János
Kalmár, Alfred
Komarek: "Laguna. Venedigs Inselwelten"
Licht
und Schatten im Rhythmus der
(Ge-)Zeiten
Die allererste
Fotografie in diesem gediegenen Bildband zeigt den Blick von Burano in
Richtung
Venedig: flamingofarbene Wasserflächen vor den schwarzen
Silhouetten
altehrwürdiger Monumente und - Baukräne! Denn wo das
Meer unablässig an den
Landmassen zehrt, kann es keinen dauerhaften Stillstand geben. Und so
tasten
sich der Fotograf János Kalmár und der
Schriftsteller Alfred Komarek gemeinsam
an die Faszination einer Welt, deren besonderen Reiz die mehr oder
minder
lustvoll zur Schau gestellte Vergänglichkeit ausmacht, heran.
In den Kapiteln
namens "Wasser und Land", "Es war einmal", "Bunt und
Pastell", "Metamorphosen", "Leben und Tod" und
"Ausklang" werden neben stimmungsvollen Ansichten auch gleichwertige
Beschreibungen von versunkenen Welten, verfallen(d)en Bauwerken,
verwitterten
Ruinen und dem Leben der Inselbewohner geboten.
"Wasser und
Land" weiht uns u.a. augenzwinkernd in die Geheimnisse der tradierten
Mentalitätsunterschiede zwischen Insulanern und Venezianern
ein, und erläutert
die Bedeutung der Inseln für Venedig: So versorgen
Sant´Erasmo und Le Vignole
die Stadt mit frischem Gemüse, und San Michele nimmt die Toten
auf.
Es mag recht gewagt erscheinen, die Lagune von Venedig als
"größtes
Feuchtbiotop Italiens" zu bezeichnen, muss sie doch vor allem als
Kläranlage herhalten ...
Doch welcher Faktoren Zusammenspiel erschuf dieses einzigartige Gebiet?
Antwort
auf diese Frage gibt Alfred Komareks Essay, in Form eines historischen
Abrisses
der Entstehung und Besiedelung der Lagune. So ist die Insel Malamocco
angeblich
mitsamt den (übrigens bis heute unentdeckt gebliebenen) Ruinen
des frühesten Dogenpalastes
im 12. Jahrhundert in den schlammigen Fluten versunken. Früh
erkannten die
Bewohner dieser verletzlichen Welt die Bedeutung von Schutzbauten, doch
erst im
18. Jahrhundert wurden dem Meer Hindernisse von Bestand
entgegengestellt. Wie
man, die zahlreichen Untiefen zwischen den Sandbänken, Sumpf-
und Schlamminseln
vermeidend, durch die Lagune navigieren kann, ist - wenn
überhaupt - zumeist
nur den Einheimischen bekannt. Zur Orientierung wurden und werden
beispielsweise bricole (drei in den Untergrund
gerammte Holzpfähle)
eingesetzt.
Wasser und Land tragen hier keine spektakulären
Schaukämpfe aus, vielmehr wird
in einem anhaltenden Kommen und Gehen fortwährend gegeben und
genommen, alles
unterliegt dem steten Wandel. Hier liegen Werden und Vergehen in
stiller
Eintracht beisammen.
Das Kapitel "Es war einmal"
bietet, wie an der Überschrift unschwer zu erkennen, Einblicke
in die wechselvolle
Geschichte
Venedigs und seiner umgebenden Inseln. Nehmen wir einmal
beispielsweise die Insel Mazzorbo, deren glorreiche Zeiten weit
zurück datieren, Torcello, mit der Kathedrale Santa Maria
Assunta und der Kirche Santa Fosca. Erfahren Sie, welche Bewandtnis es
mit der dubiosen Auskunft "Sempre diritto!" der Legende nach hat,
welches Ereignis Napoleon
1797 als Anlass gelegen kam, Venedig den Krieg zu erklären und
welch skurrile Blüten die österreichische
Bürokratie in der feuchten Schwüle der Lagune trieb.
