Andrej Kurkow: "Die letzte Liebe des Präsidenten"
Der
Form nach handelt es sich bei dem neuen Roman von Andrej Kurkow um
einen Politthriller mit verschiedenen kleineren Liebesgeschichten.
Niemand geringerer als der Präsident der Ukraine
erzählt in der ersten Person aus drei Abschnitten seines
Lebens: von seinem Heranwachsen als Halbwüchsiger in der
Sowjetunion der Siebziger Jahre bis in die erste Zeit des
selbständigen ukrainischen Staates, von den Jahren 2002-2006,
da er bereits seinen Weg in die Politik gefunden hat und als
stellvertretender Wirtschaftsminister vor der nächsten Stufe
in der Karriereleiter steht, und schließlich aus seiner
Präsidentenzeit 2013-2015 und den politischen Problemen, mit
denen er sich konfrontiert sieht. Dabei wird so vorgegangen, dass immer
ein etwa 2-3 Seiten langer Abschnitt aus der Jugend von einem aus der
mittleren Periode und einem aus der Präsidentenzeit gefolgt
wird, wodurch der Autor den Lesenden in eine größere
Spannung versetzt und den Werdegang des Ich-Erzählers (ein
wenig auch des Landes) auf eine subtile, verschiedene
Persönlichkeitsschichten nebeneinanderstellende Art beleuchtet.
Zentrum der Handlung ist die ukrainische Hauptstadt Kiew, in ihr macht
Sergej Pawlowitsch Bunin, so der Name des späteren
Präsidenten, seine frühen prägenden
Erfahrungen, schließt Freundschaften (unter anderem mit Juden
und islamischen Kaukasiern) und erfährt die Freuden, die
Liebesbeziehungen und Eisschwimmen (man schlage ein Loch in das
Flusseis und vermeide unbedingt, sich von der Strömung unter
die Decke spülen zu lassen) mit sich bringen können.
Zunächst lässt er sich von dem
spätsowjetischen Schlendrian längere Zeit zu
ziellosem Herumtrödeln verführen, kann dafür
in sein relativ spät begonnenes Studium schon einiges an
praktischen Lebenserfahrungen miteinbringen. Dieser Abschnitt endet
damit, dass Bunin als Mitglied des frischgegründeten
ukrainischen Unternehmerverbandes Karriere zu machen beginnt, etwas
zwielichtig zwar, doch damals anscheinend kaum zu vermeiden.
Seine mittleren Jahre zeichnen sich vor allem durch
persönliche Probleme aus, Sergej Pawlowitsch verliebt sich
ernsthaft und muss außerdem für seinen in einer
Schweizer Nobel-Heilanstalt befindlichen Bruder aufkommen,
möglichst ohne die Annahme von Bestechungsgeldern.
Zwar spielen sich die politisch brisanten Jahre nicht in dieser Zeit,
sondern 10 Jahre später ab, dennoch ist es erstaunlich, wie
viel von den Ereignissen des Jahres 2004 Kurkow vorwegnimmt (das
russische Original erschien kurz vor dem Präsidentenwechsel in
der Ukraine gegen Ende des Jahres). Bunin hat mittlerweilen das
höchste Amt des Staates erklommen und gerade eine
Herztransplantation hinter sich. Ausgerechnet das Herz eines Oligarchen
stand zur Verfügung und schlägt nun in seiner Brust,
welches, wie sich nach und nach zeigt, so seine Tücken hat.
Zum einen ist das frischimplantierte Organ auch kein Muster an
Gesundheit, außerdem ist die Haut des Präsidenten
seit der Operation von Sommersprossen übersät (womit
Herr Juschtschenko wahrscheinlich nicht unzufrieden wäre), und
die Witwe des verstorbenen Oligarchen hat der Operation nur unter recht
seltsamen Auflagen ihre Zustimmung erteilt. Dies alles zu einer Zeit,
da Bunin keineswegs fest im Sattel sitzt - ein reicher Unternehmer,
beinah im Besitz des Strommonopols des Landes, hat es auf sein Amt
abgesehen und tut alles, ihm das Präsidentenleben zu verleiden
und ihn zu Fall zu bringen. So mehren sich die Anzeichen
dafür, dass es dem politischen Gegner gelungen ist, Spione ins
nähere Umfeld des Präsidenten einzuschleusen.
