"Pansori - Die gesungenen Romane Koreas"
Band 1: Gesänge von Liebe, Treue und listigen Tieren
Zu einer etliche Jahrhunderte alten koreanischen Spezialität erlaubt die vorliegende Ausgabe dem deutschsprachigen Leser einen ersten Zutritt. Seit wann genau Pansori gesungen werden, lässt sich nicht sagen, da die Anfänge wohl für immer im Dunkel subkultureller Umtriebe verbleiben werden. Gemeinhin geht man indessen davon aus, dass die Pansori-Geschichten zunächst auf Marktplätzen und ähnlichen Orten öffentlicher Ansammlungen zur Aufführung gelangten, vielleicht vorgetragen von den Ehemännern von Schamaninnen (die Musik jedenfalls ist schamanischen Ursprungs). Die Hörerschaft bestand anfänglich wohl ausschließlich aus sogenanntem einfachem Volk, und ein ziemlich derbes volkstümliches Element ist dem Pansori denn auch bis heute erhalten geblieben. Einen wesentlichen Wandel erfuhr die Gattung im Laufe des 19. Jahrhunderts, als nach und nach auch die Bildungsschicht dem vormals verabscheuten (oder heimlich genossenen) Pansori erlag. Zum einen wurde für das neue Zielpublikum die konfuzianische Moral in den Geschichten stärker hervorgehoben, also eine vernünftige, sich letztlich über die verschiedenen Intrigen, Schicksalsschläge und Gemeinheiten hinweg bestätigende sittlich-staatliche Ordnung, zum anderen wurde der volkstümliche Text auf selbst für fernöstliche Maßstäbe exzessive Art mit literarischen Anspielungen durchsetzt, sodass nunmehr - die entsprechende Bildung selbstverständlich vorausgesetzt - alle paar Zeilen irgendein Querverweis auf Mythen, Geschichte, Medizin, Religion und Literatur des chinesisch-koreanischen Kulturraums zu erkennen ist. Tatsache ist auch, dass die solchermaßen entstandene höchst eigenartige Verflechtung aus vitalster Volksstück-Dramatik und mitlaufendem kulturgeschichtlichem Grundbass, indem sie atmosfärische Spannung erzeugt und einen fruchtbaren Boden für allerlei komische Einfälle abgibt, eine herausragende (und beim Lesen die auffälligste) Besonderheit des Pansori ausmacht.
Freilich, kein Koreaner
würde auf
die Idee kommen, Pansori zu lesen. Dies wäre
zugegebenermaßen
auch schwer möglich, da es die Pansori-Stücke in
gedruckter
Form eigentlich gar nicht gibt (die vorliegende Ausgabe
ist die mit
zahlreichen Fußnoten und einem einführenden Vorwort
versehene Transskription von Aufführungen eines
berühmten
Pansori-Sängers), sondern sie immer mündlich vom
Meister auf
den Schüler übertragen werden und jeder neue
Sänger sie in seinem Sinn ergänzt, bereichert,
beschneidet,
interpretiert, kurz, mit seiner ureigenen
Künstlerpersönlichkeit
gestaltet.
Lediglich zwei Personen werden für eine
Pansori-Aufführung benötigt: der Sänger und
Rezitator
eben, der
den Text in einem
charakeristischen Wechsel von Erzählung und in verschiedensten
Rhythmen gehaltenem Gesang vorträgt,
und der
Trommler, der ihn mit seinem Instrument begleitet und mit kurzen
Ausrufen gleichsam die Rolle des ersten Zuhörers einnimmt.
Wenn
die beiden nun Könner ihres Faches sind, und eine lange
Lehrzeit
sowie die notwendige hingebungsvolle Liebe zu dieser exotischen
Kunstform sollten Garant dafür sein, wird bei so einer
Aufführung mit diesen
einfachsten Hilfsmitteln
gewaltige Wirkung erzielt - der dezente Einfluss der nach einem
komplexen System ablaufenden Trommelbegleitung, die von Mimik und
Gestik verstärkte hypnotische Darstellungskraft des
Sängers,
insbesondere die seiner Stimme, welcher durch langjährige
Übung eine breite Palette an genretypischen
Klangfarben zur Verfügung
steht,
versetzen den Zuhörer alsbald in die Welt des jeweiligen
Pansori
und halten ihn dort tausenderlei Bilder und Assoziationen weckend fest.
Um aus dem Vorwort zu zitieren: "Wer ein koreanisches Publikum in der
Pause einer Pansori-Aufführung belauscht und nichts von dem
weiß, was es gerade erlebt hat, könnte meinen, es
hätte
einen Monumentalfilm in Breitwandformat und 3D oder eine
große
Oper gesehen."
Dieser
erste von zwei geplanten Bänden kompletter
Übertragungen von Pansori ins Deutsche beinhaltet drei der
bekanntesten Stücke:
"Chunhyang-ga"
(Lied vom Mädchen 'Frühlingsduft'): Eine
koreanische Gisaeng entspricht in etwa einer japanischen
Geisha.
