Bert Hellinger: "Der große Konflikt"
Die Antwort
Auszug aus der familientherapeutischen Mao-Bibel
Wenn die Rede auf Bert Hellinger und sein
"Familienstellen" kommt, weiß
jeder, was gemeint ist. Das hat damit zu tun, dass Hellingers Systemische
Familientherapie seit den 80er Jahren einen beispiellosen Siegeszug im Bereich
der Psychotherapie angetreten hat. Mittlerweile geht die Zahl der Menschen, die
an den Therapiesitzungen teilgenommen hat, in die Millionen, und die Bücher von
Hellinger und Hellinger-Adepten und Hellinger-Kritikern haben ebenfalls
Millionenauflagen erreicht. Vordergründig scheint das ein deutsches Phänomen.
Hellinger ist aber längst ein internationaler Vortragender und Autor geworden.
Er hält Kurse in so fernen Orten wie Buenos Aires, Moskau oder Toledo ab.
Sein neues Buch "Der große Konflikt", das sich im Schwerpunkt mit der
Einwirkung nationaler Spannungen und historischer Konflikte zwischen
verschiedenen Staaten auf den Einzelnen beschäftigt, ist die Fortschreibung
dieses Erfolges. Wie bei den vorhergehenden Büchern sind Form und Struktur des
Textes eher lose. Kurze Assoziationen zum Thema vermischen sich mit Abschriften
von Videos aus Therapietagen. Es gibt heute wenige Autoren, bei denen alles, was
sie äußern, von bereitwilligen Großverlagen in Buchform gepresst wird. Es
formt sich daraus ein Gesamtwerk wie bei ganz großen, klassischen Autoren, die
auch noch darauf rechnen können, dass nach ihrem Tod eine Stiftung oder Biografen
das Werk strukturieren und immer wieder neu deuten. Der Tonfall im Buch ist der
eines Großmeisters, der niemandem Rechenschaft schuldig ist. Jedes Wort ist
eine große Erkenntnis und unfehlbar. Mich erinnert der Schreibstil ein bisschen
an offizielle Autobiografien, wie sie von Stalin oder Mao-Tsetung im Umlauf
waren, am stärksten aber an die Ergüsse von L. Ron Hubbard, dem Schöpfer der
Scientology Church. Nicht alles, was in dergleichen Werken steht, ist schlecht.
Aber irgendwo wirkt Größenwahn, wenn er nur konsequent fortgeführt wird, auf
mich doch etwas beklemmend. Soviel zum Stil. Nun zum Inhalt.
Ich habe persönlich keine Erfahrung mit der Therapiemethode Hellingers, registriere
aber seit Jahren im engsten Umkreis Erfahrungsberichte aus den Familienstellungen.
Am meisten verblüfft mich dabei, dass Menschen, die an Vertreterstelle für andere
eingesetzt werden, Sätze sprechen und Verhaltensweisen zeigen, die für diesen
Menschen typisch sind, den sie noch nie gesehen haben. Der britische Wissenschaftsautor
und Privatier Rupert Sheldrake hat dazu das Bild eines Kraftfeldes entworfen,
das Menschen ebenso vereint wie die Tausenden Individuen eines Fischschwarms,
bei denen es reicht, dass einer eine Gefahr sieht, und schon schwenken alle
anderen um, als gehörten sie alle zum gleichen, großen Individuum. Ähnlich erklärt
sich Hellinger das Phänomen, dass jemand, der beim Familienstellen ein Befreiungsgefühl
hat, dieses auch einem Familienmitglied mitteilen kann, das Hunderte Kilometer
weit weg lebt und gar nicht wusste, dass aufgestellt wurde. Dergleichen Phänomene
werden widerspruchslos akzeptiert von allen, die ihren Verstand an der Garderobe
abgegeben haben. Ich glaube, dass
Elias
Canetti in seinem Werk "Masse und Macht" (1960) zum Phänomen Hellinger schon
alles gesagt hat, als jener noch Schulleiter in Afrika war und sich nicht träumen
ließ, dass er einmal pro Therapiewochenende Honorare bis zu 150.000 EUR einstreifen
würde.
