Alexander Meschnig, Mathias Stuhr: "Wunschlos unglücklich"
Alles über Konsum
Die geile Würde der Kaufkraft
Was wir ununterbrochen tagtäglich tun, das beweisen uns Meschnig und
Stuhr in ihrem Quer(schläger)schnitt durch alle Lebensbereiche: wir
konsumieren: "Konsum kann heute alles sein - praktisch jeder Bereich
der gesellschaftlichen oder sozialen Realität kann unter diesem Aspekt
betrachtet werden. Die Konsumgesellschaft verspricht grenzenloses Glück
für alle: Ich kaufe - also bin ich. Meschnig und Stuhr lassen uns
hinter die Kulissen der Konsumwelt blicken mit einem Handbuch, das
'alles über Konsum' weiß" (Klappentext).
Abgesehen davon, dass bei dem modernistisch pervertierten
'Also-bin-ich'-Slogan sich Descartes im Grab übergeben würde, müsste
die 'Kritik der Warenästhetik' von Wolfgang Fritz Haug (Suhrkamp,
Frankfurt/M 1971) wieder einmal neu gelesen bzw. aktualisiert werden.
Und freilich führt uns diese Thematik zurück zum diesbezüglichen
Basisbuch
'Haben oder Sein' von Erich Fromm
(dtv, München 1979). Und da sind wir bei einem gewissen Manko des
vorliegenden Buches: es bringt zahlreiche triviale Praxisbeispiele -
hinkt aber in der Theorie. Man kann eben eine Konsumkritik nicht ohne
einen gewissen Linksfundamentalismus (Marxismus, Frankfurter Schule
u.ä.) betreiben.
Meschnig/Stuhr behaupten: "Es gibt zwar eine Theorie der
Konsumgesellschaft, aber keine stringente und durchgehende Theorie des
Konsums" (ebd.). Immerhin enttarnen sie die "westliche" Lebensweise als
"Konsumismus", in dem Waren eine "quasi-religiöse Dimension" angenommen
haben und "für Erlebnisse, Werte, Sinnangebote und Ideen" stehen" (vgl.
ebd.). Das vorliegende Buch möchte unser Augenmerk "auf die Reize, die
vom Konsum ausgehen, und auf die Fallen, die er uns stellt"
richten. Die beiden Autoren treffen eine erschütternde Feststellung:
"Gesellschaftliches Engagement und Widerstand sind nach dem Untergang
der politischen Ideologien ausschließlich in Verbraucher- und
Konsumkategorien denkbar" (ebd.). Immerhin wagen Meschnig/Stuhr die
These, dass der Konsumismus nach der Aushebelung des Kommunismus auch
den Islamismus unterwandern werde! Der Mensch definiere sich künftig
weniger über seine Arbeitskraft oder Würde - sondern über seine
Kaufkraft. Konsum ist für viele zur einzigen (wünschenswerten) Form
gesellschaftlicher Teilhabe
geworden.
Wenn es stimmt, dass "eine funktionierende Konsumwirtschaft ... einen
demokratischen Staat .. stabilisiert .. und ihn resistent gegen
totalitäre Anfeindungen .. macht" (vgl. ebd.), dann wären die Klagerufe
der Politiker über mangelhaftes Konsumverhalten der Bundesbürger
unheilverheißende Warnsignale! Die Autoren behaupten auch, die DDR sei
eher aus konsumorientierten als aus politischen Motiven
zusammengebrochen. Mittlerweile ist der Konsum ritualisiert,
präsentiert teilweise religiöse Ausprägungen, Verkaufstempel werden zu
Pilgerstätten - es findet eine "Sakralisierung von Marken und
Produkten" (ebd.) statt. Der Entzauberung der modernen Welt durch die
Wissenschaften setzt die Konsumideologie die "Wiederverzauberung" durch
Marketingstrategien entgegen. Der Konsum bestimmter Marken schafft
Identität und Dazugehörigkeitsgefühl. Wir leben in einer Konsumwelt
"der Magie, des Totemismus und des Fetischismus" (ebd.).
Der Kapitalismus funktioniert über den Trick, durch objektiv
vorhandenen Überfluss einen permanenten subjektiven Mangel zu
suggerieren. Die Menschen werden klassifiziert in Verbrauchertypen -
die sich vermehrende Subspezies heißt 'Schnäppchenjäger'.
Psychoanalytisch betrachtet ist Konsum ein Akt verdrängter Einsamkeit -
also ein Kompensationsgebaren. Letztendlich sind wir auch irgendwie
schizophren: wir kritisieren die Konsumgesellschaft, nehmen aber ihre
Annehmlichkeiten in Anspruch. Kaum einer traut sich heute noch unter
dem Eindruck zahlreicher furchtbarer Terrorakte den 68er-Kampfbegriff
"Konsumterror" in den Mund zu nehmen - aber darum geht es doch
letztendlich auch in diesem Buch. Freilich handelt es sich dabei um
einen höchst raffinierten hinterfotzigen Hirnwäscheterror, dessen
Symptome Meschnig/Stuhr ausgiebig erläutern.
