Klaus Kropfinger: "Beethoven"


Auf dieses Buch haben wir lange gewartet, ja es drängt sich geradezu die Frage auf, warum ein Buch dieser Art so lange ungeschrieben bleiben konnte. Dabei ist die Aufmachung auf den ersten Blick als gelinde skurril zu bezeichnen: Ganzen drei (halbseitigen) Abbildungen stehen vierzehn (kleingedruckte und zweispaltige) Seiten Abkürzungsverzeichnis sowie 38 Seiten Literaturhinweise gegenüber. Der "eigentliche" Textteil mit 176 Seiten, flankiert von einer 37-seitigen biografischen Synopsis und einem als extrem umfassend zu bezeichnenden 55-seitigen Werkverzeichnis, nimmt sich da relativ bescheiden aus, bietet aber, wie übrigens auch alles Übrige, ein geballtes Maximum an Information.

Auf den ersten Blick scheint das Buch nur für den Fachmann geeignet zu sein, aber dieser Eindruck täuscht und sollte keineswegs den interessierten Laien von Erwerb und Lektüre abhalten.

Ob die Themen "Wer war die unsterbliche Geliebte?", "Beethovens Meinungsänderungen über Buonoparte", "Verhältnis zwischen Improvisation und Skizze", "Richtigkeit der späten Metronomangaben Beethovens" oder unzählige andere behandelt werden - jeder Leser wird von Kropfingers Auseinandersetzung profitieren, auch und weil der Autor mitunter, ja zumeist, keine endgültige Antwort, keine Lösung parat hat, sondern verschiedene zusammengefasste Meinungen eigenem Erwägen gegenüberstellt. Auch Binsenweisheiten wie die "zentrale Bedeutung der Kontraste bei Beethoven" oder "Dialektik der Sonatenauffassung", auch per se problematische Fragen wie "Bestehen bzw. Abgrenzung der heroischen Epoche'" werden stets tiefgreifend untersucht. Die einzelnen Kapitel sind so kurz und überschaubar angeordnet, dass Langatmigkeit nicht aufkommt. Jedes einzelne führt unmittelbar in medias res, für Ein- bzw. Überleitungen ist weder Raum noch Zeit. Der Leser ist sofort mit einem Querschnitt durch die gesamte Beethoven-Forschung konfrontiert, mit ihrem jüngsten Stand, mit verschiedenen Ansichten und natürlich mit der Meinung des Autors. Für die rein musikalisch-technischen (sich nie mit Detailanalysen einzelner Werke abgebenden, sondern immer Werkgruppenzusammenhänge bzw. -unterschiede im Auge behaltenden) Abschnitte ist natürlich schon eine gewisse Vorbildung erforderlich, die man aber durch den die Wissenschaftlichkeit betonenden recht komplexen Stil des Autors zunächst zu überschätzen geneigt ist. Der musikalisch also relativ unbedarfte Leser möge sich hierdurch nicht einschüchtern lassen und derartige Kapitel als Anregung zu einer Beschäftigung mit auch relativ ungeläufigen Werken bzw. für eine vertiefende Betrachtung allzu geläufiger Werke nehmen. Noten- oder gar Partiturkenntnis ist hiefür in keinem Fall erforderlich. Und Leser, die mit Begriffen wie "Sonatensatzform", "Fuge" oder "Dominantseptakkord" nichts anfangen mögen, können derartige Abschnitte (oft nur Absätze) getrost überspringen, auch bloß die biografischen, wirkungsgeschichtlichen und allgemein-werkbezogenen Informationen sind beträchtlich genug, um aus diesem Buch reichhaltigen Gewinn zu schöpfen.

Den eigentlichen Abschluss bildet, wie eingangs erwähnt, das Werkverzeichnis, in dieser Genauigkeit keineswegs eine Selbstverständlichkeit. An skurril anmutenden Werken bzw. Werkbezeichnungen, aus denen sich vortreffliche Quizfragen ergeben könnten, besteht kein Mangel: Grenadiermarsch für die Flötenuhr, Variationen für Klavier über das Lied "A Madl, ja a Madl" (übrigens grandios!), Trauermarsch zu "Leonore Prohaska", Kanon für vier Stimmen über den Text "Bester Herr Graf, Sie sind ein Schaf!". Leider wurden nur skizzierte, fernab jeglicher Vollendung gebliebene Werke, wie etwa die sogar im Text relativ ausführlich erwähnte X. Symphonie, nicht aufgenommen.

Dieses Buch ist, wie auf dem Umschlag beschrieben, "ein vollkommen neuer Versuch Biografie und Werk dieses zentralen Komponisten ... darzustellen". Nach Lektüre stellt sich jedoch die Frage: Kann man diesen Gegenstand in diesem vorgegebenen, relativ überschaubaren Umfange überhaupt seriös anders darstellen?

(Franz Lechner; 04/2002)


Klaus Kropfinger: "Beethoven"
Metzler, 2001. 334 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Sven Hiemke (Hrsg.): "Beethoven-Handbuch"

Komponist mit historischer Ausnahmestellung. Bereits zu Lebzeiten galt Beethovens Werk als Superlativ und es dominierte die Musik des gesamten 19. Jahrhunderts. Das Handbuch stellt Leben, Werk und Rezeption des Komponisten vor. Renommierte Beethoven-Forscher legen Ergebnisse der Fachliteratur dar und eröffnen mit eigenen Interpretationen neue Perspektiven auf sein Œuvre. Auf einen Essay zu Leben, zeitgeschichtlichem Hintergrund und Ästhetik des Komponisten folgen nach Werkgruppen gegliederte Einzelkapitel. Für Kenner und Interessierte. (Metzler)
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