Johanna König: "Das Tuch"
"Dem Tod waren andere Empfindungen vertraut. Wut kannte er, Bedauern, Einsamkeit und Trauer. Aber am geläufigsten war ihm die Langeweile. Sie war es auch, die er am meisten hasste. Die Langeweile plagte ihn viele Zeitschichten hindurch. Kontinuierlich kämpfte er gegen sie an, durch das Erfinden von allerlei Spielen. Seine Art zu spielen war seltsam. Für die Menschen stellten sich diese Spiele verschiedentlich dar. Meistens grausam und unerbittlich."
Eine Schnitzeljagd zwischen Wien,
Südengland und Venedig, inszeniert vom Schnitter Tod |
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Dass
sich der Tod einem kurzweiligen Spielchen nicht abgeneigt zeigt, zumal
in Wien, ist aus mancherlei Sagen bekannt, man denke nur an die
schaurige Kegelpartie im Stephansturm!
Die Handlung von "Das Tuch" spannt auf mehreren Ebenen einen Bogen
ausgehend von einem Ereignis zur Zeit der
Pestepidemie
im Venedig des Jahres 1348 bis zur Gegenwart, wobei das Tuch einer von
vier antiken Gegenständen, die zum Spiel des Todes
gehören, ist.
Menschen sind Statisten auf der Bühne des Lebens, manche von
ihnen dem Tod unterhaltsamer als andere.
In "Das Tuch" erweist sich der Tod als Kenner und greift mithilfe von
Traumvisionen nach der hübschen, mutigen Judith Vielhaber, die
er zur Mitspielerin erwählt. Der Einsatz: Judiths Leben.
Tuch, Vase, Federkiel und Spiegel, geheimnisvolles Zubehör des
Spieles, verleihen einigen unfreiwilligen Mitspielern das
trügerische Gefühl, scheinbar Macht über
Leben und Sterben ihrer Mitmenschen zu besitzen - sie alle erliegen der
verführerischen Verlockung der dunklen Seite ...
Selbstredend versteht sich der Tod darauf, die auserkorenen Mitspieler
gefügig zu machen, die Regeln nach seinem Geschmack und
Gutdünken aufzustellen oder umzuwerfen, ganz wie es ihm
gefällt.
Irgendwo im Labyrinth der Katakomben unterhalb des Wiener Stephansdoms
zieht im Eröffnungskapitel, "Die Totenstadt" betitelt, Simon
Anderwald, ein unglücklicher Tagträumer, ein
blutbeflecktes, augenscheinlich altes Stück Stoff aus einem
ungewöhnlich großen Totenkopf. Was der bis auf seine
strengen Ausdünstungen eher unscheinbare Aufseher gefunden hat
ist nichts Geringeres als jenes Tuch, das einst der Tod
höchstpersönlich dort deponierte, bis die Zeit
für das Spiel reif sein würde.
Unversehens nimmt eine schicksalhafte Verkettung von Ereignissen ihren
Lauf, während das Tuch mehrmals den Besitzer wechselt.
Zunächst stirbt Simon Anderwald, der
Antiquitätenhändler Gabriel Monsan verliert seine
Seele und seine Frau ihr Leben, Judiths Freundin Editia Glanz
empfängt auf dem Bildschirm ihres Computers eine
unmissverständliche Warnung, welche sie Judith
unverzüglich überbringt. Gabriel Monsan stirbt in
England durch Blitzschlag, die nächste Station Judiths auf der
Suche nach dem Tuche ist Venedig, wo die junge Frau ihren treuen
Mitstreiter und Gefährten namens David Burgart erkennt, dessen
Koch infolge des Hantierens mit den magischen Gegenständen
Selbstmord begeht (der Titel dieses Kapitels lautet übrigens
"Orales Desaster").
"Kreuzhaus, Mädchen, Tuch ... such', Judith ... such' ..." -
so die Mahnung des Todes an seine Gespielin, woraufhin Judith und David
gewissermaßen Himmel und Hölle in Bewegung setzen
und es in einer entweihten Kirche zum alles entscheidenden Spielzug
kommt.
"Das Tuch" ist keine Neuauflage des ewigen Kampfes von Gut und
Böse, sondern eine flotte Abfolge von Szenen, welche
den Menschen als Spielball höherer Mächte zeigen.