Chunnhyang ist die bildhübsche Tochter einer solchen, welcher
eigentlich derselbe Weg vorgezeichnet wäre, doch sie
denkt nicht
daran,
übt sich stattdessen umso mehr in Dichtkunst und Kalligrafie.
Und
in der Tat scheint das Schicksal anderes für sie bestimmt zu
haben. Sie lernt
einen jungen Studenten kennen, verliebt sich in ihn, und er sich
natürlich in sie. Erste Leidenschaft, glückliche
Zeit,
Verlobung, Treueschwüre, da kommt der erste Schlag. Der
Student
muss nach Seoul um dort sein Studium fortzusetzen, derweilen ein neuer
Präfekt in der Provinz Einzug hält, der sich, wie
sich bald
herausstellt, nur deshalb versetzen hat lassen, um möglichst
viel
"Frühlingsduft" inhalieren zu können. Diese
aber möchte nur die Nase ihres ach so fernen Geliebten
kitzeln,
der neue Präfekt ist indes nicht nur liebeshungrig, sondern
auch brutal und ziemlich korrupt. Unterdessen studiert ein
junger Mann in Seoul
alles, was jemals Konfuzianer zu Papier gebracht, mit großem
Fleiß, schließt seine Abschlussprüfung zum
kaiserlichen Beamten mit Auszeichnung ab, und wie es der Zufall so
will, führt
ihn sein erster Auftrag als Geheiminspekteur in seine
Heimatprovinz zurück. Tatsächlich ist
höchste Eile geboten, politisch und noch mehr privat:
werden er und
Chunhyang jemals wieder "Wolken und Regen" oder zumindest "Huckepack"
spielen?
Das "Lied vom Mädchen 'Frühlingsduft' ist das
meistgespielte und längste (in manchen Versionen bis zu
acht Stunden) Pansori, eine wunderbare Liebesgeschichte, die
bei
allem
Idealismus ein sehr irdisches, gar nicht auf den Mund gefallenes
Liebespaar zeigt, sowie ein Stück über
Machtmissbrauch,
das nach all dem Schmerz und Lust in einer gigantesken
Steuerprüfung gipfelt.
"Simcheong-ga"
(Lied von dem Mädchen Sim Cheong): Ein
ergreifendes
Stück über kindliche Aufopferung. Der Vater blind,
die Mutter
früh gestorben, kommt das Mädchen Sim Cheong
schließlich auf die Idee, sich selbst an Seeleute, die dem
Meeresgott ein Menschenopfer bringen wollen, zu verkaufen, auf dass die
so gewonnene Summe dem Vater das Augenlicht wiederbringe. Das Pansori
ist von
sehr lyrischem Charakter, eine Reise quer durch alle möglichen
Mythen und Glaubensvorstellungen, und gegen Ende hin ein wahres
Weihespiel.
"Sugung-ga"
(Lied vom Unterwasserpalast): Bei einem seiner Feste hat es der
Drachenkönig des Südmeeres allzu wild getrieben und
wird
von einem schweren Leberleiden befallen. Ein weiser Taoist zieht das
I Ging zu Rate und findet prompt
die Lösung: einzig die frische
Leber eines Hasen würde das königliche Leben retten.
Was aber alsogleich ein neues Problem aufwirft: denn zum einen
wäre es wohl übertrieben optimistisch, auf die
freiwillige
Mitwirkung des Hasen am
Heilungsprozess zu hoffen, zum anderen endet die Macht des
Drachenkönigs bei Geschöpfen des Festlands. Da meldet
sich Buchhalter Sumpfschildkröte freiwillig, den vielen
Gefahren (so
gilt etwa Sumpfschildkrötensuppe in Korea als Delikatesse)
trotzend an Land zu gehen,
des hurtigen Hasen habhaft zu werden und zum Unterwasserpalast zu
schaffen. Mit
dem Bildnis des zu Gewinnenden ausgestattet und seinem Listenreichtum
vertrauend macht
sich der treue Untertan auf den Weg, ohne zu ahnen, dass er auf einen nicht
minder listigen Gegenspieler treffen wird.
Das Sugung-ga ist gewiss das heiterste und witzigste Pansori.
Komödie durch und durch, macht es von den
Möglichkeiten, die sich durch die Verlagerung des Geschehens
auf die animalische Ebene ergeben, ausgiebig Gebrauch. Diverse Seitenhiebe treffen von
sicherer Warte aus wenig schmeichelhafte menschliche Züge. Der tägliche Kampf
ums Überleben sorgt für viel Situationskomik, in der
von den Handelnden gute Reaktionen und Schlagfertigkeit
gefragt sind. Etliches kann man
so
ähnlich auch bei unseren Fabeldichtern finden, nur
ist bei dem Pansori eine große Fülle an
Einzeleinfällen eingebettet in eine breite Rahmenhandlung,
fasenweise ausgesprochen derb, und die Moral von der
Geschichte eine sehr ursprüngliche: lass dich nicht von
anderen reinlegen und pass auf dein Leben auf!