Psychologen und Psychotherapeuten warnen regelmäßig davor, dass die Teilnahme
an einem Hellinger-Seminar gefährlich sei. Was dort an die Oberfläche komme, müsse
in der Folge in Therapiesitzungen bearbeitet werden, um verkraftet werden zu können.
Der Erfolg gibt Hellinger Recht: Niemand bestreitet, dass seine Methode wirksam
sein kann. Es gibt mittlerweile aber einige in den Medien kolportierte Fälle,
bei denen diese Wirksamkeit von "Aufdeckungen" an Therapiewochenenden
nichts war als ein quälender Stich ohne therapeutische Folgen. Hier kommt
wieder ins Spiel, dass Hellinger seine Ausbildung zum Psychotherapeuten nur en
passant und nicht vollständig absolvierte. So fällt es leicht, ihm mangelnde
Kenntnisse und Sachkompetenz in der Psychotherapie vorzuwerfen.
Meine persönliche Skepsis der Hellinger-Methode gegenüber hat eine
naturheilkundliche Wurzel.
Paracelsus
war der Meinung, dass der Mensch in allen Geweben Gestaltungskraft habe. Wenn
man etwas isst, obliegt es der Gestaltungskraft im Magen und Darm, was der Körper
daraus macht. Ähnlich ist es im Geistigen. Zwar ist der Mensch verschiedenen
Lebensbedingungen und Zwängen unterworfen, die Gestaltungskraft aber kann auch
hier ein individuelles Schicksal formen. Ich sehe also in meiner Arbeit
Krankheit als Ergebnis einer Gestaltungsschwäche, die es im Patienten aus
eigener Kraft zu überwinden gilt. Dabei wäre ein charismatischer Heiler wie
Hellinger, dessen Methode und Prinzipien man sich bedingungslos zu unterwerfen hätte,
eher hinderlich. Ich gebe allerdings zu, dass viele Patienten strenge Führung
wollen und brauchen. Wer zu dieser Gruppe gehört, wird bei Hellinger und seinen
Schülern gut aufgehoben sein.
Der Autor wurde in seiner Jugend vom Schulsystem des Dritten Reichs und dem
strengen Katholizismus seines Elternhauses geprägt. Der mittlerweile 80jährige
kann als Therapeut diese doppelte autoritäre Wurzel nicht abstreiten. Gerade
sein Verhalten Frauen gegenüber wirkt mitunter ziemlich grob. Es gibt auch im
neuen Buch eine Szene, bei der eine Teilnehmerin traurig ist, weil ihr Sohn
unter dem starken Einfluss einer islamischen Sekte steht. Durch eine
Familienstellung vermeint Hellinger zu erkennen, dass der Sohn zum Islam steht,
weil die Frau den Vater des Sohnes, der selbst Moslem ist, zuwenig würdigt. Es
entspinnt sich folgender Dialog.
...
HELLINGER Okay, es reicht.
Nach einer geraumen Zeit zu Klara Die Überheblichkeit hat gewisse
Grenzen. Sie werden uns durch die Kinder gezeigt.
KLARA Mein Sohn hat mich überhaupt nicht gesehen.
HELLINGER Er hat dorthin geschaut, wohin du hinschauen musst. Du hast dich an
eine Stelle gesetzt, an der du dich über den Islam erhebst und über die Mutter
deines Mannes.
Zur Gruppe Ihr ist offensichtlich nicht zu helfen. Aber wir haben jetzt
Achtung für den Jungen.
STELLVERTRETER DES MANNES Dabei liebt der Mann sie so sehr.
HELLINGER Das sieht sie nicht.
Nach einer Weile zur Frau Das Verhalten des Sohnes ist das Ergebnis eines
mütterlichen Machtrausches.
Als die Frau etwas sagen will Ich will nichts wissen. Wir haben doch
alles gesehen. Deutlicher kann es überhaupt nicht zum Vorschein kommen.
Halten wir also fest: In einer Therapiesitzung mit Menschen, die sich nicht
kennen, zeigen Menschen irgendwelches Verhalten. Plötzlich gibt es einen
Schuldigen: Eine Frau, die einem "mütterlichen Machtrausch"
unterliegt. Dass sie das tut, bestimmt der Meister, der sich hier zum Richter über
das Leben einer Teilnehmerin aufschwingt, keine Verteidigungsrede hören will
und allen Anderen im Raum sagt: "Ihr ist offensichtlich NICHT zu helfen."