"Bunt und
Pastell" nennt sich jener Abschnitt, der einen Bogen von den
genähten und
geklöppelten Spitzen aus Burano über die Fischerinsel
Pellestrina mit ihren
kunterbunten Häuserfronten, den Muschelzüchtern und
den Bootswerften bis zum
Lido, wo sich das in Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig"
verewigte Hotel des Bains befindet, und Murano mit seinen
Glasmanufakturen
sowie der im 12. Jahrhundert erbauten Kirche Santi Maria et Donato
spannt.
Zahlreiche Fotografien zeigen turbulente, aber auch beschauliche
Alltagsszenen.
In "Metamorphosen" beschreibt
Alfred Komarek die Wandlungen Venedigs seit seiner Blütezeit
im 13. Jahrhundert und die Auswirkungen ebendieser auf die umliegenden
Inseln, die "ihre nützliche, erbauliche oder auch
vergnügliche Identität zugewiesen bekamen". So wurde
beispielsweise San Servolo, wo anno 1001 der Doge Pietro Orseolo II. mit
Kaiser Otto III.
zu geheimen Beratungen zusammengetroffen war, zwischen 1725 und 1978
mit seiner geschlossenen Anstalt zum Hort des Schreckens. San Clemente
beherbergte ein, von einem reichen Kaufmann gegründetes,
Quarantäne-Hospiz für Pilger. Diese Inseln werden von
den Venezianern isole dei dolori genannt. Beinahe
jede Insel hat einen bedenklich geneigten Campanile
aufzubieten! Der auf Poveglia befindliche Palazzo Dario soll mit einem
Fluch belegt sein, "sogar der Tod ist hier längst gestorben",
schreibt Alfred Komarek. Die Insel selbst wird vom Meer aufgefressen.
Auf Lazzaretto Vecchio residieren die in Venedig eingefangenen
herrenlosen Katzen und Hunde, Lazzaretto Nuovo birgt eine Festung, die
im 15. Jahrhundert als Spitalsanlage errichtet wurde. Wiederholt
wechselten die Bewohner der meisten größeren
Gebäude: Ordensleute und Soldaten gaben einander sozusagen die
Klinken in die Hand. Man stößt auch auf entlegene
und verlassene Inseln, beispielsweise Sant´Angelo della
Polvere, Santo Spirito, Ex Poveglia und San Giorgio in Alga.
"Leben und
Tod" ist ein dankbarer Titel, umso mehr, wenn es um Venedig geht!
Folgerichtig handelt dieses Kapitel von Festen und Feierlichkeiten im
Inselreich und dessen Bewohnern: zwischen rasanten Bootsrennen und
stillem
Klosterleben, Wirten, Gärtnern und Aussteigern,
Friedhöfen und Sumpfwiesen ...
"Übrigens
..." versammelt sachdienliche Hinweise sowie Tipps zur Erkundung der
zeitlosen Schönheit Venedigs und der Inseln, Warnungen vor
Touristenfallen
sowie eine Karte, welche die zuvor beschriebenen
Sehenswürdigkeiten auffindbar
macht, sodass man das Buch bestimmt vor Ort zur Hand haben wird wollen.
Doch mit den Maßen 22 x 26 cm als Hardcover mit
Schutzumschlag eignet sich
dieser wunderschöne Bildband vermutlich eher für
wahrhaft übergroße Jacken-
oder Hosentaschen ...
János Kalmár wurde 1937 in Budapest geboren.
Seine Arbeiten erschienen u.a. in
führenden internationalen Zeitschriften wie Merian und GEO.
Zu Alfred Komareks bisher bekanntesten Werken zählen die
Kriminalromane "Polt
muss weinen", "Blumen für Polt" und "Himmel, Polt
und
Hölle". Alfred Komarek wurde 1945 in Bad Aussee geboren.
(kre; 04/2002)
János
Kalmár (Fotos), Alfred
Komarek (Texte):
"Laguna. Venedigs Inselwelten"
Haymon-Verlag,
2002. 160 Seiten mit
160 Farbbildern.
ISBN
3-85218-387-1.
ca. EUR 34,-.
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