Andrej Kurkow erweist sich einmal mehr als geborener Erzähler,
der, was er sagen will, am liebsten und vermutlich besten mittels einer
Geschichte sagt. Der Roman spielt großteils in einer ernsten,
überzeugend realistischen Atmosfäre (Kurkow konnte
für das Buch auf etliche Informationen von Freunden in der
ukrainischen Spitzenpolitik zurückgreifen), doch
fließen auch für den Autor so charakteristische
bizarre Elemente mit ein. Da wird zum Beispiel von den
Russisch-Orthodoxen die Ikone des neuen heiligen Märtyrers
Wladimir Uljanow-Lenin verehrt, was einen ernsten Konflikt mit der
ukrainischen Orthodoxie heraufbeschwört. Oder der vielgeplagte
Präsident, dem von seinem Stressabbauspezialisten zu einer
aggressiven Arbeitstherapie geraten wird, ackert in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion ein Feld um, ein paar Leute in des
Präsidenten Umfeld nützen die Gelegenheit, um dort
eine neue, den Amerikanern kürzlich gestohlene gentechnisch
veränderte Riesenkartoffelart zu setzen, als die Kolosse
sichtbar werden, tritt die glückliche
Grundstücksbesitzerin zum Katholizismus über, der
Vatikan erklärt das Ganze zum Wunder und segnet damit den
Diebstahl ab. Wer mit früheren Büchern des Autors
vertraut ist, wird nicht nur in Einfällen wie diesen, sondern
auch in der Charakterisierung des Ich-Erzählers Kurkows
unverwechselbaren Stil wiederfinden. Es ist ein sehr
glaubwürdig geschriebener Charakter mit seinen Eigenheiten und
Fehlern (wahrscheinlich von denen des Autors nicht allzuweit entfernt),
mit guten, wenn auch alles andere als naiven Absichten, der weniger
durch persönlichen Ehrgeiz als kraft seiner
Integrität und Verlässlichkeit an der Spitze gelandet
ist und das nicht besonders saubere Geschäft, als welches sich
die Politik
nicht aufhört zu erweisen, recht gut mit Würde und
gelebter Menschlichkeit verbinden kann. Zwar bleibt die
entrückte Daseinsform als Staatspräsident nicht ohne
unangenehme Auswirkungen, doch in dem Maß, wie es Bunin
gelingt, Beruf und Privates nicht als völlig getrennte Welten
zu betrachten, sondern mehr und mehr in Übereinstimmung zu
bringen, nimmt sein Wohlbefinden zu, was auch für das Land
nicht schlecht sein kann.
In erster Linie geht es Kurkow wohl darum, dem Leser ein gutes Bild der
Ukraine mit ihren gesellschaftlichen und politischen Problemen und
ihren Zukunftsmöglichkeiten zu vermitteln. Hierbei
belässt er es meist bei dezent eingestreuten Andeutungen, die
der nicht-ukrainische Leser nicht immer zur Gänze verstehen
wird, die aber allemal ein Gefühl für politische
Praktiken, unterschiedliche Regionen, Nationalitätenkonflikte,
Parteienlandschaft, wirtschaftliche Gegebenheiten etc. des Landes
entstehen lassen.
