Dezsö Kosztolányi: "Die Abenteuer des Kornél Esti"
Nach dem vor wenigen Jahren ebenfalls
bei Rowohlt erschienenen ersten Band der "Esti-Novellen", "Ein Held seiner
Zeit", wurde Anfang 2006 ein zum Leidwesen des erwartungsvollen Lesers
schmaler Nachfolger mit in den Jahren 1927 bis 1935 entstandenen Kurzgeschichten
veröffentlicht.
Mit dem für den deutschsprachigen Markt gewählten
verheißungsvollen Buchtitel "Die Abenteuer des Kornél Esti" wird freilich
etwas dick aufgetragen, denn "Abenteuer" im eigentlichen Sinn erlebt der
exzentrische Protagonist kaum, was indes keine grundsätzliche Schwäche
darstellt, heißt es doch nicht von ungefähr, die wahren Abenteuer seien im
Kopf.
Ob bzw. inwiefern sich die Überlegung, eleganter Prosa sei ein
Dasein als Ladenhüter vorherbestimmt, hinter der Titelwahl verbirgt, sei
dahingestellt.
Manche der "Abenteuer des Kornél Esti" beflügeln
durchaus des Lesers Fantasie, nicht wenige bewegen sich allerdings inhaltlich
auf mittelmäßigem Niveau. In sprachlicher Hinsicht gibt es freilich nichts zu
beanstanden; Dezsö Kosztolányi verstand sein
Handwerk, und Christina Viragh verdanken wir die wohlklingende
Übersetzung.
23 Episoden auf 187 sparsam bedruckten Seiten umfasst das
aktuelle Druckerzeugnis; "Die Kunst der wahren Lüge, der Umgang mit
schwierigen Zeitgenossen, die Erkenntnis, dass das Ende der Welt ihren Anfang
bedeute, die Frage nach dem einzig echten Glück und nach dem Sinn von Leben und
Tod: der unvergleichliche Kornél Esti gewährt kostbare Einblicke in alle
Bereiche des menschlichen Daseins." (Klappentext; Auszug)
Es ist nicht
Sinn und Zweck dieser Besprechung, sämtliche Kurzgeschichten ihrer
Überraschungsmomente zu berauben oder gar, dem Leser durch verfrühte Preisgabe
der Pointen die Lektüre zu verleiden, wohl aber, einen Eindruck der gebotenen
Atmosphäre zu vermitteln.
Esti ist ein zwischen Fremde und Heimat pendelnder,
geselliger Student und Kaffeehausliterat mit großem Bekanntenkreis, er verfügt
über ausgeprägte Beobachtungsgabe, Gespür für bizarre Situationen,
beeindruckende Menschenkenntnis und allergrößte Lust am Fabulieren. Ideale
Voraussetzungen für abwechslungsreiche Unterhaltung.
Als Vorspeise wird
"Omelett à la Woburn" aufgetischt, ein Gericht, welches der von Paris
nach Budapest reisende ebenso hungrige wie abgebrannte Protagonist während eines
Aufenthalts in Zürich notgedrungen in einem Nobellokal bestellt, was ihn in die
Bredouille bringt.
In "Schakale" erörtern Kornél Esti und sein Freund
Pataki nach einem Trinkgelage die Möglichkeiten und Konsequenzen spurlosen
Verschwindens. Die zunächst harmlose Spielerei mit Denkansätzen artet in
abgründige Fantasien aus.
Die anschließende Episode ergründet den Reiz des
unvermittelten Ohrfeigens Wildfremder, die "magische Beziehung" zwischen
möglichen Opfern und frechen Jungen.
"Der Apotheker und er" zeigt Esti
als mitfühlenden, aufmerksamen Beobachter, der einem depressiven
Arzneimittelhändler den Tag durch Vortäuschung sorgfältig ausgesuchter Symptome
versüßt.
Nach einer Schrecksekunde in "Esti und der Tod" verschiebt
sich die Werteskala von Kosztolányis alter ego. Die belehrende Episode endet mit
dem Tagebucheintrag: "Nur der lebt, der in jedem Augenblick auf den Tod
vorbereitet ist. Wer auf den Tod vorbereitet ist, ist es auch auf das
Leben."
"Das Schloss" handelt einmal mehr vom Heimkommen eines
Rastlosen, von der nur scheinbaren Sicherheit in gewohnter Umgebung.
Wie man
formvollendet um eine unter die Räder gekommene Kopfbedeckung trauert, offenbart
sich in "Der Hut".
Als sich ein geheimnisvoller Fremder bei Esti
einfindet und ihm ein besonderes Angebot unterbreitet, reagiert der
unfreiwillige Gastgeber wortgewandt, nachzulesen in "Der Gast".
Welche
Bewandtnis es mit einer in einer Taschenuhr ruhenden Wimper hat, enthüllt
"Die Wimper".
Weshalb zwei ungarische Jünglinge der irrigen Ansicht
sind, in einem Budapester Kurzwarengeschäft vom jeweils Anderen erstklassige
Französischkenntnisse erwerben zu können, schildert "Füchse", eine
kuriose Geschichte um Missverständnisse und Höflichkeit.
Weitere Episoden
sind "Esti erhält die Todesnachricht", "Bandi Cseregdi
in Paris, im
Jahr 1910" (über Heimweh), "Der Zeuge" (über eine späte
Wiedererlangung von Selbstwertgefühl), "Margitlein", "Lüge"
("Nur das Unwahrscheinliche ist wirklich wahrscheinlich, nur das
Unglaubwürdige ist wirklich glaubwürdig."), "Glück", "Die Heilung
des Arztes" (Esti rettet einen Kranken, indem er dem eitlen behandelnden
Arzt schmeichelt), "Drago", "Barkochba", "Kálmán Kernels
Verschwinden", "Die letzte Lesung", "Das Manuskript" (über die
peinliche Bedrängnis, Fragen einer untalentierten Autorin über deren ungelesenes
Manuskript beantworten zu müssen) und "Weltuntergang" (Kornél Esti
schildert einen Traum).
Ein Inhaltsverzeichnis, welches das
Entstehungsjahr jeder Geschichte angibt, beschließt die kurzweilige, zugleich
kurze Lektüre.
(kre; 01/2006)
Dezsö Kosztolányi: "Die Abenteuer des Kornél
Esti"
Deutsch von Christina
Viragh.
Rowohlt Berlin, 2006. 192 Seiten.
ISBN 3-87134-539-3.
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