(fritz; 10/2006)
"Pansori
- Die gesungenen Romane Koreas"
Aus dem Koreanischen von CHUNG Kyo-chul und Matthias R.
Entreß.
Edition Peperkorn, 2005. 398 Seiten.
ISBN 3-929181-70-3.
Buch
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Leseprobe:
(...)
Erzählung
Na gut! Wenn ich schon wegen diesem Kerl sterben sollte, werde ich
wenigstens einmal eine List versuchen, bevor ich sterbe!"
So streckt die Sumpfschildkröte ihren Hals weit vor.
"Hier kommt mein Hals raus!"
Der Tiger ist erschrocken und weicht eingeschüchtert mit
kleinen Schritten zurück.
"Hören
Sie! Ihr Hals kommt ja so raus! Sie, hören Sie doch auf damit,
nicht
weiter strecken, Schluss jetzt! Wenn der Hals immer so weiter
rauskommt, sind das an einem Tag ja mehrere tausend Armbreiten!"
"Du Mistkerl! Nicht nur mehrere tausend Armbreiten, sondern mehrere
zehntausend Armbreiten strecke ich meinen Hals heraus!"
"Wie kann sich Ihr Hals denn so weit rausstrecken? Wer sind Sie denn
eigentlich?"
"Oh,
ja, ich bin der königliche Gefängnisverwalter und
verdienstvolle Vasall
und der erste Sohn in der vierten Generation! Der 'Buchhalter
Sumpfschildkröte' bin ich also, der 'Große Herr
Sumpfschildkröte'
werde ich auch genannt!"
Der Tiger ist ja so ungebildet und weiß nicht, dass hier das
sino-koreanische Wort Byeol
für 'Sumpfschildkröte'
und nicht das gleichlautende rein-koreanische Wort Byeol für 'Stern'
gemeint ist.
"Großer
Herr Stern, großer Herr Stern, wenn Ihr ein Staatsbeamter
seid, wäre
ein 'Großer Herr' allein schon fürchterlich genug.
Aber was ist schon
ein 'Großer Herr Stern'? Also, wenn Sie der 'Große
Herr Stern' sind,
warum sind Sie nur in diese Welt heruntergekommen? Und wie kommt dieser
Hals wie ein Tentakel immer rein und raus, und warum sieht Ihre Birne
so dämlich aus?"
Gesang (schneller Jajimori)
"Hör
einmal meine Geschichte, hör einmal meine Geschichte, und wie
ich
hierher gekommen bin. Da unser Unterwasserpalast so verfallen und
kaputt ist, habe ich das Gebäude, das mehrere tausend Zimmer
hat,
renoviert. Dabei bin ich über den Dachvorsprung gerutscht und
heruntergefallen und wäre fast gestorben. Als ich bei einem
berühmten
Arzt Rat suchte, sagte er mir, die Galle eines Tigers würde
mir helfen.
Deswegen schnappte ich mir ein Gespenst namens Doreurang und bin
zur
Tigerjagd
hier heraus geritten. Also bist du wirklich der Tiger?
Gespenst Doreurang,
bist du da? Schneide mal mit deinem scharfen Dolch den Bauch dieses
Tigers auf!"
Daraufhin springt die Schildkröte doreurang doreurang doreurang!
dem Tiger ans Bein adadük!
beißt sich fest und dreht sich mehrmals um.
Der Tiger ist völlig verblüfft. "Aigoo, ich gebe
Ihnen meine Galle! Lass mich los!"
"Halt den Mund, gib schnell deine Galle her, du Mistkerl!"
"Aigoo, ich
kann Ihnen doch meine Galle geben, wenn Sie mich loslassen!"
Erzählung
So
fest hat die Sumpfschildkröte den Tiger gebissen und die
Stelle
mehrmals
umgedreht, dass sie dabei für einen halben Yang Fleisch aus
dem
Tigerbein herausgerissen hat.
Der Tiger springt hoch, rollt wild
über den Boden und rast davon, als ob er vom Tor in der
Schutzmauer von
Haenam in der Jeolla-Provinz bis zum Dreigipfelpass in der
Hamyeong-Provinz laufen wollte.
Dort spricht er sich selbst Trost
zu: "Naja, in
den Bergen habe ich ohne Furcht gelebt, aber vor so einem
kleinen Mistding habe ich mich fast zu Tode erschrocken. Da ich aber so
mutig bin, bin ich immerhin lebend entkommen. Ein anderer wäre
dabei
bestimmt ums Leben gekommen." Sich derart neuen Mut zusprechend, geht
er auf dem Rain zwischen den Reisfeldern umher und schaut
zufällig in
die Richtung, wo eine Chinesische Dreikielschildkröte ihn halb
versteckt anschaut.
"Dieser Mistkerl ist inzwischen schon hierher
gekommen!" So läuft der Tiger weiter bis Uiji, der Grenzstadt
zwischen
Nordkorea und China am Abrok-Fluss. (...)