Das fixierte Produktdenken ist mitverantwortlich (neben der Dämlichkeit
vieler Politiker) für den Verfall der politischen Kultur: es gibt
keinen substanziellen Protest mehr, keine kohärente Gegenkultur,
niemand will mehr Aufstand, jeder will Aufstieg. Symbole eines früheren
Widerstandes sind zu Logos degeneriert - alles ist
Pop!
Linke Politik ist uncool. In ihrem Kapitel 'Ausblick' konzedieren die
Autoren, dass die heutige Konsumkritik "den Bezug zu den
gesellschaftskritischen Theorien verloren" habe - "Sie ersetzt aber
nicht die politische Kritik eines Systems" (ebd.). Die Einsicht ist da
- leider folgen dieser Einsicht keine konkreten politischen Ansätze
einer notwendigen Anti-Konsumismus-Bewegung.
(Karl-Heinz Schreiber; 06/2005)
Alexander Meschnig, Mathias Stuhr: "Wunschlos
unglücklich"
Europäische Verlagsgesellschaft, 2005. 200 Seiten.
ISBN 3-434-50580-6.
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Alexander Meschnig, geboren 1965
in Dornbirn (Österreich), studierte
Psychologie und Pädagogik in Innsbruck.
Neben Arbeiten zur Geschichte der Psyche schreibt er zur Kulturgeschichte der
Arbeit des Militärs und des Nationalsozialismus. Er lebt als freier Autor in
Berlin.
Mathias Stuhr, geboren 1970, studierte
Soziologie, Politikwissenschaft und Sport
in Hamburg. Er war Online-Redakteur und Konzeptor. Seit 1998 lebt er in Berlin
und arbeitet als freier Journalist, v.a. für die "taz" und die "Junge
Welt" zu den Themen Pop-Kultur und Sport.
Weitere Buchtipps:
Alexander Meschnig: "Markenmacht"
Markenstrategien sind heute allgegenwärtig, Markenbotschaften durchdringen
unseren Alltag. Marken werden verehrt und gehasst. Im Bereich der Wirtschaft ist
die Ausformulierung und Erhaltung von Markenimages mittlerweile genauso wichtig,
wenn nicht sogar wichtiger als die Unterscheidung anhand relevanter
Produkteigenschaften. Auch geht die Schaffung von sogenannten Markenpersönlichkeiten
über den unmittelbaren Produktionsbereich hinaus. Längst haben nicht nur
Hautcremes, Kaffee und Autos Markenpersönlichkeiten, sondern auch
Stadtverwaltungen oder Bundesländer.
Alexander Meschnig zeigt nicht nur die Geschichte von
Marketing
und Werbung im Weltmaßstab der "Global Player", erörtert die aktuelle Diskussion
um Titel von Sennett, Rifkin, Weiss und Klein,
sondern erläutert auch, wie weit die Idee der Marke unser individuelles Leben
beeinflusst, mündend in der strategischen Inszenierung der Persönlichkeit als
"Marke Ich". (Europäische Verlagsgesellschaft)
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Alexander Meschnig, Mathias
Stuhr (Hrsg.):
"Arbeit als Lebensstil"
Der Rummel um die "New Economy" ist aus und vorbei, um so dringender stellt sich
die Frage, welches die langfristigen Folgen dieses ideologischen Konstrukts
sind. Immerhin setzten die "Start-up-Unternehmen" Arbeit als Lebensstil neu in
Szene und kreierten überdies ein neues gesellschaftliches Leitbild einer Popökonomie,
in der Arbeit und Hedonismus Hand in Hand gehen. Diese popkulturelle Umdeutung
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eine Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft verstanden werden kann, hatte
und hat für die Definition von Arbeit, Arbeitnehmer und Freizeit einschneidende
Folgen. (Suhrkamp)
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Alexander Meschnig, Mathias
Stuhr (Hrsg.):
"www.revolution.de. Die Kultur der New Economy"
Die "jungen Bürger" der digitalen Welt, multikulturell,
leistungsbereit, kommunikationstrainiert und technisch versiert, prägen heute
das Bild unserer gesellschaftlichen Zukunft, einer Zukunft des perfekten
Managements. Die "New Economy" ist mit der Kritik an den etablierten
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und nicht mehr zeitgemäßen Ordnung. Werden die mentalen Anforderungen der
"New
Economy" nicht auf psychische Grenzen stoßen? In zehn Kapiteln durchleuchten die
Autoren die Szene der "Startups". Sie porträtieren Gründer und Mitarbeiter,
analysieren Leitbilder, Arbeitsalltag und
Organisation. (Rotbuch)
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