Es erscheint allerdings notwendig, auf eine klare Einseitigkeit und
Parteilichkeit des Autors hinzuweisen. Dass er den Russen herrisches
Benehmen im Umgang mit den Nachbarn vorwirft, mag berechtigt sein, dass
Putin den ukrainischen Präsidenten duzt, welcher ihn
seinerseits mit "Sie" anredet, ist eine unnötig diffamierende
Art, dies zum Ausdruck zu bringen. Dass er Moskau für die
Einmischung in innerukrainische Angelegenheiten kritisiert, ist ganz
gewiss berechtigt, doch erweckt er den Eindruck, die Russen seien die
Einzigen, die sich dieses Vergehens schuldig machen, und
unerwähnt lässt er, dass die wenigsten
russischsprachigen Ukrainer seine Kreml-Abneigung teilen. Umgekehrt
wäre es interessant gewesen, zu erfahren, wer "unsere Freunde"
sind, von denen die ukrainische Regierung kleine Hilfestellungen und
Informationen erhält, erst recht, was diese Dienste gekostet
haben. Anders gesagt, es gilt zu bedenken, dass an dem Roman bis kurz
vor dem ukrainischen Präsidentenwahlkampf mit seiner extremen
Polarisierung zwischen West- und Nordostorientierung des Landes
geschrieben wurde, wo Kurkow aus seiner prinzipiellen
Unterstützung des orangen Lagers kein Hehl gemacht hat.
Insgesamt ist "Die letzte Liebe des Präsidenten" auf jeden
Fall ein sehr lesenswerter, einen optimistischen Humanismus
verbreitender Roman geworden. Andrej Kurkows Antwort auf Brecht:
"Hat man einen Kühlschrank für die Datscha, findet
sich auch die Datscha."
In diesem Sinne sei der Ukraine eine an Gütern und Farben
reiche Zukunft gewünscht.
(fritz; 09/2005)
Andrej
Kurkow: "Die letzte Liebe des Präsidenten"
(Originaltitel "Poslednaja ljubov presidenta")
Aus dem Russischen von Sabine Grebing.
Diogenes. 696 Seiten.
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Zwei weitere Bücher des Autors:
"Der
wahrhaftige Volkskontrolleur"
Es ist unglaublich, was Pawel
Dobrynin erlebt, nachdem er unerwartet zum "Volkskontrolleur auf
Lebenszeit für die ganze Sowjetunion" gewählt wird.
Auf seiner Reise durch die Sowjetunion begleitet ihn eine Vielzahl von
schillernden Figuren: darunter der geheimnisvolle
Kremlträumer, der Gedichte vortragende Papagei Kusma und ein
Engel, der aus dem Paradies desertiert ist. Der Engel ist auf der Suche
nach einem Gerechten, um mit ihm gemeinsam ins
Paradies
zurückzukehren, denn bislang ist noch kein einziger
Sowjetbürger dort eingegangen ...
Andrej Kurkow, Autor der Erfolgstitel "Picknick
auf dem Eis" und "Der
Milchmann in der Nacht", erzählt eine unterhaltsame
und fesselnde Geschichte zwischen Fantasie und Wirklichkeit
in der
Sowjetunion. Dazu gibt es charmante Helden, eine abenteuerliche
Geschichte und viel schwarzen Humor - ein echter Kurkow eben.
Andrej Kurkow, geboren 1961 in St. Petersburg, lebt seit seiner
Kindheit in Kiew. Er studierte Fremdsprachen (er spricht insgesamt elf
Sprachen), war Zeitungsredakteur und während des
Militärdienstes Gefängniswärter. Danach
wurde er Kameramann und schrieb zahlreiche Drehbücher. Seit
1996 ist er freier Schriftsteller und arbeitet daneben für
Radio und Fernsehen. Zuletzt erschienen: "Der Milchmann in der Nacht"
(2009).
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"Herbstfeuer"
Wie verbrenne ich meinen Mann? Woher stammt meine neue Leber? Wie
entsorge ich meinen Steinway-Flügel? Acht ukrainische
Geschichten geben Antwort auf diese und andere Fragen.
Iwan wird Stammkunde in einem kleinen Feinschmeckerlokal, dessen
Chefkoch Dymitsch er kennen- und schätzen lernt. Eines Tages
ist Dymitsch verschwunden, doch hat er extra für Iwan eine
Folge von Gerichten hinterlassen, die ihm seine Nichte Vera kochen und
an fünf Abenden hintereinander servieren soll. Alles schmeckt
köstlich, doch wieso hat Iwan später winzige
Sandkörnchen zwischen den Zähnen? Und was will der
Rechtsanwalt, der am fünften Tag zum Abendessen erscheint?
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