Passagen, die Johanna Königs Rechercheergebnisse und poetische
Ausführungen (beispielsweise über Ratten,
Engel,
Pest) beinhalten, bewirken ein gewisses Innehalten, Unterbrechen der
Romanhandlung, und man stellt fest, dass das nur wenig mehr als 150
Seiten umfassende Buch prall gefüllt ist mit dichten
Beschreibungen und Betrachtungen, wobei der Hauch der unausweichlichen
Vorherbestimmtheit jeder Fügung sämtliche Kapitel
durchdringt: Schicksalsergeben spielen die Protagonisten die ihnen vom
Tod zugedachten Rollen, und letztendlich ist selbst der Tod kein von
Bedürfnissen freier Akteur auf seinem Spielfeld.
Obzwar die Wurzeln von "Das Tuch" Ferdinand Raimunds Schaffen
berühren, weisen die enge Handlungsführung einerseits
und das absehbare Ende andererseits den Roman als Vertreter des
zeitgenössischen Spannungsliteraturgenres aus. Ingesamt ist
"Das Tuch" ein durchgehend kurzweiliges und stellenweise hochsensibles
Stück Literatur.
Das letzte Wort gebührt - wie könnte es anders sein -
dem Schnitter Tod:
"Doch du weißt, eines Tages trage ich auch dein Leben fort.
Wo also liegt dein Gewinn? Im Jetzt. Ja, natürlich. Das Jetzt
ist gut für dich. Lebe es, du hast es verdient ..."
(kre; 11/2004)
Johanna König: "Das Tuch"
Hermagoras, 2004. 158 Seiten.
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Weitere Bücher der Autorin:
"Die Glöcknerin"
Zur Rezension ...
"Grün ist die Farbe der
Hoffnung"
"Mitten im Leben, mitten in das pulsierende Dasein kracht die Diagnose
Brustkrebs herein und schert sich keinen Deut darum, ob du verzweifelt darüber
bist, Angst hast und dich allein fühlst. Ich wollte doch noch einige Projekte
vorantreiben. Ich wollte ... leben, ja, das wollte ich noch. Das will ich immer
noch."
Johanna König beschreibt in diesem Buch ihre Zeit der Brustkrebserkrankung,
ihre Auseinandersetzung mit der Erkrankung von der Diagnose bis zur Therapie und
wie sie trotz dieser schwierigen Zeit ihren Optimismus nicht verliert.
Eine empfehlenswerte Lektüre für all jene, die in schwierigen Situationen
Hoffnung suchen, an sie glauben und nicht aufgeben wollen. (Hermagoras)
Buch
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Zwei Buchtipps:
Cornelia
Buchinger, Friedl Hofbauer: "Zahnweh, Tod und Teufel. Sagen
und Geschichten rund um den Stephansdom"
Heute wie einst ragt der Stephansdom über dem Gewühl
der Stadt empor, und aufmerksamen Zuhörern gibt er gerne seine
Geschichten preis.
Schauriges
und Kurioses, Mystisches und Makabres haben die Autorinnen
auf ihrer Zeitreise durch den Dom gesammelt. Sagenhafte weiße
Frauen und boshafte rote Mandln, blitzableitende Hirschgeweihe und
amtliche Gurgelabschneiderinnen fanden so den Weg in dieses Buch
über den Stephansdom und die Menschen, die ihn zum Mittelpunkt
ihrer Stadt und ihres Lebens gemacht haben. (Dachs)
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Rainer Metzger: "Der Tod bei der Arbeit"
Wie all die Städte, an denen Geschichte und Zivilisation
kenntlich werden, ist Wien voller Schauplätze, voller
Dokumente und Zeugnisse dessen, wie man im Lauf von Jahrhunderten
Gewalt wahrgenommen, verspürt und dargestellt hat.
Hieronymus
Boschs Jüngstes Gericht in der Galerie der Akademie
der bildenden Künste, der Narrenturm, die Erzählungen
vom Krieg, die das Heeresgeschichtliche Museum dekorieren, das Denkmal
von Alfred Hrdlicka am Albertina-Platz oder die Fotografien und Filme
zum Wiener Aktionismus - diese und die zahlreichen anderen Malereien,
Bildhauereien, Architekturen haben eines gemeinsam: Sie halten eine
menschliche, eine anthropologische Erfahrung fest, die sich um Macht,
Stärke, Schmerz, aber auch um die Faszination, die sie
ausüben, rankt.
"Der Tod bei der Arbeit" ist eine Art Baedeker zu solchen Bildern von
der Gewalt, er ist eine Anthologie, für die vierzig Orte in
Wien besucht, beschrieben und für die Gegenwart nachvollzogen
werden, und er ist eine Sammlung von Kurz-Essays, die die Orte und
Darstellungen zum Anlass nehmen, über Gewalt weiter
nachzudenken. (Brandstätter)
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