KO Un: "Ein Tag voller Wind"
Kraftvolle Gedichte aus einem geteilten Land
Ko Un, einer der bedeutendsten koreanischen Lyriker, wurde 1933 in Kunsan geboren. Sein Leben war geprägt von Schicksalsschlägen, persönlichen Krisen und extremen biografischen Wandlungen, die eng verbunden sind mit der Geschichte Koreas. Einige Stationen seines Daseins: Kindheit im Bürgerkrieg; zwischen 1952 und 1962 buddhistischer Mönch; Nihilist; Alkoholprobleme; Selbsttötungsversuche; Aktivist für die Demokratiebewegung und die Menschenrechte; politisch Verfolgter; Mitgründer des koreanischen Schriftstellerverbandes; Familienvater; seit 1992 Professor für koreanische Sprache und Literatur in Seoul.
Das Sein in seiner
vollkommenen Ganzheit, im konkreten Spannungsfeld zwischen erdachten wie erlebten
Extremen, auf ästhetische Weise in dem aktiven Sprachschatz angehörende Worte
zu fassen, ist des Dichters erkennbares Anliegen. Die Themen der für diesen Gedichtband
ausgewählten Texte reichen von tief empfundener Heimatfreude, bildhaften, klangvollen,
dichten Naturbeschreibungen, politischen Äußerungen - (der Wunsch nach der Wiedervereinigung
Koreas ist spürbar) - über Rauschzustände und den Aufruhr der Gefühle, bis zu
geradlinigen Darstellungen zwischenmenschlicher Verhältnisse wie der Menschen
Umgang mit dem Geist der Schöpfung.
Ko Un unterstreicht die Bedeutung
einer unversehrten (Um-) Welt, die Wertschätzung für das Leben an sich, er schreibt
gegen Oberflächlichkeit und Technikhörigkeit an, nimmt eindeutige Standpunkte
ein, beschönigt nichts. Einem selbstbewussten Maler gleich verleiht der Schriftsteller
seinen Motiven klare Konturen, zeigt sie im unfehlbaren Licht des Unvergänglichen.
Ko Uns Sprachmalkasten beinhaltet die Töne und Zwischentöne seiner Heimat, und
seine in diesem Gedichtband versammelten Texte vermitteln dem Leser (keineswegs
durchgehend exotische) feinfühlige Eindrücke von Korea, wobei eine latente gemäßigte
Melancholie, wenn nicht gar abgeklärter Pessimismus, sämtlicher Gedichte Fundament
darstellen dürfte. Ko Un appelliert eindringlich an jeden Einzelnen, sich seiner
Verantwortung bewusst zu werden und dementsprechend zu leben.
Zum Abschluss das titelgebende Gedicht,
Ein Tag voller Wind
Zu
sterben an einem Tag voller Wind,
ist die allergrößte Auflehnung.
Den ganzen
Tag über
bauschen sich Flaggen im Wind
und alle Menschen werden zu Flaggen,
die
über dem ganzen Land sich bauschen.
Eben an diesem Tag muss ich sterben!
Steh
auf!
Steh auf!
Gib den Mut nicht auf!
Auch Du, gestürztes Pferd.
Steh auf!
Am hellsten
leuchtet in dieser Welt
ein Tag voller Wind.
(kre; 12/2002)
KO Un: "Ein Tag voller Wind"
Aus dem Koreanischen von LIM Jong-Dae und Jürgen Abel.
Pendragon, 2002.
112 Seiten.
ISBN 3-929096-98-6.
ca. EUR 12,80.
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