Lev Detela: "Kocbeks Lesebuch"
Lev Detela stellt dem deutschsprachigen Leser erstmalig seinen Schriftstellerkollegen und Landsmann Edvard Kocbek (1904-1981) vor, den er den "bedeutendsten Mann der zeitgenössischen slowenischen geistigen Welt" nennt. Für Kocbeks Originalität bürgt jedenfalls schon sein Lebenslauf; überzeugter Katholik und gleichzeitig im 2. Weltkrieg führender Partisan, nach dem Krieg Minister und gleichzeitig Schriftsteller, was offenbar einen schärferen Widerspruch als den erstgenannten darstellte, mit dem Ergebnis, dass Kocbek 1951 aus allen Ämtern entfernt und ein über zehnjähriges Publikationsverbot über ihn verhängt wurde. In den sechziger Jahren vor allem als Lyriker akzeptiert kam es 1975 zu einer weiteren Schriftstellerverfolgung, im Zuge derer er es nicht zuletzt der Fürsprache Heinrich Bölls verdankte, nicht wie viele andere Autoren vor Gericht gestellt und inhaftiert zu werden.
Mannigfach wie die
Einflüsse, denen er ausgesetzt war, war auch seine schriftstellerische
Tätigkeit.
Als Erzähler erleben wir Kocbek mit dem Finale seiner Novelle "Die
schwarze Orchidee", welchem Werk er den Skandal von 1951 verdankt. Ein
junger Partisan nimmt Abschied von seiner weißgardistischen Geliebten,
in dem Wissen, dass er sie gleich darauf erschießen werde müssen.
Es ist dies eine Textstelle von großer Intensität, wo Gefühle
wie Liebe und Todesangst, Treue und Schuld einem dialektischen Prozess unterzogen
werden und - entsprechend der Extremsituation - an das Transzendente rühren.
In seinem "Deutschen Tagebuch" beschäftigt sich Kocbek mit der Not des Slowenentums, dem ständigen Ausgesetztsein seines zahlenmäßig kleinen Volkes starkem äußeren Assimilierungsdruck (großer deutschsprachiger Nachbar, herrschende ideologische Strömungen), und dem so wünschenswerten wie mühsamem Entdecken und Bewahren des Eigenständigen.
Sein "Essay über Sören Kierkegaard" zeigt ihn als souveränen Denker und einfühlsamen Psychologen, der dem einzigartigen Dänen überzeugend und anschaulich in alle Windungen seines Geistes, seien diese filosofischer, religiöser oder pathologischer Natur, zu folgen vermag.
In dem Gebiet, welchem Edvard Kocbek den Großteil seines Ruhmes verdankt und dem auch Lev Detela in seinem Buch den meisten Platz eingeräumt hat, seiner Lyrik nämlich, lasse ich den Autor am besten selbst sprechen.
Ich
bin,
weil ich war,
und jeder
wird mich
vergessen können.
Und
doch
muß ich sagen:
ich bin
und ich war
und ich werde sein,
und deshalb bin ich mehr
als das
Vergessen,
unermeßlich mehr
als Verneinen,
unendlich mehr
als nichts.
Alles,
was entsteht,
ist ewig,
die Geburt ist stärker
als der Tod,
beharrlicher
als Verzweiflung und Einsamkeit,
gewaltiger
als Lärm und Sünde,
feierlicher
als die Verworfenheit.
Nie
werde ich aufhören zu sein.
Nie.
Amen.
(Übersetzt von Milena Merlak und Lev Detela )
(stro)
Lev
Detela: "Kocbeks Lesebuch"
Hermagoras
Verlag;
208 Seiten;
isbn 3-85013-473-3