Stanislav Grof: "Kosmos und Psyche"
"Dieses Buch ist ein Versuch, die philosophischen und spirituellen Einsichten aus den vierzig Jahren zusammenzufassen, in denen ich auf meinem persönlichen und beruflichen Lebensweg die unvermessenen Grenzen der menschlichen Psyche erforscht habe."
(Stanislav Grof)
Eine Kartographie der Psyche
Stanislav Grof, gelernter Psychiater, beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit der Analyse außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Sein Schlüsselerlebnis hatte er in den 1950er Jahren, als er freiwillig an einem Experiment mit psychedelischen Drogen im Fachbereich Psychiatrie der medizinischen Fakultät in Prag teilnahm. Die dabei gemachten Erfahrungen haben ihn entscheidend beeinflusst, sich mit dem Thema Bewusstseinsforschung zu beschäftigen.
Das Bewusstsein kann durch verschiedene pathologische Prozesse verändert werden. Nach Grofs Ausführungen sind nicht bei allen Bewusstseinsveränderungen Anzeichen schwerer geistiger Störungen zu diagnostizieren. Er klammert eine besondere Art von veränderten Bewusstseinszuständen aus dieser Bewertung aus. Diese bezeichnet er als holotrop ("auf Ganzheit ausgerichtet").
Holotrope Zustände sind verbunden mit Veränderungen aller sinnlichen Wahrnehmungen, heftigen und ungewöhnlichen Emotionen sowie tiefgehenden Änderungen in den Denkprozessen. Das Bewusstsein verändert sich qualitativ und die im Alltag erlebte Fragmentierung löst sich auf. Andere Seinsdimensionen werden erfahrbar und tiefe psychologische Einsichten drängen sich auf. Holotrope Erfahrungen gehen weit über die Grenzen des "Ich" hinaus.
Diese Beschreibungen erinnern stark an mystische Erfahrungen, die es zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte und in allen Teilen der Welt gegeben hat. Grenzüberschreitende ganzheitliche Erfahrungsberichte sind unter anderem im Taoismus, Buddhismus, Sufismus oder in der christlichen Mystik bekannt. Wie entstehen holotrope Zustände?
Sie können in Einzelfällen spontan auftreten oder zum Beispiel durch rituelle Handlungen hervorgerufen werden (Schamanismus). Gezielt eingesetzte Techniken, wie Grofs holotrope Atemtechnik, gehören in die Hände erfahrener Therapeuten, da die Wirkungen der Erlebnisse für die Psyche nicht zu unterschätzen sind.
Die Krise der Wahrnehmung
Was ist mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen zu erreichen? Geht es nur um den Therapieerfolg für den Einzelnen? Menschen, die holotrope Erfahrungen gemacht haben, erreichen eine Dimension, die vielen Menschen der westlichen Welt fremd ist, sie werden spirituell. Dies ist zur Sinnstiftung im Leben unentbehrlich. Die Naturwissenschaft kann genau dies nicht leisten. Grof sieht in einer einseitigen Weltsicht, dem materialistischen Monismus, die Ursache für die derzeitigen globalen Probleme der Menschheit begründet. Diese Meinung vertreten auch einige andere Autoren (z. B. Fritjof Capra). Ganzheitliche Erfahrungen können die Wahrnehmung verändern zu Gunsten eines Ausgleichs zwischen rationalem Denken und Spiritualität.
Subjektive Erfahrungsräume und objektive Wirklichkeit
Grofs Erfahrungen stehen im krassen Gegensatz zu den fundamentalen Thesen der materialistischen Wissenschaft. Danach ist das Bewusstsein ein Produkt des Gehirns und kein primäres Seinsprinzip. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Dualismus (der Glaube an die Wesensverschiedenheit von Geist und Materie) tot, da dieser gegen das Prinzip des universellen Wirkungszusammenhangs aller Dinge und Zustände verstößt. Wie kann der immaterielle Geist auf die physikalische Welt einwirken? Von Dingen und Zuständen, die nicht in einem Wirkungszusammenhang stehen, können wir - mangels Wechselwirkung - nichts erfahren. Bewusstsein ist aus wissenschaftlicher Sicht eine Systemeigenschaft, ein Epiphänomen. Was für das Bewusstsein gilt, gilt auch für veränderte Bewusstseinszustände.
Die Auffassung der Wissenschaft ist Stanislav Grof bekannt. Er bewegt sich mit seinen Erklärungsansätzen nicht nur in einer Grauzone zwischen Wissenschaft und Religion, sondern er weicht auch von der modernen Psychiatrie ab, die mystische Erfahrungen eher der Kategorie Geisteskrankheit zuordnet. Im Kern beruft er sich nicht auf im wissenschaftlichen Sinne verifizierbare Erkenntnisse, sondern auf "Erfahrungen". Diese dienen neben der wissenschaftlichen Forschung als alternativer Weg der Erkenntnis und sie überzeugen jeden, so Grof, der entsprechende Erfahrungen gemacht hat. Wahre Wissenschaft zeichnet sich durch die aufgeschlossene Anwendung der wissenschaftlichen Untersuchungsmethode auf jeden Bereich der Wirklichkeit aus, auch wenn dieses Unterfangen aus einer traditionellen Perspektive heraus absurd erscheint.
Das Buch ist leicht verständlich geschrieben und eröffnet interessante Perspektiven. Ganzheitliche Erfahrungen können - unabhängig davon, ob sie verifizierbar sind - zu positiven Veränderungen führen. Zu kurz behandelt wurde m. E. die Frage möglicher Nebenwirkungen von erweiterten Bewusstseinszuständen. Warum wurden psychedelische Drogen verboten? Sehr gut gefallen hat mir die Aufarbeitung und Gegenüberstellung der Begriffe "Wissenschaft", "Spiritualität" und "Religion".
Stanislav
Grof ist Professor am California Institute for Integral Studios in San Francisco.
Er gilt als einer der Väter der Transpersonalen Psychologie und ist neben Ken
Wilber der wichtigste Autor auf diesem Gebiet. Neben zahllosen Veröffentlichungen
in Fachzeitschriften publizierte er neun Bücher, die alle auch in deutscher Übersetzung
vorliegen, darunter "Topographie des Unbewussten, Geburt, Tod und Transzendenz"
und "Die Welt der Psyche".
(Klemens Taplan; 06/2003)
Stanislav Grof: "Kosmos und Psyche"
Fischer
Taschenbuch Verlag, 2000. 371 Seiten.
ISBN 3-596-14641-0.
ca. EUR 11,90.
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