Sie ist blöd, alle Anderen aber verstehen den Jungen. Hier stehen also der
Meister und alle Anderen im Raum, und dort steht eine Frau, die an dem ganzen
Mist eigentlich teilnahm, weil ihr Hoffnung gemacht wurde, es SEI ihr zu helfen.
Sie ist nun an allem Schuld, und die Anderen an nichts. Ich glaube nicht, dass
dergleichen Erlebnisse therapeutische Wirkung entfalten können.
Ähnliche Erlebnisse haben schon einige Frauen in Hellinger-Seminaren gemacht,
und eine davon hat sich unmittelbar nach dem Seminar umgebracht, weil ihr das
Hellinger "geraten" hatte. Da sie ein
"kaltes
Herz" habe, könne sie sich nur umbringen, ihre Kinder verdiene sie jedenfalls
nicht. Der Fall fügt sich ein in andere Fälle, wo Frauen, die als Kinder von
ihren Vätern vergewaltigt worden waren, sich dafür beim Vater "entschuldigen"
mussten. Dass im neuen Buch wieder so ein Fall von Frauenmobbing vorkommt, scheint
mir ein Hinweis dafür, dass Hellinger aus Fehlern nicht lernt und einer Generation
angehört, die einem traditionellen Geschlechterbild huldigt, das die Mehrzahl
der Menschen in Europa heute ablehnt.
In den letzten Jahren haben die kritischen Stimmen zu Hellinger zugenommen. Der
Psychotherapeut und Wissenschaftspublizist Colin Goldner hat sie in einem Buch
unter dem Titel "Der Wille zum Schicksal" treffend zusammengefasst.
Ein ausgezeichneter Artikel "Da sitzt das kalte Herz!" von Martin
Buchholz ist im März 2003 in der ZEIT erschienen (Lien:
https://www.zeit.de/2003/35/Hellinger-Haupttext).
Mitunter hat Hellingers von keinem Zweifel getrübtes Selbstbewusstsein auch
etwas Erfrischendes, zum Beispiel wenn er im Rahmen eines Seminars in Neve
Shalom in Israel im Jahr 2001 Juden und Palästinensern Ratschläge gibt, wie
sie sich miteinander versöhnen könnten. Dabei sieht er sich zweifellos als ein
über allen Wassern schwebender guter Geist, wenn nicht gar als Gottes Stimme
aus dem brennenden Dornbusch. Der unvoreingenommene Betrachter würde
wahrscheinlich die subtile Ironie darin sehen, wenn ein ehemaliger deutscher
Wehrmachtssoldat, der in Berchtesgaden die "Hitler-Villa" bewohnt und
schon einmal gern den Nationalsozialismus mit dem Humanismus an eine Seite
stellt, Ratschläge für die jüdische Seele verabreicht.
Ich habe aus dem Buch einige gute Gedanken entnommen. Was Hellinger über das
Verhältnis in der Ehe sagt, fand ich hilfreich. Er meint, dass Mann und Frau
nur auskommen können, wenn sie sich gegenseitig in ihrer Andersartigkeit
respektieren und eingestehen können, dass sie den Anderen brauchen. Von diesen
Überlegungen gibt es in dem Buch einiges, das brauchbar ist. Stilistisch ist
es, wie schon erwähnt, mühsam zu lesen. Es gibt zahlreiche Wiederholungen,
keine Argumentationsketten, sondern nur eine Fülle von Behauptungen, die der
Autor selbst weder hinterfragt, noch in ein größeres Gefüge einordnet. Wer
ihm glauben will, soll es tun. Wer es aber gewohnt ist, Behauptungen kritisch zu
überprüfen, ist bei Hellinger am falschen Ort.
(Berndt Rieger; 03/2005)
Bert Hellinger: "Der Konflikt"
Arkana, 2005. 256 Seiten.
ISBN 3-442-33734-8.
ca. EUR 18,50.
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