grenze des Erlaubten überschreiten.
Wer möchte nicht die Eigenschaften eines Xieng Mieng besitzen, um dem eigenen
Chef endlich einmal zu beweisen, was für ein Esel er ist, und dass der
Chefsessel natürlich mit der falschen Person besetzt ist? Da aber so schnell
niemand ausbricht aus seinen bestehenden Hierarchien, bedarf es solcher
Identifikationsfiguren wie Xieng Mieng oder in unserer Zeit Kriminalkommissar
XY, die jene Schlachten für uns schlagen, die wir zu schlagen uns nicht trauen.
Das hat etwas Reinigendes, erfüllt uns mit Zuversicht und Hoffnung auf Änderung
der bestehenden unbefriedigenden Verhältnisse.
So sind die Geschichten um Xieng Mieng sehr viel mehr als eine Sammlung von
lustigen Narrengeschichten.
Sie sind eine zwar literarisch versteckte, aber dennoch massive Kritik an
dekadenter Obrigkeit und korrupter Staatsführung, an ihrer
Menschenfeindlichkeit, Verschwendungssucht, an Machtmissbrauch und
Ungerechtigkeit.
Xieng Mieng entlarvt und bekämpft sie mit den Waffen des Geistes und stellt
beständig den moralischen Anspruch des Herrschers in Frage. Dieser wiederum fühlt
sich fortwährend von Xieng Miengs geistiger Überlegenheit in seinem
Herrschaftsanspruch bedroht. Ihn, den Herrscher, hasst das Volk. Xieng Mieng
hingegen weiß das Volk auf seiner Seite.
Xieng Miengs Streiche fußen
meist darauf, dass er eine bildliche Redewendung wörtlich nimmt. Er überlegt
genau, was er tut, bevor er wortgewandt seine Widersacher in die Schranken
weist, sei es den Herrscher, einen reichen Kaufmann oder jemanden, der sich für
besonders schlau hält und dann doch schnell kläglich versagt. Die Geschichten
um Xieng Mieng sind auch heute noch lebendig.
Sie sollen zeigen, sie interpretieren nicht. Der Leser mag selbst entscheiden,
wie er sie verstehen möchte.
Auch westliche Leser werden ihre Freude an den hinterlistigen und geistreichen
Streichen dieses fernöstlichen
Till
Eulenspiegel haben.
(Diethelm Kaminski; 11/2007)
Martina Sylvia Khamphasith: "Xieng Mieng.
Schelmengeschichten aus Laos"
Hamburger Haiku Verlag, 2007.
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