Michael Wood: "Auf den Spuren der Konquistadoren"


Nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus durfte noch einige Zeit vergehen, ehe klar wurde, dass es hinter den ersten karibischen Inseln einen riesigen Kontinent, auf diesem wiederum reiche Goldvorkommen gab. Die erste großangelegte Fahrt auf das Festland im Jahre 1519, die 1521 mit der Eroberung Mexikos für die spanische Krone endete, hatte jedenfalls noch als Auftrag zu einer reinen Erkundungsfahrt begonnen. Ihr Anführer, Hernan Cortés, dachte freilich von Beginn an an Eroberungen und Reichtümer, sodass er zur Rechtfertigung seines konquerierenden Treibens zunächst noch alle möglichen Juristentricks auspacken und kurz sogar gegen die eigenen Leute kämpfen musste, als ihm von Kuba aus, wo die Expedition gestartet war, ein Heimholkommando nachgeschickt wurde. Am Ende aber siegten seine Risikofreude und sein machiavellinischer Geist, Hernan Cortés wurde erster spanischer Vizekönig und Vorbild nachfolgender Konquistadoren.

Diese und drei weitere Konquistadorengeschichten erzählt Michael Wood allen, die sie noch nicht kennen oder ein weiteres Mal hören wollen. Neben der von Cortés, Moctezuma und dem Untergang des alten Mexiko natürlich auch die von der Eroberung des anderen Großreichs, des Inkastaates durch Francisco Pizarro und vom Inka Manco auf der Flucht, ferner die Suche nach dem Hirngespinst des Eldorado, die zu einem Überlebenstraining auf dem Amazonas geriet, und schließlich den legendären Fußmarsch Cabeza de Vacas von Florida, wohin es ihn als Schiffbrüchigen verschlagen hatte, zurück nach Mexiko. Wood bemüht sich um eine möglichst unparteiische Erzählweise, nicht, dass er die Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit der spanischen Eroberer irgendwie beschönigt, er stellt sie aber auch nicht in den Vordergrund. Abwechselnd aus spanischen und indianischen Quellen (wobei die Geschichtsschreibung der Besiegten meist erst Jahrzehnte nach der Konquista erfolgte und die Konquistadoren durch die Art ihres Vorgehens häufig Grund zu Tatsachenverdrehungen hatten) zitierend bzw rekonstruierend interessiert ihn am meisten der Zusammenprall der zwei Welten, ja Zeiten (was den unterschiedlichen Entwicklunggrad ihrer Technologie betrifft), mit ihren kleinen und großen Missverständnissen und dramatischen Höhepunkten, und stellt den vergebenen Möglichkeiten nachtrauernd dabei gerne Was-wäre-wenn-Fragen (z.B. Was, wenn die Chinesen Amerika entdeckt hätten?). Worauf sich Wood leider nicht eingelassen hat, trotz der Fülle des herangezogenen Materials, ist der Versuch, ein neues Bild der Konquistadoren zu zeichnen: Cortés wird als Frauenheld und äußerst talentierter, mutiger Glücksspieler geschildert, Francisco Pizarro als stahlhart, kompromisslos und ohne Illusionen. Etwas besonderes an dem Buch ist es zweifellos, dass der Autor die Reiserouten der Konquistadoren selbst noch einmal nachgefahren ist, was sicher nicht immer ein großes Vergnügen bedeutete, ihm andererseits eine Menge Gold eintrug, Gold der Authentizität nämlich, der Unmittelbarkeit und hautnahen Erfahrung, die aus vielen seiner Beschreibungen sprechen. So vermittelt der Autor einen besonders lebendigen Eindruck davon, wie die Spanier bei ihrem Einzug über eine der vielen Brücken nach Tenochtitlán den Einheimischen buchstäblich wie Besucher aus einer anderen Welt vorgekommen sein müssen, mit ihren Kampfhunden (während sich die Azteken mit der Zucht von Schoßhunden beschäftigt hatten), den unbekannten, ob ihrer Größe natürlich immens gefürchteten Pferden, aus deren Mäulern - faszinierendes Detail für die Betrachter - Schaumfetzen flogen, den schweren Rüstungen, den dunklen Bärten der Männer, den andersartigen Waffen, Armbrüsten, Kanonen, anderen frühen Schusswaffen und sehr viel Toledostahl (neben den Pizarrobrüdern das Härteste, was die erste Hälfte des Sechzehnten Jahrhunderts zu bieten hatte). Fasziniert waren auch die Spanier von der Kultur der Einheimischen, in den Briefen vieler Konquistadoren sind über die indianischen Städte Formulierungen zu lesen wie "prunkvoller als Sevilla" oder "wie ein Traum", das auf einem See gebaute Tenochtitlán wurde naturgemäß mit Venedig verglichen. Dass sie zunächst ebenso in den höchsten Tönen von der außerordentlichen indianischen Kunst berichteten, hinderte die Bewunderer aber nicht daran , die wertvollen Kunstschätze, sofern sie ihrer Kirche teuflisch vorkamen, zu vernichten, sofern sie aus Gold waren, unverzüglich zu Barren zu schmelzen. Es kursierte das Gerücht, die Europäer würden das Gold fressen, so versessen waren sie auf das Metall und wären die Lachnummer der Amerikaner gewesen, hätte ihr wuchernder Materialismus nicht so fürchterliche Konsequenzen gehabt. Der Inka Atahuallpa und Moctezuma 2. waren an sich beide auf die Ankunft der Spanier vorbereitet, ihre Boten hatten ihnen gemeldet, dass die Fremden eine Spur der Verwüstung hinter sich herzogen und dabei einen befremdlichen Appetit auf Gold zeigten. Während aber Moctezuma sie trotzdem für Götter hielt, dürfte sie Atahuallpa gerade wegen ihres unwürdigen Verhaltens grob unterschätzt haben.
Und lassen Sie mich Ihnen zum Abschluss auch eine Frage stellen, versetzen Sie sich in die historische Szene, wie sie Woods nicht ohne Fantasie beschreibt: Friar Vicente, der Prediger Pizarros steht mit der Bibel vor dem obersten Inka, spricht auf ihn ein, des Königs alte Sonnenreligion sei Teufelswerk, ein großes Unrecht sozusagen, und die einzig wahre Religion stünde hier in diesem Buch. Der König hört sich die Worte des Wahnsinnigen eine Zeitlang an und ergreift dann zum ersten Mal in seinem Leben
eine Schrift (und gleich so eine heilige), hält sie ein paar Mal probeweise ans Ohr, bittet sie schmeichelnd zu sprechen, zieht bei der günstigen Gelegenheit anscheinend eine Kabarettnummer ab, ehe er das stumme Ding schließlich mit dramatischer Geste verächtlich ins Gras wirft. Und ehe Pizarro das Zeichen zum Angriff geben kann und statt sich das folgende Gemetzel in den Einzelheiten vorzustellen, stellen Sie sich lieber die Frage: falls sie nicht gänzlich verschlossen blieb - an welcher Stelle hat sich die Bibel aufgeschlagen?

(stro; 06/03)


Michael Wood: "Auf den Spuren der Konquistadoren"
Reclam 2003
288 Seiten, mehr als 100 farbige Abbildungen.
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