Joachim Bauer: "Prinzip Menschlichkeit"

Warum wir von Natur aus kooperieren


Mitmenschliche Zwischenmenschlichkeit

Miteinander kooperieren, Netzwerke aufbauen, Beziehungen gestalten, Partnerschaften leben, ...
Joachim Bauer macht in seinem Buch deutlich, warum diese auf Gemeinschaft ausgerichteten Verhaltensweisen für das Überleben der Menschheit so wichtig sind. Er stellt sich damit geradewegs gegen die Vorstellung, dass alleine der Kampf ums Überleben, das Durchsetzen des Einzelnen in der Konkurrenz mit Anderen den Fortbestand der Menschen sichert. Vielmehr seien die Menschen nach neuesten neurobiologischen Forschungserkenntnissen "auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen".

Die Abstammungslehre nach Charles Darwin sei zwar vom Grunde auf nicht in Frage zu stellen. Die davon ausgehende Ableitung aber, dass der Grund für die "Auslese" der nackte Kampf ums Überleben sei, ist so nicht richtig.
Der Mediziner und Psychotherapeut Joachim Bauer stellt für seine These zahlreiche Forschungsergebnisse und Literaturstudien bereit, die seine Vorstellungen belegen.
Eine große Anzahl vielfach unbekannter Experimente und wissenschaftlicher Untersuchungen (vor allem aus den Bereichen der Neurobiologie, Medizin und Verhaltensforschung) werden leicht verständlich zusammenfassend beschrieben und souverän analysiert. So erfährt der Leser sehr viel über die Bedeutung von Neurotransmittern, Genen und Hormonen in Zusammenhang mit der Fortentwicklung der Menschheit. Die Motivation zum Überleben komme nicht allein aus dem Überlebenswunsch heraus, sondern würde insbesondere durch zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung erfolgen.

So schlussfolgert Bauer, dass derjenige, welcher andere Menschen motivieren wolle, ihnen vor allem die Chance geben müsse, mit anderen zu kooperieren und Beziehungen zu gestalten.
In eigenen Abschnitten befasst sich Joachim Bauer intensiv mit der Bindungsforschung und den Erkenntnissen aus Untersuchungen über Trennungs- und Trauma-Erfahrungen in jungen Lebensjahren.
In einem anderen Kapitel geht es um die gesellschaftliche Bedeutung der darwinschen Erkenntnisse im Zeitraum 1870 bis 1930. Hier ist auch eine besondere Stärke des Buches, dass Bauer überzeugend darlegt, warum sich der "Kampf ums Überleben" als Maxime des Darwinismus oftmals so unreflektiert in das kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Die tragischen Ergebnisse vor, in und nach der Zeit des Nationalsozialismus reißt der Autor wegweisend an, so dass man sich eine ausreichende Vorstellung davon machen kann, wie eine nicht gänzlich belegte Anschauung (oder ein Teil von ihr) fatale Auswirkungen haben kann. Schließlich stellt Joachim Bauer fünf Kriterien auf, die für gelingende Kooperationen unerlässlich sind:
 - Sehen und Gesehenwerden
 - Gemeinsame Aufmerksamkeit
 - Emotionale Resonanz
 - Gemeinsames Handeln
 - Verstehen von Motiven und Absichten

Mit entsprechender "Wechselseitigkeit bzw. Komplementarität" könnten dann die Beziehungen gelingen. Im letzten Teil seines Buches geht der Autor anschließend auf die gesellschaftliche Bedeutung von Kooperation in der heutigen Gesellschaft ein. So erörtert er, wie man seine Ausführungen im Bereich Bildung, Freizeit und Beruf nutzen kann.

Im Gesamten ist das Buch sehr gut verständlich geschrieben, und man erhält einen tiefen Einblick in die Welt der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet von Genen, Hormonen und vielen körperlichen Prozessen. Detailliertere Erkenntnisse erhält man aus den Untertexten der Seiten. Die Anmerkungen erläutern den allgemeinen Text in sehr differenzierter Weise. Die Ausführungen Joachim Bauers sind gut nachvollziehbar und durch eine reiche Palette an Beispielen aufgelockert. Grafiken fehlen zum großen Teil, was die Verständlichkeit in einigen Passagen erschwert. Die Berufung auf die Forschungsergebnisse des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen erscheint mir aber zu kurz gegriffen. Gerade die Ausführungen zur Kooperation zeigen, wie bedeutsam die Zwischenmenschlichkeit ist. Hier nur auf den Medienkonsum Jugendlicher abzuzielen verdeckt die Tatsache, dass viele Eltern aus vielfältigen Gründen heraus daran gehindert werden, "mitmenschlich" zu sein. Lange Arbeitswege, flexibilisierte Arbeitszeiten, Entwurzelung, allgemeine pädagogische Verunsicherungen erschweren vielfach eine "Resonanz" für die jungen Menschen. Ein weiterer Recherchenschwachpunkt ist die Darstellung, dass der "Mordschütze an einer Erfurter Schule" im Strafvollzug gelandet sei. Hier ist zumindest die Ausdrucksweise irritierend. Bei der verwendeten Literatur fallen die starke Bezugnahme auf englischsprachige Titel ebenso auf wie der häufige Bezug auf vorherige Veröffentlichungen von Joachim Bauer. Vielleicht wäre es ja auch spannend zu erleben, wie eine - mit einer anderen Fachperson - kooperativ geschriebene nächste Publikation Joachim Bauers aussieht. Sie dürfte auf jeden Fall noch erfolgversprechender sein als diese.

Ein insgesamt sehr aufweckendes Buch, das Diskussionen anregt und zur Überprüfung persönlicher Denkmodelle aufruft.

(Detlef Rüsch)


Joachim Bauer: "Prinzip Menschlichkeit.
Warum wir von Natur aus kooperieren"

Heyne, 2008.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens"

Wie wir die Macht über unser Leben zurückgewinnen.
Höre auf deinen Bauch, folge deinen Gefühlen, vertraue auf deine Impulse. So der Tenor, in dem uns wissenschaftliche Bücher in den letzten Jahren darauf eingeschworen haben, unserem rationalen, abwägenden Denken nicht mehr die Bedeutung beizumessen, die ihm gebührt. Joachim Bauers "Selbststeuerung" ist der lange überfällige Aufruf dazu, unsere auf Autopilot fahrenden Verhaltensweisen als das zu sehen, was sie sind: kurzsichtig und fehleranfällig. Studien zeigen: Seine Impulse kontrollieren und vorübergehende Anstrengungen auf sich nehmen zu können ist nicht nur die unabdingbare Voraussetzung für langfristige persönliche Erfolge und gute soziale Beziehungen. Die Fähigkeit zur Selbststeuerung schützt vor allem auch die Gesundheit, und erkrankten Menschen kann sie ein Heilmittel sein. Anstatt ständig den Reizen der Außenwelt zu folgen, sollten wir selbst entscheiden. Der freie Wille ist zurück, und das ist gut so.
Joachim Bauer erläutert in seinem Buch die aktuellen Forschungsergebnisse aus den unterschiedlichsten Disziplinen zu diesem Thema. Er zeigt, was diese unmittelbar für jeden Einzelnen bedeuten und welche Konsequenzen für die Psychologie, die Bildungs- oder die Gesundheitspolitik daraus zu ziehen sind. (Blessing)
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