Milan Kundera: "Die Identität"


Le Maitre de Brno oder Das Leben ist anderswo

Es musste ja so kommen! Nachdem Milan Kundera die übliche Einteilung seiner Romane in 7 Kapitel, die laut seiner "Kunst des Romans" adäquat die Kreativstruktur des Autors spiegelt und darüberhinaus - wenn ich mich recht erinnere - auch noch seine geistige Verwandtschaft mit Ludwig van Beethoven beweist, fallengelassen hat, ist das enttäuschende Ergebnis nicht weiter verwunderlich.

Zunächst einmal ist sein Roman deutlich minimalistischer, er verzichtet auf Kunderas sonstige Stärke - den polyfonen Aufbau; des weiteren sind es bloß zwei Figuren, ein Liebespaar, welche die ganze Handlung tragen, indem sie dabei die unterschiedlichsten Seelenzustände einer Partnerschaft, von glückhafter Idylle über Eifersucht bis hin zu emotionaler Kälte, durchlaufen. Mit dieser ihnen von ihrem Schöpfer aufgebürdeten Last, allein für Spannung zu sorgen, innerhalb einer kurzen Zeitspanne die verschiedensten Facetten zu zeigen, und zuguterletzt auch noch einen glorreichen Sieg der Liebe feiern zu müssen, sind die beiden leider hoffnungslos überfordert, mit dem Ergebnis, dass es in der Motivation der Figuren, so oder so zu handeln, zu vielerlei erzählerischen Künstlichkeiten kommt. Einzelszenen können dabei sehr wohl gelungen und intensiv erscheinen, im Zusammenhang mit der nächsten oder vorhergehenden erweisen sie sich schlichtweg als psychologisch unglaubwürdig.

Überhaupt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Kundera bei der Schaffung seiner Charaktere allzusehr von seinen abstrakten "existentiellen Codes" (siehe "Die Kunst des Romans") leiten lässt, das Lebendige kommt dabei zu kurz. In dieselbe Richtung geht die Empfehlung, der Autor möge sich wieder mehr auf seine Wurzeln besinnen. Natürlich müssen seine Romanfiguren nicht unbedingt Tschechen sein, aber ein Emanuelle-Verschnitt wie seine Heldin, die es in dieser Form nicht einmal in Paris geben kann, vermag als Besonderheit nicht zu überzeugen und ist schon gar nicht von allgemeinem Wert. Zu erwähnen bleiben noch ein paar hübsche Formulierungen und Metafern sowie - in der Analyse von Zeitfänomenen und in kurzen filosofischen Ausflügen, wie man sie auch vom im übrigen ach so viel besseren früheren Kundera kennt - ein Wechsel von Dreiviertel- und Halbwahrheiten.

(fritz)


Milan Kundera: "Die Identität"
Fischer TB, 2000. 162 Seiten.
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